Fall Ursula Herrmann: "Aberwitzige" Lücken

Strafverteidiger Walter Rubach erklärt in der AZ, warum die Ermittlungen um den Mord aus den 80er Jahren in die Geschichte eingehen – und was es mit dem "Spurenvernichtungskommando" auf sich hat.
| Ruth Schormann
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1981: Die Leiche von Ursula Herrmann wird abtransportiert. Das Mädchen ist in einer Holzkiste erstickt.
dpa 1981: Die Leiche von Ursula Herrmann wird abtransportiert. Das Mädchen ist in einer Holzkiste erstickt.

Strafverteidiger Walter Rubach erklärt in der AZ, warum die Ermittlungen um den Mord an Ursula Herrmann aus den 80er Jahren in die Geschichte eingehen – und was es mit dem "Spurenvernichtungskommando" auf sich hat.

München - Es ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Nachkriegszeit – und über 35 Jahre, nachdem die damals zehnjährige Ursula Herrmann aus Eching in einer Kiste vergraben erstickte, bleiben viele Zweifel daran, ob tatsächlich der wahre Kidnapper seit neun Jahren im Gefängnis sitzt: Werner M. (66). Er bestreitet die Tat seit jeher.

Sein Verteidiger Walter Rubach will eine erneute Beweisaufnahme erwirken, nutzt dazu den laufenden Zivilprozess des Bruders von Ursula Herrmann, der Werner M. auf Schmerzensgeld verklagt hat. Dass er für seinen Mandanten Chancen auf ein Wiederaufnahmeverfahren wittert, beantwortet der Strafverteidiger mit einem vorsichtigen "Jein".

Dennoch gerät die Schmerzensgeldklage von Herrmanns Bruder mehr und mehr in den Hintergrund, spätestens seit der damals ermittelnde Soko-Leiter vergangene Woche befragt wurde. "Er war der hartnäckigste und intelligenteste Ermittler, er hat jetzt eingeräumt, im Strafprozess wichtige Dinge anders dargestellt zu haben", erklärt Rubach. Konkret sind es drei Lücken, die Rubach nutzen kann und will:

Das Geständnis

Klaus P., ein Freund von M., der mittlerweile gestorben ist, gab damals zu, das Loch für die Holzkiste im Wald gegraben zu haben – ein paar Stunden später widerrief er das Geständnis. Rubach hat ein Gutachten von Psychologin Renate Volbert vorgelegt. Das Ergebnis: "Seine Aussage muss nicht erlebnisfundiert gewesen sein."

Dass P. sich in seinem angeblichen Geständnis nur an der Pressemitteilung der Polizei orientieren musste, die der ehemalige Soko-Leiter abgezeichnet hatte, räumte der nun vor Gericht ein. "Man kann nicht einen toten Zeugen, dessen Geständnis nicht verwertbar ist, als Kronzeugen aufbauen", findet Rubach. Von dem Geständnis gibt es außerdem nur ein Gedächtnisprotokoll, kein vom Aussagenden unterschriebenes Dokument. Das führt zur zweiten Schlamperei:

Die Akten

Sie sind teilweise nicht weitergegeben worden, Eifersüchteleien zwischen den Ermittlern störten die Arbeit, der Abschlussbericht im Fall Herrmann sei dreimal umgeschrieben worden. "Ein früherer Staatsanwalt hat einmal gesagt, da war ein Spurenvernichtungskommando unterwegs. Einen derartigen Fall gab es noch gar nicht in der bundesdeutschen Geschichte, glaube ich", sagt Rubach. Nur im Fall Amri sei es noch schlimmer. Bei den Ermittlungen um den Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Amri waren immer wieder Pannen bekannt geworden (AZ berichtete). Ein Komplott, eine Verschwörung im Fall Herrmann wittert Rubach nicht, "das ist der ganz normale Wahnsinn". Insgesamt sei es "aberwitzig", was hier alles zusammengekommen ist.

Das Aufnahmegerät

Der dritte kritische Punkt ist ein Aufnahmegerät, auf dem ein Verkehrsfunk-Jingle von Bayern 3 zu hören war, das die Entführer des Mädchens damals bei Erpresseranrufen benutzten. Die Aufzeichnungen decken sich mit denen auf M.s Gerät, bestätigte ein Gutachten des LKA.

Doch Rubach will eine neue Untersuchung, die Entführer hätten eine andere Version als die auf M.s Gerät benutzt. "Diese Tonbandgerätsache werde ich bis Februar vorbereiten", sagt der Strafverteidiger. Dann soll der Zivilprozess weitergehen.

Das Wiederaufnahmerecht in Deutschland sei "eine Katastrophe" findet Rubach, aber "mein Mandant lebt natürlich nach dem Prinzip Hoffnung".

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