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Angry Black Woman? Wie ich meine Wut besiegte – und meine Schönheit als schwarze Frau erkannte

Von Latifah Cengel

Dieser Beitrag wurde am 21.09.2019 auf bento.de veröffentlicht.

"Weiß wie Schnee" ist Schneewittchens Haut,  "fein wie gesponnen Gold" ist Rapunzels Haar. So schreiben es die Gebrüder Grimm. Meine Lieblingsprinzessin war immer Cinderella in der Disney-Version: Süß und brav. Und hellbeige mit gelben Haaren.

Cinderella gab mir vor wie Schönheit aussah – anders als ich. Denn ich war ein kleines Mädchen mit dunkler Haut, krausem Haar und Pausbacken.

Mein Anderssein begann im Kindergarten. Meine Kindheit verbrachte ich im bürgerlichen Münsterland, als schwarzes Mädchen unter Weißen, mit liebevollen Eltern und vielen Freunden. Und ich verstand einfach nicht, warum ich mich so anders fühlte. Warum sehe ich nicht aus wie Lisa und Anna?, fragte ich mich, während meine Mutter mir neugierige, weiße Kinder immer wieder durch die Locken fuhren.

Als ich fünf war, hasste ich es, in die Sonne zu gehen, denn ich hatte Angst, noch dunkler zu werden. Das änderte sich erst, als wir zum ersten Mal nach Ghana reisten. Alle waren dort schwarz: Die Verkäuferinnen und Busfaher, meine Onkel und Cousinen. Ich verstand, dass ich nicht überall auf der Welt auffiel. Und meine Mutter ist noch immer erleichtert, dass ich danach im Sommer endlich wieder draußen spielte.

Ich hatte panische Angst vor dem Erwachsenwerden. Denn ich ahnte, dass die Gesellschaft in der ich groß wurde, mich niemals hübsch finden würde. Also versuchte ich, die anderen Mädchen zu kopieren. Ihre Kleidung, Bewegungen, Interessen – und ihre Prinzessinnen.

Das funktionierte gut, bis die Pubertät kam. Sie ging bei mir früher los als bei meinen Klassenkameradinnen. Ich bekam erste Kurven, hatte noch etwas Babyspeck. Aus den schlanken und nordeuropäisch aussehenden Mädchen stach ich nun noch mehr heraus.

Als ich 11 war, trat die Wut in mein Leben. Ich war lauter als die anderen, bissiger. Ich ließ mir nichts gefallen und boxte zurück. Die Wut, meine Hautfarbe und mein Gewicht brachten mir Spitznamen ein: Braunbär und Rhinozeros. Meine Lehrer waren von den Aggressionen nicht überrascht: "Wundert euch doch nicht, dass sie sich wehrt, Jungs!".

Sie dachten, meine Wut sei Stärke und meine Verzweiflung sei Selbstsicherheit.

Heute weiß ich, die Wut hat einen Namen: Angry Black Woman. 

Es gibt Kulturwissenschaftlerinnen und Soziologen, die das Phänomen untersuchen. Sie schreiben "Das Stereotyp charakterisiert diese Frauen als aggressiv, launisch, unlogisch, anmaßend, feindselig und ignorant." (Studie ) Wenn schwarze Frauen Emotionen zeigen, werden sie also dafür bestraft. Das macht sie nur noch wütender. 

Das Narrativ "Angry Black Woman" ist ein Teufelskreis, der vor berühmten und erfolgreichen Frauen keinen Halt macht. Tennis-Ikone Serena Williams gehört zu den einflussreichsten schwarzen Frauen im Sport. Als sie nach den US Open im letzten Jahr ihren Schläger zerbrach, wurde die wütende, schwarze Frau verwarnt. Sie sah das als Zeichen für Rassismus. Die schwarze Juraprofessorin Trisha Jones erklärte der BBC : Schwarze Frauen sollen sich nicht wehren. "Und tun sie es doch, werden sie als aggressiv wahrgenommen. Bedrohlich. Laut." 

Meine Wut war Selbstverteidigung. 

Gegen die Ungerechtigkeit, als Frau ignoriert und nicht ernstgenommen zu werden. Die Wut kennen viele schwarze Frauen. Sogar Michelle Obama, Inkarnation von Grazie und Güte, schreibt in ihrer Biografie "Becoming", wie sie als wütende Frau abgetan wurde. Im Podcast 2Dope Queens  erklärt sie: "Wenn du eine Frau bist und wütend dazu, hören die Leute nicht mehr zu, was du sagen willst". 

Mit Zwölf zog ich vom bürgerlichen Münster ins belebte Saarbrücken. Ich war wieder das einzige schwarze Kind in der Klasse. Aber da war auch eine nette Gruppe türkischer Mädchen, unsere Klassensprecherin kam aus dem Kosovo und der Pausenhof war so bunt, dass ich gar nicht auffiel. 

