Querdenker-Philosoph dreht auf :
Nestbeschmutzer in der Nationalakademie

Joachim Müller-Jung
Ein Kommentar von Joachim Müller-Jung
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Ein lauter Star.
Produzierte die Leopoldina „Pseudofakten“ in der Pandemie? Ein Mitglied der ältesten Akademie der Welt behauptet das - im Namen der Leopoldina. Eine kleine Philosophie des Querdenkens.

Als Gymnasiast, so beliebte der spätere Nobelpreisträger Konrad Lorenz in seinen Vorlesungen zur „Leerlaufhandlung“ gern zu erzählen, habe einmal ein Star auf hoher Warte sitzend seine Aufmerksamkeit erregt. Der Vogel im Zimmer blickte gespannt die weiße Decke empor, „als ob dort Insekten flögen“, flog dann los, schnappte in der Luft zu und kehrte auf seine Warte zurück. „Er vollführte die Bewegung des Totschlagens von Beute, schluckte und verfiel danach in Ruhe“, notierte Lorenz. Dieses, heute würde man sagen, irrationale Verhalten des Stars passte perfekt in seine Instinkttheorie.

Das arme Geschöpf sei von einem steten Fluss aktionsspezifischer „Triebenergie“ durchströmt, die sich als verhaltenskundliche These zwar längst erledigt hat, die allerdings schon ihrer schieren Anschaulichkeit wegen kaum aus dem Sinn geht, durchforstet man erst einmal den Alltag nach entsprechendem Leerlauf-Verhalten. Plötzlich ist der Dschungel voller Psychopathen. Auch bekannten, reflektierten Hirnen kann das irrationale Fliegenfangen zur Manie werden.

Der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld aus Lausanne ist seit Monaten hinter dem her, was er in einem Zeitungsbeitrag in „Die Welt“ jetzt als „organisierte Freiheitsberaubung“ beschrieben hat: den Kampf der Staaten gegen die Pandemie. Auch die bislang dreieinhalb Millionen offizielle Todesopfer lassen ihn nicht zweifeln, dass es sich bei den Schutzmaßnahmen um einen „Teufelspakt“ handele, um „ungesunden Gesundheitsschutz“. Die „Quasi-Diktatur“ mit den Corona-Maßnahmen, der Antiterrorkampf einer „Big-Brother-Lobby“, auch die Eindämmung des Klimawandels durch die Peitschenhiebe von Vater Staat sind für den Philosophen alles Fliegen unter der weißen Decke seines libertären Denkgebäudes.

Esfeld, der seine neue Schrift zusammen mit dem „Ökonom und Philosophen“ Philip Kovce verfasst hat, leidet offenkundig, wie Lorenz sagen würde, an einem manifesten Triebstau: „Mit Merkel an der Spitze regiert der akademisch-administrative Komplex gnadenlos durch – legitimiert durch fragwürdige 15-Kilometer-Verordnungen, Nacht- und Nebel-Infektionsschutzgesetze sowie die normative Kraft des Leopoldina-Pseudofaktischen“. Zwei Absätze später, im Autorenhinweis, renommiert Fliegenfänger Esfeld dann als Mitglied der Nationalakademie Leopoldina. Schon in Lorenzens schlichter gefiederter Welt durfte man so einen Gelehrten mit Fug und Recht einen instinktlosen Nestbeschmutzer nennen.