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Foto: Bernd Hohlen
Foto: Bernd Hohlen

Franz Singer begann 1948 eine Lehre als Schmied beim Schmiedemeister Georg Eisele am Milchberg. Jetzt kehrte er an seine alte Wirkungsstätte zurück.

Augsburg
06.12.2020

Nach 60 Jahren kehrt ein ehemaliger Lehrling in die Alte Schmiede zurück

Von Bernd Hohlen

Plus Der 89-jährige Augsburger wurde einst in der Alten Schmiede ausgebildet. Jetzt, da das Haus zu neuem Leben erweckt werden soll, konnte auch der ehemalige Lehrling es noch mal besuchen.

Schon Tage vor seinem Besuch in der Alten Schmiede am Milchberg ging Franz Singer, 89, seine Vergangenheit durch den Kopf. Er war aufgeregt, als er nach 60 Jahren die Räume wieder betrat. Denn hier sollte sich die unsichere Zukunft seines jungen Lebens entscheiden. Und eine seiner schlimmsten Erinnerungen erschüttert ihn noch heute: der Hunger.

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1948 als er seine Schmiedelehre mit 17 Jahren begann, gab es einen Apfel und ein Glas Wasser für den Arbeitstag. Mehr nicht. Mit Tränen in den Augen, 72 Jahre danach, schildert Franz Singer, welche tägliche Qual es für ihn gewesen sei, die Auslagen der Bäcker und Metzger am Augsburger Milchberg zu ertragen. Hunger leiden. Wir können es uns heute nicht vorstellen.

Hunger gehörte für viele zum täglichen Leben

Hunger gehörte so kurz nach dem Krieg für viele Menschen zum täglichen Leben. Die fünfköpfige Familie Singer waren Sudetendeutsche, die 1945 aus Südböhmen vertrieben wurden. Die Singers kamen nach Bobingen zu einem Bauern, der sie nicht wollte. Zwangseinquartiert, wie es hieß, bewohnten sie zu fünft 16 Quadratmeter. Die Umstände waren so trostlos, dass der junge Franz Singer Zuflucht bei einem anderen Bauern fand und dort für seine Unterkunft arbeitete. Eine verantwortungsfreie Kindheit gab es nicht.

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Das Arbeitsamt Augsburg hatte drei Berufe im Angebot. Maurer, Schornsteinfeger und Schmied. Franz Singer entschied sich für eine Schmiedelehre. Den schmächtigen, unternährten Jungen wollte aber keiner für den körperlichen harten Beruf. Schmied Georg Eisele am Milchberg hatte schließlich Herz und Zuversicht. Der Schmiedemeister wurde Franz Singers Ersatzvater. Durch die Vertreibung, den Verlust seiner Existenz und die Verachtung, die ihm und der Familie in Bobingen entgegenschlug, war der leibliche Vater ein gebrochener Mann. Für die Erziehung stand er nicht mehr zur Verfügung.

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Foto: Bernd Hohlen
Foto: Bernd Hohlen

Fritz Sollfrank und Franz Singer beim Schmieden.

Aber Franz Singer geht, trotz aller Härten, seinen Weg. 70 Pferde waren 1948 die Woche zu beschlagen. Pferde? Es waren kriegstraumatisierte Schlachtrösser, voller Angst und unberechenbar. "Einmal, sagt Franz Singer, biss so ein Schlachtross meinem Meister in die Schulter, schüttelte ihn durch und schleuderte ihn in die Ecke. Was würde so ein Pferd mit mir Hänfling machen?", schildert Singer seine Befürchtungen. Denn Schmiedemeister Eisele war ein kräftiger Mann. Es ging aber gut.

Drei Jahre später stand nur noch ein Pferd die Woche an der Schmiede zum Behufen. Dann trotteten die phlegmatischen Kaltblüter der Augsburger Brauereien zum Milchberg. Es gab viel zu lernen. Denn Hufeisen war nicht gleich Hufeisen. In der Zwerchgasse 3 gab es den Frisör Schwendner. "Der hat mich aufgeklärt und gezeigt, wie man verhütet", sagt Singer. Zu spät. Mit 19 Jahren wird Franz Singer, im zweiten Lehrjahr, Vater. Seine Tochter Edith ist bei dem Treffen in der Schmiede dabei. Vater und Tochter verstehen sich sehr gut, die Mutter starb vor zehn Jahren.

1950 brach eine neue Zeit an. Die wenigen Pferde, die zu beschlagen waren, brachten nichts mehr ein. Nun wurden Gitter und Tore geschmiedet, Schlittenkufen, oder Nägel wurden bei Eisele gefertigt. Einmal flog Franz Singer auch in die Ecke der Schmiede. Er hatte in eine besonders breite, eiserne Wagenbereifung ein Loch gebrannt. Da bekam er von Meister Eisele eine heftige Watschen. "Ich glaube, es hat ihm hinterher selbst leidgetan", sagt Singer ohne Groll. Nach drei Jahren Lehrzeit und vier Gesellenjahren wechselte Singer zur MAN. Als er dann sein eigenes Haus in Aystetten baute, trat sein Lehrmeister Schmied Georg Eisele noch einmal als Retter in Erscheinung. Es gab Probleme mit dem Grundwasser beim Rohbau, und Eisele hatte Verbindungen zur Regierung von Schwaben. Dort konnte Singer sehr konkret und unbürokratisch geholfen werden.

Die Alte Schmiede in Augsburg wird von Studenten belebt

Die Möglichkeiten, die ihm, dem kleinen, vertriebenen Jungen aus Böhmen, durch den Schmied Georg Eisele gegeben wurden, bewegen ihn sehr. Es ist ein Vormittag zwischen Lachen und Tränen der Erinnerung. Die Studenten der Hochschule Augsburg und ihr Dozent Professor Christian Bauriedel, die diese Schmiede für die Hochschule zu neuem Leben erwecken und dieses Treffen arrangiert haben, sind ebenfalls anwesend. Nachdem Franz Singer mit Freude und sehr kraftvoll den Schmiedehammer geschwungen hat und dem jungen Schmied Fritz Sollfrank noch einige Tipps auf den Weg gegeben hat, wird ihm die Ehrenmitgliedschaft des Projektvereins der Hochschule überreicht. Für ein paar Stunden war die Alte Schmiede voller Leben und Erinnerungen. Franz Singer war tatsächlich seines Glückes Schmied.

Sehen Sie sich dazu auch unsere Multimedia-Story an: Virtuelle Tour durch die Alte Schmiede: So sieht das Denkmal von innen aus 

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