Als ich nicht mehr tough sein musste, holte der Schmerz mich ein. Und die Wut richtete sich nach innen. 

Nach außen strotzte ich vor Selbstbewusstsein. Aber die Beleidigungen, die ich weggesteckt hatte, drängten sich zurück in meinen Kopf und ich bekam Depressionen. Mein Oberschenkel sah aus wie ein gut benutztes Schneidebrett. Ich schnitt nie besonders tief, die Narben sind heute kaum noch erkennbar. "Angry black woman" zu sein, heißt auch, keine Verletzlichkeit zu zeigen. (BBC )

Eine britische Studie untersuchte, welche ethnischen und Alterskohorten am häufigsten nach Selbstverletzungen in der Notaufnahme landen. Platz eins belegen schwarze Frauen zwischen 16 und 36. Selbst wenn sie in Behandlung sind, wird oft vergessen, dass Rassimus ein Teil der Auslöser der Symptome sein kann, ein sogenannter Stressor. (Studie )

Als ich 14 war, fand ich schwarze Freunde. 

Es fiel auf wenn wir als Gruppe schwarzer Kids auf die Kirmes oder in den Jugendclub zogen. Ich erinnere mich noch gut an einen Abend, als wir im Bus saßen. Ein betrunkener Weißer rief, wir sollten "in unser Land zurückgehen" und uns "zum Teufel scheren".

Aber plötzlich konnte ich das ab, denn ich fühlte mich sicher. Ich war nicht mehr allein. Ich sah mich gespiegelt in der Gruppe von vier schwarzen Mädchen mit geflochtenen Haaren und lauten Stimmen. 

Es war wie die letzte Szene aus einem Hollywoodfilm. Wie in Mean Girls oder Clueless, wo die Protagonistin plötzlich zu sich selbst findet und auf dem Abschlussball tanzt. Nur ohne dramatisches Falling Out, ohne weiße beste Freundinnen und ohne Umstylingszene.

Wobei: Auch für mich waren meine Haare ein großer Teil der Selbstfindung. Rastas, Afro, Weave oder Cornrows: Es bedeutet in der schwarzen Community viel, sich über Haare auszudrücken. Im Sommer als Deutschland Fußball-Weltmeister wurde, machte ich den "Big chop", den großen Schnitt.  So nennen es schwarze Frauen, wenn die durch Hitze und chemische Glättung kaputten Haare abgeschnitten werden. Meine beste schwarze Freundin hatte das in einem Youtube-Tutorial gesehen. Und unsere Locken hatten einiges mitgemacht. 

Als die Haare ab waren, war die Wut weg. 

Ich ließ mir einen Undercut rasieren. Mir gefiel mein erwachsenes Ich. Ich konnte mein Anderssein sogar ein bisschen feiern. Und ich entdeckte die andere Seite schwarzer Frauen: Die Solidarität.

Frauen, die sich einen harten Panzer zulegen mussten, werden abgestempelt. Also suchen sie untereinander Kraft und Bestärkung. Ich entdeckte Seiten auf Instagram, die die Schönheit von Melanin feiern. Beyonce, Rihanna und Ciara wurden meine Vorbilder. Immer weiter drang ich in die verborgene Welt vor, in der schwarze Frauen Bilder posten, nur um von ihrer eigenen, kleinen Community Unterstützung zu erfahren. 

Ich sah Frauen mit meinem Körper, meinen Haaren und meinen Erlebnissen die dafür gepriesen und nicht gedemütigt wurden.

Heute bin ich stolz, schwarz zu sein. Neulich habe ich mir die Umrisse Afrikas auf meinen rechten Unterarm tätowieren lassen. Als Nakia (Lupita Nyong'o) in Black Panther über die Leinwand wütete, dachte ich an mich selbst, mit fünf. Ich dachte an die Kinder, die sich heute nicht in die Sonne trauen, bei denen sich fremde Finger in den Afro wühlen, die keine Worte für ihr Anderssein haben. Ich dachte: Wäre der Film vor 15 Jahren erschienen, hätte ich mich schneller selbst lieben gelernt? Vielleicht.

Die Wut ist Antrieb geworden. Ich habe verstanden, dass der Rassimus mich krank gemacht hat. Aber auch, dass andere noch viel mehr davon erfahren. Meine Mutter ist weiß. Man sagt mir "Du bist hübsch für eine Afrikanerin" und  "So wie du ist perfekt, aber dunkler ist hässlich".

Wenn mir Rassismus begegnet, werde ich übrigens noch immer sehr sauer, eine stolze, wütende, laute, schwarze Frau. Denn solche brauchen wir.

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