Geldpolitik Können die Zentralbanken die Inflation überhaupt noch stoppen?

Noch setzen Zentralbanken wie die EZB darauf, dass der aktuelle Inflationsbuckel ein Buckel bleibt. Doch die Risiken, dass die Inflation nachhaltig anzieht, steigen Quelle: imago images

Die Inflation zieht an. Der Druck auf die Zentralbanken, die Geldpolitik zu straffen, steigt. Wie werden die Notenbanken reagieren? Oder besser: Können sie eigentlich noch angemessen reagieren?

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Zentralbanken, so heißt es, sollten eine Geldpolitik der ruhigen Hand betreiben. Der Verzicht auf hektisches Herumschrauben an den Zinsen stabilisiert die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Und ist eine wichtige Voraussetzung für spannungsfreies Wirtschaftswachstum.

So weit die Theorie. Das Problem ist nur: Eine ruhige Hand am Steuerrad kann – wie bei einer Fahrt auf der Autobahn – zu schweren Unfällen führen, wenn plötzlich Hindernisse auf der Fahrbahn auftauchen und rasche Ausweichmanöver erforderlich sind.

Noch wähnen sich die großen Zentralbanken der Welt auf einer Route ohne Hindernisse, glauben, alles unter Kontrolle zu haben. Daher treten sie das Zins-Gaspedal voll durch, pumpen Tag für Tag munter frisches Zentralbankgeld in den Bankensektor, indem sie Staatsanleihen und andere Wertpapiere kaufen. Auf den Konten der Geschäftsbanken bei der US-Notenbank Fed haben sich so Zentralbankgeldbestände von mehr als 3,8 Billionen Dollar angesammelt. Die Geschäftsbanken in der Eurozone verfügen über mehr als 4,3 Billionen Euro an Zentralbankgeld auf ihren Konten bei der Europäischen Zentralbank (EZB).

Geldpolitische Raserei 

Ob die geldpolitische Raserei mit Tempo 200 auf der linken Spur noch lange gut geht, ist fraglich. Denn die Industrie boomt und die Preise steigen kräftiger als erwartet. In den USA sprang die Inflationsrate im April auf 4,2 Prozent. In der Eurozone ist die Teuerungsrate mit 1,6 Prozent zwar niedriger. Doch auch hier ist der Preistrend klar nach oben gerichtet.

Damit stellt sich die Frage: Können und wollen die Zentralbanken rechtzeitig auf die Bremse treten, bevor die anziehenden Teuerungsraten die Inflationserwartungen aus ihrer Verankerung reißen und eine Lohn-Preis-Spirale auslösen? 

In den USA will die Fed unter ihrem Chef Jerome Powell die Wirtschaft heiß laufen lassen, damit auch Menschen aus Problemgruppen Chancen auf einen Job haben. Dabei nimmt die Fed Inflationsraten von über zwei Prozent in Kauf, strebt diese sogar an. So sieht ihre neue geldpolitische Strategie vor, dass die Inflation im Durchschnitt mehrerer Jahre bei zwei Prozent liegen soll. In den vergangenen Jahren hatte sie diese Marke häufig unterschritten.

Noch setzt die Washingtoner Währungsbehörde darauf, dass es sich bei dem aktuellen Inflationsschub um ein temporäres Phänomen handelt und die Teuerungsraten im nächsten Jahr wieder nachgeben. Dann hätte sie Zeit genug, die Geldpolitik zu straffen. Experten rechnen damit, dass die Fed den Finanzmärkten im Herbst signalisiert, sie werde Anfang 2022 mit der Rückführung der monatlichen Anleihekäufe im Wert von derzeit 120 Milliarden Dollar beginnen. Bis die Käufe bei null angelangt sind, könnte es ein Jahr dauern. Erst danach dürfte die Fed, abhängig von der Datenlage, damit beginnen, die Zinsen vorsichtig anzuheben.

