Honecker wollte für Hitler in den Krieg ziehen

Die geheimste Akte der Stasi belegt, wie der spätere SED-Chef sich im Gefängnis an das Naziregime anbiederte

Von: Von KAYHAN ÖZGENC und OLAF WILKE
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Erich Honecker wehrte sich verbissen gegen seinen Sturz. In der turbulenten Sitzung des SED-Politbüros am 17. Oktober 1989 stritten die mächtigsten Männer der DDR über seine Absetzung. Dann ergriff Stasi-Chef Erich Mielke das Wort. Er drohte unverhohlen damit, dunkle Punkte in Honeckers Vergangenheit zu enthüllen, falls dieser nicht zurücktrete. Damit war Honeckers Schicksal besiegelt.

Die Erpressung der Nummer eins im Staat hatte Mielke von langer Hand vorbereitet. Recherchen der BILD am Sonntag ergaben: Bereits Anfang der 70er-Jahre ließ er Belastungsmaterial gegen den Parteichef sammeln.

Schon kurz nach dem Machtantritt Honeckers im Jahre 1971 erteilte Mielke zwei Agenten aus der Stasi-Eliteeinheit „Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe“ (ZAIG) den brisanten Auftrag. In der streng geheimen Operation sollten sie ein Dossier über Honeckers Vergangenheit im Dritten Reich anfertigen. Das Ergebnis der Schnüffelaktion hätte bei Veröffentlichung wohl schon früher zu seinem Sturz geführt. Denn Honecker hatte sich als Häftling bei den Nazis angebiedert und wollte sogar für Hitler in den Krieg ziehen.

Das 25-seitige Stasi-Dossier trägt den sperrigen Titel „Prüfung der Materialien über die Verhaftung und Verurteilung von Angehörigen der illegalen Organisation des KJVD“. Honecker war 1937 als Aktivist des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland (KJVD) zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Nach dem Krieg feierte ihn die DDR-Propaganda als „antifaschistischen Helden“, der selbst in Haft die kommunistische Idee verteidigt hätte. In seiner Autobiografie rühmte sich Honecker: „Weder durch die physischen und psychischen Torturen der Gestapobeamten noch in den zahlreichen Verhören durch faschistische Untersuchungsrichter . . . war ich von meiner kommunistischen Weltanschauung abzubringen.“

Das Stasi-Dossier zeichnet ein anderes Bild: Demnach belastete er inhaftierte Kampfgefährten. Honecker, so heißt es darin, machte gegenüber der Gestapo „ziemlich ausführliche Angaben“. Eine Genossin sei „erst durch Honeckers Aussagen in die akute Gefahr der Verurteilung“ geraten.

Nach knapp vier Jahren Haft war er offenbar bereit, auch seine Ideale zu verraten. Auf Honeckers Bitte reichte sein Vater im Oktober 1939 ein Gnadengesuch für ihn ein. Darin „schwört er dem Kommunismus ab“, heißt es im Stasi-Papier. Doch vier Instanzen lehnten das Gesuch ab.

Im September 1942 bat der Vater erneut im Namen seines Sohnes um Gnade. Als Gegenleistung für seine Freilassung wollte Honecker für Hitler an die Front. Der Leiter des Zuchthauses Brandenburg-Görden befürwortete das Gesuch, „da er den Eindruck hat, daß Honecker es ernst und ehrlich meint, wenn er sagt, daß er seine Jugendideale im jetzigen Staate verwirklicht sehe und keinen größeren Wunsch habe, als vor dem Feind die Redlichkeit seiner Gesinnung beweisen zu können“. Daraus wurde nichts. Erst 1945 kam er frei.

Honeckers Versuche, um jeden Preis aus dem Knast zu kommen, sind menschlich verständlich. Doch wären die Details zu DDR-Zeiten bekannt geworden, hätte der Mythos um den unbeugsamen Widerstandskämpfer Honecker ein jähes Ende gefunden.

Mit der Operation gegen Honecker beging Mielke einen Tabubruch. Die Stasi war „Schild und Schwert der Partei“. Sie durfte in der DDR fast alles, aber niemals SED-Funktionäre ausforschen – den Parteichef schon gar nicht.

Das Dossier und andere Geheimpapiere hatte Mielke in einem roten Kunstleder-Koffer in seinem Panzerschrank versteckt. Dort beschlagnahmten Berliner Staatsanwälte nach der Wende den Koffer. Damals berichteten ZDF-Reporter über den Fund. Nach langer

Odyssee durch diverse Archive befindet sich der rote Koffer nun im Besitz der Stasi-Unterlagenbehörde. Doch die Hintergründe des Mielke-Dossiers blieben bislang unklar.

Nach dem Fall der Mauer versuchte Mielke, die Brisanz des roten Koffers kleinzureden. Angeblich habe Honecker gewusst, dass Mielke die NS-Gerichtsakten unter Verschluss halte, um den SED-Chef zu schützen. Über seine Geheimdienst-Operation gegen Honecker und das Stasi-Dossier schwieg Mielke jedoch bis zu seinem Tod im Mai 2000 eisern.

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