Abstimmungs-Eklat im Bundestag: So verhöhnt die AfD das Parlament

Fraktion scheitert bei dem Versuch, die Sitzung zu sprengen

Quelle: Bundestag TV
Von: Florian Kain, Rolf Kleine und Hans-Jörg Vehlewald

Abstimmungs-Eklat im Bundestag! Die AfD-Bundestagsfraktion scheiterte am Freitagvormittag bei dem Versuch, die Parlamentssitzung zu sprengen.

Was war passiert?

11.38 Uhr – AfD-Parlamentsgeschäftsführer Jürgen Braun (57) zweifelte angesichts der leeren Reihen im Parlament im Namen der AfD-Fraktion gemäß Paragraph 45 der Geschäftsordnung die Beschlussunfähigkeit des Bundestags an.

Grundsätzlich gilt die Regel: Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.

Durcheinander im deutschen Parlament: Die AfD beklagte, dass viele Bundestagsabgeordnete fehlen und löste die Zählung der anwesenden Mitglieder aus, genannt „Hammelsprung“

Durcheinander im deutschen Parlament: Die AfD beklagte, dass viele Bundestagsabgeordnete fehlen und löste die Zählung der anwesenden Mitglieder aus, genannt „Hammelsprung“

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Das war offenkundig NICHT der Fall – leere Sitzreihen, so weit das Auge blickte. Allerdings auch in der AfD-Fraktion, selbst AfD-Co-Fraktionschef Alexander Gauland (77) war nicht im Saal, sondern nur sein Koffer.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (55, Linke) gab schließlich bekannt, dass die Abstimmung über die Überweisung der Bildungs-Anträge 5077, 6420, 6426 und 6424 in die Ausschüsse mit der Feststellung der Beschlussfähigkeit verbunden werde.

Dazu bat sie alle Kollegen, den Saal zu verlassen – es kam zum berühmten „Hammelsprung“. So heißt das Verfahren, wenn alle Bundestagsabgeordneten durch drei Türen gehen müssen: Eine ist mit einem „Ja“ gekennzeichnet (für Zustimmung), eine mit einem „Nein“ (für Ablehnung) und eine mit dem Wort „Enthaltung“. Die Schriftführer zählten die Abgeordneten, die den Saal betreten haben – so lässt sich eindeutig die Zahl der anwesenden Parlamentarier ermitteln.

Die Abgeordneten stehen, bereit zur Zählung, vor dem Plenarsaal des Deutschen Bundestags

Die Abgeordneten stehen, bereit zur Zählung, vor dem Plenarsaal des Deutschen Bundestags

Foto: picture alliance/dpa

Hinter den Kulissen begannen hektische Telefonate, denn ein Hammelsprung kostet Zeit – die anderen Fraktionen hatten so Gelegenheit, ihre Kollegen herbeizutelefonieren, die womöglich in Besprechungen waren, auf Toiletten oder im Abgeordnetenrestaurant saßen.

Die AfD wollte die Parlamentarier der anderen Fraktionen wie schon in jener Nachtsitzung im Januar 2018 vorführen und ärgern, als AfD-Parlamentsgeschäftsführer Braun erstmals die Beschlussunfähigkeit im Namen der AfD angezweifelt hatte, was sich dann per „Hammelsprung“ bestätigte. Damals musste die Bundestagssitzung beendet werden.

Doch diesmal kam es anders!

Mehr und mehr Abgeordnete kamen herbei und schritten durch die drei Türen, um 12.09 Uhr Gesundheitsminister Jens Spahn (38, CDU), gefolgt von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (40) und Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir (52).

Um 12.15 Uhr gab Petra Pau das Ergebnis bekannt: 414 Stimmen abgegebene Stimmen, davon 413 mal Ja und eine Enthaltung – deutlich mehr als die Hälfte der insgesamt 709 Bundestagsabgeordneten. Jubel brandete auf, vereinzelt auch Buh-Rufe gegen die AfD.

Grund: Die AfDler hatten die von ihr selbst beantragte Zählung boykottiert und keine der drei Türen durchschritten – offenbar in der Hoffnung, damit wieder einen Sitzungsabbruch provozieren zu können.

Nach dem Hammelsprung betritt die AfD-Fraktion wieder den Saal – auch Co-Fraktionschef Gauland ist nun vor Ort

Nach dem Hammelsprung betritt die AfD-Fraktion wieder den Saal – auch Co-Fraktionschef Gauland ist nun vor Ort

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

So verhöhnt die AfD das Parlament

AfD-Co-Fraktionschef Alexander Gauland erklärte: „Mit dem ‚Hammelsprung‘ haben wir heute gezeigt, dass es für alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag künftig ungemütlicher werden wird. Das ist die Quittung dafür, dass die Altparteien der AfD-Fraktion auch mehr als ein Jahr nach der Bundestagswahl das ihr nach der Geschäftsordnung des Bundestages zustehende Amt eines Vizepräsidenten verweigern. Die erneute Nichtwahl unserer untadeligen Kandidatin für das Amt, Mariana Harder-Kühnel, sowie aller Kandidaten der AfD für andere Gremien, ist ein undemokratischer Akt. Die Altparteien behandeln uns wie Feinde und nicht wie politische Gegner. Dafür müssen wir alle nun bis auf weiteres die Konsequenzen tragen.“

Tatsächlich hatte die AfD-Fraktion nach BILD-Informationen bereits am Abend zuvor beschlossen, sich für die am Donnerstag erneut schief gegangene Wahl ihrer Vizepräsidenten-Kandidatin mit Geschäftsordnungstricks zu revanchieren.

Auch mit ständigen Zählungen kann man ein Parlament lahmlegen.

Teaser-Bild

Foto: Jens Oellermann

Ein Antrag, Harder-Kühnel ein drittes Mal zur Abstimmung zu stellen, wurde Donnerstag in der AfD-Fraktionssitzung abgelehnt. Stattdessen beschloss die AfD zu prüfen, „auf welche Möglichkeiten der Geschäftsordnung des Bundestags die Fraktion zurückgreifen kann, um den anderen Fraktionen die Grenzen dieses undemokratischen Verhaltens aufzuzeigen“, wie es in einem Beschlussprotokoll (liegt BILD vor) hieß.

Der „Hammelsprung“-Flop wird nach BILD-Informationen auch AfD-fraktionsintern als „peinlich“ kritisiert. „Nach der Nummer kriegen wir Frau Harder-Kühnel überhaupt nicht mehr als Bundestagsvizepräsidentin durch“, hieß es hinter vorgehaltener Hand.

AfD-Parlamentsgeschäftsführer Jürgen Braun verteidigt den gefloppten Hammelsprung als „Erfolg“: „Es ging gar nicht darum, einen Abbruch der Sitzung zu erzwingen, wir wollten zeigen, dass wir uns wehren: Viele Kollegen der anderen Fraktionen mussten jetzt ihre Flüge in die Heimat umbuchen.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), hielt dagegen: „Erst kündigt die AfD durch ihren Pressesprecher an, im Bundestag einen parlamentarischen Krieg entfachen zu wollen. Dann scheitert sie kläglich bei dem Versuch, durch einen Hammelsprung die Beschlussunfähigkeit herbeizuführen – statt Chaos im Bundestag herrscht nur Chaos in der AfD.“

Sein Kollege Stefan Müller (CSU) sprach von einem „ganz schlechtem Stil“ der AfD: „Gut, dass die Rechnung nicht aufgegangen ist.“

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.