Entscheidend dabei ist der Zins, den die Fed den Geschäftsbanken auf deren Einlagen bei der Notenbank zahlt. Aktuell liegt dieser bei 0,1 Prozent. Er bildet die Untergrenze für den Zins am Interbankenmarkt, der eigentlichen Zielgröße der Fed. Denn Banken stellen bei Geldleihgeschäften am Interbankenmarkt untereinander mindestens den Zins in Rechnung, den sie für Einlagen bei der Fed erhalten. Steigen die Geldbeschaffungskosten am Interbankenmarkt, geben die Banken dies an ihre Kunden weiter, indem sie die Kreditzinsen anheben. Das bremst die Kreditnachfrage, die Geldschöpfung und die Inflation.

Der letzte Schritt einer monetären Straffung dürfte darin bestehen, dass die Fed ihre Bilanz verkleinert, etwa indem sie darauf verzichtet, Staatsanleihen aus ihrem Bestand bei der Tilgung durch den Kauf neuer Anleihen zu ersetzen. 

EZB sorgt sich um Südländer

In der Eurozone dürfte die EZB im Fall einer monetären Straffung ähnlich vorgehen wie die Fed. So hat die EZB signalisiert, dass sie als Erstes die Wertpapierkäufe beenden werde. Das werde der Fall sein „kurz bevor der EZB-Rat mit der Erhöhung der EZB-Leitzinsen beginnt“, so die EZB. Eine Anhebung der Leitzinsen ist nach Ansicht der Frankfurter Währungsbehörde jedoch erst angebracht, wenn sich die zugrunde liegende Inflation nachhaltig der Zwei-Prozent-Marke annähert. Ebenso wie die Fed dürfte die EZB bei der Anhebung der Leitzinsen auf den Einlagenzins der Geschäftsbanken als wichtigstes Instrument zur Steuerung der Marktzinsen fokussieren. Aktuell liegt dieser bei minus 0,5 Prozent.



Eine Verkleinerung der Bilanzsumme wird es bei der EZB – wenn überhaupt – wohl nur auf lange Sicht geben. Die Tilgungszuflüsse aus fälligen Anleihen werden auch nach einer Anhebung der Leitzinsen noch „für längere Zeit vollumfänglich wieder angelegt“, heißt es bei der Notenbank. Der Grund dafür dürften die Sorgen um die Finanzierungskosten der hochverschuldeten Südländer sein, die die EZB durch den Neuerwerb von Anleihen drückt. 

Ob sich ein Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik so einfach umsetzen lässt, wie sich die Zentralbanken dies vorstellen, hängt von der Entwicklung der Inflation ab. Kommt diese stärker ins Laufen als erwartet, stehen die Notenbanken vor der schwierigen Wahl: entweder sie sehen tatenlos zu, wie die Kaufkraft ihrer Währungen schwindet – oder sie treten schneller auf die Bremse als geplant. 

Zwischen Skylla und Charybdis 

Zögern sie zu lange, müssten sie die Anleihekäufe am Ende womöglich sogar abrupt einstellen oder Anleihen aus ihren Beständen verkaufen und zusätzlich die Einlagenzinsen kräftig anheben, um eine Geldkrise zu verhindern. An den Märkten wäre dann der Teufel los. Staaten, Unternehmen, Immobilienkäufer und andere Schuldner wären mit rasant steigenden Finanzierungskosten konfrontiert. Insolvenzen, Zwangsversteigerungen, eine Rezession und eine schwere Bankenkrise wären die Folgen.

Noch hoffen Notenbanker und Börsianer gleichermaßen, dass der aktuelle Inflationsbuckel ein Buckel bleibt und den Notenbanken die Entscheidung zwischen Skylla und Charybdis erspart bleibt. Doch die Risiken, dass es anders kommt, steigen – und zwar mit jedem Zehntelpunkt bei der Inflation.

Mehr zum Thema: Rohstoffe sind knapp, die Preise schnellen in die Höhe, die Produktion stockt. Kommt nach einem kurzen Boom die Stagflation – die Kombination aus Nullwachstum und hoher Inflation? 

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