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Beates Schwestern: Warum rechte Frauen oft unerkannt bleiben

Und warum das Stereotyp der harmlosen Frau sie besonders gefährlich macht.

Dieser Beitrag wurde am 26.12.2019 auf bento.de veröffentlicht.

»Hallo Andersdenkende!« begrüßt Naomi Seibt die Abonnentinnen und Abonnenten ihres YouTube-Kanals. Naomi (18) trägt einen roten Strickpulli und langes, blondes Haar, sie hat einen starken Lidstrich und sitzt nah vor der Webcam. Der Titel ihres Videos ist »Migrationskritik«:  Seenotretter würden Notsituationen für Geflüchtete selbst schaffen um von einer »Schlepperindustrie« zu profitieren. Unqualifizierte Migranten seien darauf aus, im »Wohlfahrtsstaat Deutschland« ihrer Faulheit zu frönen. Sieben Minuten und dreizehn Sekunden dauert das Video, seit 2019 hat es rund 68.000 Aufrufe. 

Naomi gilt in manchen rechten Kreisen als »Hoffnungsträgerin« und »Anti-Greta« (SPIEGEL). Sie ist eloquent und gut vernetzt: Mit dem rechten YouTuber Oliver Flesch spricht sie darüber, warum sie gegen Abtreibungen ist, mit  Brittany Sellner, der Frau des Identitären Martin Sellner, geht es darum, wie es ist, »für Deutschland zu kämpfen«, und jüngst berichtete sie über ihre »Reise zum Climate Realism« auf dem Kanal des klimawandelleugnenden »Heartland Instituts« (SPIEGEL). 

Naomi ist nur ein Beispiel für eine ganze Reihe junger Bloggerinnen der rechten Szene.

Sie verbreiten antifeministische, klimaleugnende und rassistische Botschaften – und trotzdem werden sie kaum als Bedrohung wahrgenommen. Wir wollten wissen, woran das liegt – und sind deshalb folgenden Fragen nachgegangen: 

  1. Wie treten rechte Frauen auf und welche Rolle erfüllen sie für die Szene?

  2. Wie ist der historische Umgang mit rechten Frauen und was kann man daraus  lernen? 

  3. Bräuchten junge rechte Frauen andere Präventionsangebote, um sich von der Ideologie zu befreien, als junge Männer? 

1. Rechte Frauen in den sozialen Medien: die Normalisiererinnen

Lange Haare, verträumter Blick, ein weites Kornfeld, dazu ein Spruch: Die Social-Media-Kanäle von rechten Bloggerinnen unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht unbedingt von denen anderer junger Frauen. Das Bild eines Neo-Nazis ist bis heute das Gegenteil davon: männlich, offen gewaltbereit, düster. 

Frauen ästhetisieren den "Widerstand".

Fachstelle für Rechtsextremismus und Familie (RuF)*

»Die Reichweite rechter Frauen über soziale Medien ist sehr groß. Durch ihr Auftreten wirken sie zunächst völlig unpolitisch und unverdächtig", so eine Referentin von der Fachstelle für Rechtsextremismus und Familie (RuF ), die aus Sicherheitsgründen hier anonym bleiben will. So würden menschenverachtende und rassistische Inhalte scheinbar nebenbei vermittelt.

Gerade deshalb sind die Frauen für die rechte Szene wertvoll:

Frauen geben der rechten Szene ein besseres Image.

Referentin von der Fachstelle für Rechtsextremismus und Familie (RuF)*

Frauen seien zwar unterrepräsentiert, stünden jedoch zur Verbesserung des Images zur Verfügung, sagt eine RuF-Referentin.

Man bezeichnet so etwas als »Normalisierungsstrategie«: Durch betont harmloses und normales Auftreten sollen menschenfeindliche Positionen Anschluss an die konservative Mitte der Gesellschaft finden. 

Das funktioniere besonders gut, wenn junge Frauen auch gesamtgesellschaftlich debattierte Themen aufgriffen, erklärt die Referentin. So würden rechte Ansichten mit denen der konservativen Mitte vermengt. Das geschehe bei jungen Frauen besonders durch Themen wie Erziehung, Familie, Sexualität oder Gewalt gegen Frauen umgesetzt. »Die Themen werden zum Beispiel antifeministisch aufgeladen. Durch den Antifeminismus wird die Rolle von rechtsextremen Frauen gestärkt. Weil Antifeminismus gesellschaftlich anschlussfähig ist, können so auch rechtsextreme Frauen in breiteren Kreisen wirken«, so die RuF-Referentin*. 

