Wie wir leben Mama, Papa und drei Kinder? Das hat mit Deutschlands Realität wenig zu tun

Singlehaushalte statt Familien
© Image Source/gettyimages
Die klassische Familie wird in Deutschland zum Auslaufmodell. Statt Mutter, Vater und mindestens zwei Kindern leben die Menschen hierzulande hauptsächlich allein. Dass diese Gruppe von jungen Singles dominiert wird, ist allerdings falsch.

Es ist eine viel befahrene Kreuzung in Hamburg, hier donnert der Verkehr zur Autobahn durch. Seit Jahren lag an der Stresemannstraße ein Eckgrundstück brach. Nun entsteht hier neuer Wohnraum, der dringend gebraucht wird. Doch statt großflächiger Wohnungen werden Mikro-Appartements, also Kleinstwohnungen mit höchstens zwei Zimmern, im gehobenen Preissegment errichtet. Seit Frühjahr 2020 wohnen dort Studenten und junge Berufseinsteiger. Das Wohnen auf Zeit hat seinen Preis: Rund 800 Euro werden für die 20 bis 22 Quadratmeter-Zimmer fällig. Die Nachfrage nach kleinen Wohnungen macht das möglich.

Gerade in Deutschlands Großstädten ist ein Trend unverkennbar: Menschen leben allein. Tatsächlich scheint das Lebensmodell Familie als ein Auslaufmodell. Eltern mit drei Kindern machen nicht mal mehr fünf Prozent aller Haushalte aus, bestätigte der Zensus von 2011. Die häufigste Wohnform ist der Singlehaushalt, rund 41 Prozent der Bevölkerung lebt allein, so das Statistische Bundesamt. In den Großstädten ist der Anteil noch viel höher. So sind in Hamburg aktuell 54 Prozent aller Haushalte von Singles bewohnt. Dieser Wert steigt seit Jahrzehnten - und die Gründe sind vielfältig. 

Vergrößern

Menschen werden älter und leben allein

Der demografische Wandel ist einer davon. Die Menschen in Deutschland werden älter, auch dank des medizinischen Fortschritts. Doch inzwischen lebt eine Rentner-Generation, die nicht immer mit Partner alt wird, sondern auch getrennt lebt. Dazu kommt, dass Partner unterschiedlich alt werden. Die Lebenserwartung von Frauen liegt statistisch rund zehn Jahre höher als die von Männern. Die Gruppe der Alten belegt einen großen Teil von Deutschlands Singlewohnungen. Rund 34 Prozent der Alleinlebenden ist älter als 64 Jahre alt.

Dass ältere Menschen allein - und vielleicht auch einsam - leben, wird mitunter auch darauf zurückgeführt, dass sie es sich überhaupt leisten können, allein zu leben. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass gerade in den vermögenderen Ländern im Norden die Menschen eher dazu neigen, allein zu wohnen. In Schweden ist mit 52 Prozent die Singlewohnung die häufigste Wohnform. In südlichen Ländern hingegen, wie in Malta oder Portugal, liegt der Anteil bei gerade einmal 20 Prozent. Tatsächlich zeigt sich im südlichen Europa häufig der "Muttersöhnchen-Index", also der Anteil der jungen Menschen, die im Erwachsenenalter immer noch bei den Eltern leben, als besonders hoch. Das hat auch mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit im südlichen Europa zu tun. Eine eigene Wohnung muss man sich erst mal leisten können. Da bietet das Hotel Mama finanzielle Vorteile.

Singlehaushalte sind eher von Armut bedroht

Doch Singlewohnungen stehen nicht automatisch für Vermögen. Singlehaushalte sind überdurchschnittlich von Armut betroffen oder gefährdet, sie beziehen überdurchschnittlich häufig Hartz-IV-Leistungen, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. 

Der Trend der Singlewohnungen betrifft vor allem Städte. "Wenn man heute stadtnah neu baut, werden die Wohnungen durch gestiegene Grundstücks- und Baukosten automatisch kleiner", sagt Axel-H. Wittlinger vom Immobilienverband Deutschland (IVD) Nord zum "Hamburger Abendblatt". Tatsächlich wohnt jeder Deutsche statistisch auf 46,3 Quadratmetern. Dieser Wert ist seit dem Jahr 2000 um 17,2 Prozent gestiegen. Also doch mehr Fläche für Alleinstehende? Nicht ganz, denn diese Wohnfläche wird auch von Wohnungen am Stadtrand und in ländlichen Gebieten nach oben getrieben. Dort ist Fläche günstiger. Dass aber auch in Metropolen die Wohnungsgröße in Quadratmetern pro Kopf steigt, liegt auch an den Rentnern. Oftmals leben sie noch in den alten Wohnungen, die sie früher mit der Familie bewohnt haben. Jetzt sind sie allein, ein Umzug kommt nicht in Frage - und das treibt den durchschnittlichen Flächenverbrauch. 

Doch die Entwicklung ist klar: In Städten wie Hamburg oder Berlin werden die Wohnungen inzwischen kleiner gebaut. Größere Wohnungen sind teurer - also bleibt nur eine Verkleinerung der Wohnfläche, wenn man weiterhin in nachgefragten Vierteln leben möchte. Und diese Entwicklung kann man derzeit überall in den beliebten Ecken der Städte sehen - auch durch den Bau von Mikro-Wohnungen.

Mehr zum Thema

Newsticker