„Wo warst du nur all die Jahre?“, fragt Opa Hermann seine lange Zeit verschollene Gitty und übereicht ihr einen Blumenstrauß zur Feier des Wiedersehens. Ihre Antwort: „In der Agentur!“ Das Bild, auf das ich hier zurückgreife, kennt wohl jeder, der nicht gerade als Tarifbeschäftigter im Amtskeller die Post sortiert.
Leicht ironisch wird das Meme, obwohl schon gut fünf Jahre alt – also in Internetjahren ein halbes Jahrhundert –, noch immer in regelmäßigen Abständen durch das Netz gepeitscht. Gefühlt immer dann, wenn ein neuer Jahrgang von Uni-Absolventen sich in die Tretmühlen der Kreativschmieden begibt.
Und jedes Mal wieder denke ich mir: Da werden die nächsten jungen Kollegen verbrannt, bis sie es eines Tages besser wissen. Ironie ist oft die letzte Phase der Enttäuschung.
Überstunden als Karriere-Booster?
Noch immer werden Leistung und Loyalität vielerorts daran gemessen, bis in die Puppen zu arbeiten. Als Erster kommen, zuletzt gehen. Das ist aber auch irgendwie kein Wunder, wenn junge Berufstätige allen Ernstes in Magazinen wie „GQ“ lesen, dass Überstunden-Schrubben der Karriere-Booster schlechthin sein soll.
Na gut, Chefs freuen sich vielleicht über so viel Unterstützung. Doch warum eigentlich? Bezahlen sie doch im Grunde unproduktive Mitarbeiter. Denn seien wir mal ehrlich: Niemand wird auf Dauer gut drauf sein, wenn er wie eine Legehenne in der Batterie sitzt und das einzige Sonnenlicht in Form eines Hintergrundbildes auf dem Desktop daherkommt.
Angesichts dessen ist die „GQ“-Headline „So werden Sie befördert, ohne etwas zu können“ dann vielleicht doch wieder ganz passend.
Verkürzter Arbeitstag
Zudem ist es doch längst belegt, dass Qualität und Produktivität sich kaum bis gar nicht verändern, mancherorts sogar steigen und schlussendlich sogar der Krankenstand sinkt, wenn Menschen beispielsweise einen Sechs- statt Acht-Stunden-Tag hinlegen dürfen.
Schwedische Testläufe zum verkürzten Arbeitstag sprechen eine deutliche Sprache und sind, wenn überhaupt, nur dann eingestellt worden, weil geringe Mehrkosten, die derartige Projekte während des Testlaufs verursachen konnten, keine Akzeptanz in den Chefetagen fanden.
Als ob Innovation, wenn sie denn schon gewährt wird, wenigstens nichts kosten darf. „Wie jetzt? Da zieh ich mir schon mal den Finger aus der Nase, damit das Hirn Luft bekommt, und dann wird’s im Hinterstübchen auch noch frisch? Unerhört. Un-er-hört!“
Die besten Mitarbeiter kommen spät und gehen früh
Achtung, steile These: Die besten Mitarbeiter kommen spät und gehen früh! Dass sie die besten sind, hängt nämlich auch damit zusammen, dass sie sich auf den Tag freuen können, weil sie etwas davon haben. Und weil sie die Freiheit besitzen, ihren Geist neben der Arbeit mit neuen Dingen zu konfrontieren.
Morgens mal ganz in Ruhe durch ein Magazin blättern, ohne sich den Kaffee zwischen Tür und Angel hinter die Binde zu kippen, nur um vorbildlich das Licht im Büro anzumachen, kann im Meeting schon Mal zur zündenden Idee führen.
Abends in Ruhe zum Sport gehen zu können, ohne die Blicke der Kollegen zu fürchten, weil es zum guten Ton gehört, erst nach dem Chef zu gehen, wird vitale Menschen hervorbringen, die auch während stressiger Phasen nicht sofort beim Arzt auf der Matte stehen.
Wer lange bei der Arbeit ist, der leistet nicht mehr. Im Gegenteil: Wer seinen Arbeitstag strukturiert gestaltet und deshalb pünktlich Feierabend machen oder auch mal früher gehen kann, arbeitet so gut wie immer effektiver. Und wer in der Lage ist, ein Leben auch außerhalb der Agentur zu führen, wird am nächsten Tag deutlich zufriedener und motivierter wieder zurück ins Büro gehen.
Frage an alle: Was ist besser? Ein motivierter, kreativer und gut organisierter Mitarbeiter? Oder jemand, der nur so tut? Ich glaube, ich kenne die Antwort bereits.