Erfolg bei der Elektroden-Therapie: Querschnittsgelähmter kann wieder laufen!

Jered Chinnock (29) ist seit einem Unfall 2013 gelähmt, konnte jetzt mit etwas Hilfe wieder einige Schritt gehen

Jered Chinnock (29) ist seit einem Unfall 2013 gelähmt, konnte jetzt mit etwas Hilfe wieder einige Schritt gehen

Foto: Teresa Crawford / AP Photo / dpa

Mediziner zweifeln an, dass es die ganz große Wissenschafts-Sensation ist. Ein bedeutender Hoffnungsschimmer für alle Querschnittsgelähmten ist es jedoch allemal.

Jered Chinnock (29) ist seit einem Unfall mit einem Schneemobil vor fünf Jahren an beiden Beinen gelähmt. Einem Forscherteam von der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota, USA) ist es nun gelungen, ihm mit Hilfe implantierter Elektroden seine Gehfähigkeit zurückgegeben.

Mittels elektrischer Rückenmarksstimulation und 43 Wochen Rehabilitationstherapie konnte der Patient mit 331 Schritten 102 Meter zurücklegen, berichtete das Team um Kendall Lee und Kristin Zhao am Montag im Fachjournal „Nature Medicine“.

Allerdings benötigte Chinnock dafür einen Rollator und Unterstützung an der Hüfte durch einen Therapeuten.

Dennoch könnte die Therapie ein Durchbruch in der Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen sein.

Bei einer Querschnittlähmung ist das Rückenmark des Patienten so stark beschädigt, dass die Signale aus dem Gehirn nicht mehr oder kaum noch an die Beine weitergeleitet werden. Mit der elektrischen Rückenmarksstimulation versuchen Mediziner, die verletzte Stelle zu überbrücken.

In dem in der Studie beschriebenen Fall war das Rückenmark nicht vollständig durchtrennt. Deshalb wollten die Forscher herausfinden, wie weit sie mit einer Rückenmarksstimulation kommen würden.

Die Mediziner gaben Elektroimpulse in verschiedene Beinmuskeln. Dabei entdeckten sie, dass ein einzelnes Stimulationsmuster nicht ausreicht. Sie entwickelten zwei unterschiedliche Muster, die so miteinander verzahnt wurden, dass der Patient die verschiedenen Phasen eines Schritts meistern konnte.

„Nach unserem Wissen ist die Verwendung der elektrischen Rückenmarksstimulation während des aufgabenspezifischen Trainings, einschließlich Steh- und Schrittaktivitäten, neu“, schreiben die Forscher.

Erforderlich seien nun weitere Untersuchungen mit einer größeren Zahl von Probanden, um deren Gültigkeit und Wirksamkeit zu bestimmen.

Chinnock steht mit der Hilfe seines Therapeuten-Teams in der Mayo Clinic in Rochester

Chinnock steht mit der Hilfe seines Therapeuten-Teams in der Mayo Clinic in Rochester

Foto: Teresa Crawford / AP Photo / dpa

Mediziner skeptisch: „Keine Heilung“

Unbeteiligte Mediziner reagierten skeptisch: Norbert Weidner, ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, hält die Studie prinzipiell für gut gemacht. Der beobachtete Effekt sei wissenschaftlich interessant, aber auch mit den gezeigten Fortschritten könne der Patient nicht seinen Alltag meistern.

Zudem sei es eher eine Fallbeschreibung, da nur ein Patient an der Studie beteiligt gewesen sei. „Es ist außerdem ein spezieller Patient, so dass fraglich ist, inwiefern andere querschnittgelähmte Patienten in gleicher Weise trainiert werden können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Problematisch sei auch, dass es keine Rückkopplung über die Stellung der Beine im Raum ans Gehirn gebe, was für das sichere Gehen notwendig sei. Bei nicht vollständig Gelähmten, die unterhalb der verletzten Stelle am Rückenmark zumindest noch Bewegungen ausführen können, sieht Weidner ein größeres Potenzial für diesen Heilungsansatz.

Auch Jocelyne Bloch vom Centre Hospitalier Universitaire Vaudois in Lausanne (Schweiz) ist vom Ergebnis der Studie nicht ganz überzeugt. „Er kann mit viel Hilfe ein paar Schritte gehen – aber es gab keine neurologische Heilung“, sagte sie mit Blick auf den Patienten. „Doch im Labor einige Schritte zu tun, bedeutet nicht, dass das auch zu Hause und im Alltag klappt und das Leben verändert. Wir sollten also wortwörtlich einen Schritt zurücktreten und die Ergebnisse in der Realität betrachten.“

▶︎ Weitere Hinweise auf die grundsätzlichen Möglichkeiten und Grenzen der Methode gibt eine Studie, die zeitgleich im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ erschien.

Darin berichten US-Forscher um Susan Harkema von der University of Louisville (US-Staat Kentucky) von vier querschnittgelähmten Patienten, die ebenfalls mit Elektrostimulation behandelt worden waren.

Zwei von ihnen konnten nach intensivem Training wieder einige Schritte gehen, alle vier konnten zumindest selbstständig stehen.

Neben der elektrischen Stimulation und dem Training war der Wille der Patienten für das Gehvermögen entscheidend: Sie mussten sich fest vornehmen zu gehen – sobald sie die mentale Absicht einstellten, konnten sie ihre Beine nicht mehr bewegen, berichten die Wissenschaftler.

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