Ziel der Strategie ist »eine Verschiebung des Sagbaren: »Mit dem Slogan ›Das wird man ja wohl noch sagen dürfen‹ normalisieren Rechtsextreme menschenverachtende Äußerungen und ebnen damit den Weg für gewalttätige Handlungen.« (Amadeu Antonio Stiftung )

Ein Beispiel ist die Aktion »120db«. Diese gilt als Versuch, die #metoo-Debatte für rechte Zwecke zu nutzen. Mehrere, überwiegend junge Frauen riefen dazu auf, sich gegen Mord und Vergewaltigung an Frauen einzusetzen. Dabei fixierten sich die Aktivistinnen auf »die deutsche Frau« als Opfer und »den Ausländer« als Täter. Die Initiatorinnen sind Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachteten »Identitären«. Die jungen Frauen liefen in der ersten Reihe von Demonstrationen mit. Sehr großen Erfolg hatte die Aktion zudem durch YouTube-Videos. 

2. Die unsichtbaren Täterinnen und was man über sie lernen kann.

Frauen beeinflussen nicht nur die Debatte – sie können auch aktiv an Verbrechen beteiligt sein. Als Täterinnen werden sie später und seltener erkannt als Männer. Das macht sie besonders gefährlich.  

Im Buch »Rechte Gewalt in Deutschland « erinnert sich ein Sozialarbeiter an das Jahr 1992. Die damals 17-jährige Beate Zschäpe habe in einem Jugendtreff in Jena auf die Frage nach ihrem Berufswunsch geantwortet: »Es müssen erst die Ausländer weg.« 

Passiert ist daraufhin nach Aussage des Sozialarbeiters: nichts.

Vergangenes Jahr wurde Zschäpe als Teil des rechtsradikalen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) für die Mittäterschaft bei der Ermordung von zehn Menschen verurteilt. (SPIEGEL

Dass rechtsextreme Frauen oft übersehen werden, liegt an einer »doppelten Unsichtbarkeit«, wie die Expertinnen Heike Radvan und Esther Lehnert vom Präventionsnetz gegen Rechtsextremismus  schreiben.

Zunächst würden Frauen im Allgemeinen nicht als politisch wahrgenommen. Diese Wahrnehmung verschärfe sich bei der Betrachtung des rechten Spektrums. Hier würden Frauen noch weniger als politische Aktivistinnen verortet, sie würden nicht als gewaltbereit erkannt, sondern für gemäßigte, passive Mitläuferinnen gehalten.

Gerade diese Unsichtbarkeit macht rechte Frauen besonders gefährlich, wie auch das Extrembeispiel Beate Zschäpe zeigt:  

  • Während der anfänglichen Ermittlungen verhinderte die Unsichtbarkeit rechter Frauen eine raschere Aufklärung. Denn das Profil der Rasterfahndung, mit der nach möglichen Tatverdächtigen gesucht wurde, war: männlich (Schlussbericht des Landtages NRW , S. 350, unten). 

  • Inzwischen ist bekannt, dass Zschäpe durch aktives Aufrechterhalten einer gutbürgerlichen Fassade als »nette Nachbarin« gezielt das Leben im Untergrund ermöglichte (SPIEGEL). 

  • Nach Bekanntwerden der Morde wurde oft über ihr Aussehen, ihre Familie und ihre Haustiere debattiert.

Und auch die Unterstützerinnen des NSU wirkten nahezu unsichtbar: Im Zuge der Verurteilung von Beate Zschäpe wurden mehrere Männer als Unterstützer des Trios angeklagt. Es wurde bekannt, dass zudem auch Frauen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt jahrelang geholfen haben, ihre Taten unerkannt weiter ausführen zu können. In mehreren Verhören distanzierten sie sich entweder von der Szene und schafften es, durch eine bürgerliche Fassade ihre Unterstützung herab zu spielen und zu verharmlosen, oder beriefen sich auf Erinnerungslücken, denen bis heute nicht weiter nachgegangen wurde. Angeklagt wurde keine der Unterstützerinnen (Amadeu Antonio Stiftung , S. 42 ff.).

