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Kasseler Regierungspräsident : Lübcke wurde „aus nächster Nähe“ erschossen

Walter Lübcke ist in der Nacht zum Sonntag unerwartet im Alter von 65 Jahren gestorben. Bild: dpa

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ist auf der Terrasse seines Hauses erschossen worden. Die Behörden ermitteln in alle Richtungen. Und es kursieren Gerüchte zu einem möglichen Täter.

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          Der Präsident des Regierungspräsidiums Kassel, Walter Lübcke, ist offenbar Opfer einer gezielten Tötung geworden. Das ergab sich gestern aus den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Kassel und des Hessischen Landeskriminalamts (LKA). Der Leitende Oberstaatsanwalt, Horst Streiff, führte aus, dass Lübcke „aus nächster Nähe“ von einem Projektil einer Kurzwaffe in den Kopf geschossen worden sei. Die Tat hatte sich auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha gegen Mitternacht ereignet. Gegen 0.30 Uhr entdeckte ihn ein Familienmitglied leblos auf dem Boden liegend. Der Notarzt versuchte noch, den Politiker zu reanimieren, jedoch ohne Erfolg. Der Tod Lübckes wurde zwei Stunden später im Krankenhaus festgestellt.

          Katharina Iskandar
          Verantwortliche Redakteurin für das Ressort „Rhein-Main“ der Sonntagszeitung.
          Helmut Schwan
          Freier Autor in der Rhein-Main-Zeitung.

          Staatsanwaltschaft und LKA wiesen gestern darauf hin, dass jegliche Spekulationen die weiteren Ermittlungen gefährden könnten. LKA-Präsidentin Sabine Thurau sagte, gerade „diese erste Phase nach der Tatbegehung ist ganz entscheidend für den Ermittlungserfolg“. Sie verstehe das öffentliche Interesse an dem Fall, es sei jedoch hinderlich, wenn zu viele Informationen mitgeteilt würden, die am Ende das Verfahren gefährdeten.

          Ermittlungen in alle Richtungen

          Dennoch mehrten sich auch am Montag die Gerüchte, dass Lübcke den Täter möglicherweise gekannt haben könnte. So blieb die Frage gestern unbeantwortet, was ihn um Mitternacht hinaus in den Garten geführt habe, während sich die Familienmitglieder offenbar im Haus aufgehalten hätten. Die Ermittlungsbehörden betonten, es werde „in alle Richtungen ermittelt“, ein Motiv stehe aber noch nicht fest. Ein Raubversuch sei ebenso denkbar wie ein politischer Hintergrund. Auch die Familie des Politikers werde nun auch polizeilich betreut; dem Vernehmen nach wurden erste Schutzmaßnahmen schon eingeleitet.

          2015 hatte Lübcke massive Drohungen erhalten, angeblich war er auch im Besitz einer Waffe. Das wollte die Staatsanwaltschaft gestern jedoch nicht bestätigen. Von Seiten des LKA hieß es, die damaligen Drohungen stünden nach derzeitigen Erkenntnissen mit dem aktuellen Fall nicht im Zusammenhang. Unklar blieb zunächst auch, welche Rolle ein Streit auf einer Kirmes gespielt hat. Angaben zufolge war der Fünfundsechzigjährige mit mindestens einer Person kurz vor seinem Tod aneinandergeraten. Dieser Spur geht die Polizei noch nach.

          Dass Lübcke keines natürlichen Todes gestorben war, deutete sich schon am Sonntagmorgen ab. Sein Wohnhaus in Wolfhagen-Istha war weiträumig abgesperrt und blieb es auch gestern noch. Beamte der Spurensicherung waren seit dem Wochenende im Einsatz, um die Terrasse und den Garten nach weiteren Einzelheiten abzusuchen. Thurau teilte weiter mit, dass mit 20Beamten ihrer Behörde und des Polizeipräsidiums Nordhessen eine Sonderkommission gebildet worden sei. Bei Bedarf werde diese Soko vergrößert. Das Bundeskriminalamt unterstützt die hessischen Behörden mit kriminaltechnischen Untersuchungen. Zudem sei ein Hinweistelefon für die Bevölkerung, eingerichtet worden, erreichbar unter der Telefonnummer 0561/9104444; Hinweise wie Videos können unter der Adresse wolfhagen@polizei-hinweise.de hochgeladen werden.

          „Junge vom Dorf“

          Walter Lübcke feierte erst vor einigen Tagen sein zehnjähriges Dienstjubiläum. Ministerpräsident Volker Bouffier hatte ihn gebeten, über die Altersgrenze hinaus noch ein halbes Jahr im Amt zu bleiben. 2009 machte der damals noch als Innenminister tätige Bouffier seinen politischen Weggefährten zum Chef der Behörde in Kassel. Zuvor war Lübcke (CDU) zehn Jahre Landtagsabgeordneter gewesen, zuletzt verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Als Regierungspräsident begleitete er den Aufschwung in Hessens Norden. Der Ausbau von Autobahnen, der Schienenverbindungen wie des Flughafens Kassel-Calden beschäftigten ihn sowohl als Parlamentarier als auch als Regierungspräsident.

          Walter Lübcke, der getötete Kasseler Regierungspräsident, galt als offen, kommunikativ und bürgernah.
          Walter Lübcke, der getötete Kasseler Regierungspräsident, galt als offen, kommunikativ und bürgernah. : Bild: dpa

          Der gelernte Bankkaufmann, promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Landwirt im Nebenerwerb galt als „bürgernah“, nannte sich gelegentlich selbst den „Jungen vom Dorf“. Er blieb neben dem Engagement in Wiesbaden kommunalpolitisch engagiert. In ihrer Würdigung schrieb die hessische CDU, Lübcke habe als Regierungspräsident nie das klare Wort gescheut. Er sei ein Brückenbauer gewesen.

          Das galt auch in der Frage, wie Migranten aufgenommen werden sollten. Während einer Bürgerversammlung zur Unterbringung von Flüchtlingen im Jahr 2015 hatte er die Bedeutung der christlichen Werte für das Zusammenleben hervorgehoben und hinzu gefügt: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Daraufhin hatte Lübcke eine große Zahl von Hass-Mails erhalten, zeitweise erhielt er Personenschutz.

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