Frauen als potenzielle Täterinnen – das Konzept ist offenbar eines, an das sich unsere Gesellschaft erst gewöhnen muss. Sogar Täterinnen aus der NS-Zeit wurden lange – und werden noch heute – vielfach eher als Opfer denn als aktive Verbrecherinnen wahrgenommen, wie das Buch »Täterinnen« von Kathrin Kompisch  eindrucksvoll demonstriert. Ihnen wurde nicht öffentlichkeitswirksam der Prozess gemacht, ihre Verantwortung, Funktionen und Methoden blieben der Welt verborgen. 

3. Braucht man spezielle Präventionsarbeit für rechte Frauen? 

Die Unsichtbarkeit von rechten Frauen ist nicht nur in der Strafverfolgung ein Problem, sondern auch in der Präventionsarbeit. 

Ein spezielles Angebot an Frauen, die sich von der rechten Szene distanzieren wollen, gibt es nicht. Durch die Geschlechterrollen der rechten Szene wäre eine geschlechtsspezifische Unterstützung beim Ausstieg von Vorteil.

Johanna Sigl

Johanna Sigl ist Sozialpädagogin an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie hat zum Komplex biografischer Wandlungen ehemals organisierter Rechtsextremer promoviert und eine geschlechterreflektierende Untersuchung durchgeführt.

Für rechte Männer und Frauen spielen innere und äußere Faktoren eine Rolle, sagt Sigl. Ein externer Faktor sei zum Beispiel Druck aus dem beruflichen oder privaten Umfeld. »Frauen sind dabei seltener externen Faktoren ausgesetzt. Das wiederum liegt daran, dass ihre rechte Einstellung öfter übersehen wird«, so Johanna Sigl.

Ein innerer Faktor sei beispielsweise das Selbstbild. Klar definierte Rollenbilder für Mann und Frau seien für junge Menschen in der rechten Szene oft reizvoll. Doch wenn junge Frauen anfingen, das Rollenbild zu hinterfragen, bräuchten sie dafür spezifische Angebote. Diese gibt es jedoch kaum.

Häufig würden Hilfsorganisationen auch dann kontaktiert, wenn es bereits Konflikte mit der Justiz gibt oder wenn der Aussteiger keine Kontakte mehr außerhalb der Szene hat. Beides ist bei Frauen seltener der Fall: Sogenannte Normalisiererinnen pflegen viele Kontakte außerhalb des Milieus und fallen selten strafrechtlich relevant auf – das bedeutet laut Professor Richard Stöss  nicht, dass sie weniger gewaltbereit sind.

Solange rechte Frauen unsichtbar bleiben, sie nicht verfolgt werden und ihnen keine spezifische Hilfe angeboten wird, bleiben sie eine geheime Waffe der rechten Szene. 

Die Strategie der netten, unverdächtigen jungen Frau funktioniert auch außerhalb des Internets. Eine RuF-Referentin* erzählt, dass sie in ihrer Beratungsarbeit vermehrt Anfragen von sozialen und pädagogischen Einrichtungen erhielte, die mit rechten Frauen in ihrer Mitte konfrontiert sind seien. »Eine Taktik der letzten Jahre ist, dass sie vermehrt in pädagogische oder soziale Berufe und Studiengänge drängen. Oftmals können rechte Frauen dort agieren und ihr Gedankengut so weiter verbreiten.«

Die Gefahr von rechten, eher männlichen Netzwerken bei der Bundeswehr oder der Polizei werden öffentlich diskutiert. Für Kindergärten und Grundschulen gilt das bisher nicht. 

»Hallo Andersdenkende«, begrüßt Naomi ihre Abonnenten. Sie wirkt nachdenklich, ernst und sehr, sehr jung. Als »Nationalistin« habe sie Angst um »unsere Kulturnation«. Und trotz dieser Worte fällt es nicht leicht, die 18-Jährige als Rechte einzustufen, wenn man sie sieht.

*Im Rahmen eines neuen Sicherheitskonzeptes der Fachstelle für Rechtsextremismus und Familie (RuF)  haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darum gebeten, anonym zu bleiben.

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