Bei Covestro läuft es. Klammert man die Autoindustrie aus, die unter den Chip-Lieferengpässen leidet, verzeichnet der Chemiekonzern bei allen Zielmärkten volle Auftragsbücher. Das gilt vor allem für die Bauindustrie sowie die Elektronik- und Medizintechnikbranche.

Erst im September hat Vorstandschef Markus Steilemann zum zweiten Mal in diesem Jahr die Prognosen für 2021 erhöht. Der operative Gewinn soll zwischen 2,7 und 3,1 Milliarden Euro landen und damit fast wieder das Vorkrisenniveau von 3,2 Milliarden Euro aus dem Jahr 2018 erreichen. Dasselbe gilt für die Kapitalrendite, die zwischen 16 und 20 Prozent erwartet wird. Der freie Cashflow soll sich auf 1,6 bis zwei Milliarden Euro statt wie bislang angenommen 1,3 bis 1,8 Milliarden Euro belaufen. Zugleich will Covestro weniger anfällig für konjunkturelle Schwankungen und auch grüner werden. Das entsprechende Zukunftsprogramm hat das Management kürzlich auf einem Investorentag vorgestellt. In der Produktion sollen sich ökologische Rohstoffe, recycelbare Materialien und erneuerbare Energien in einer Kreislaufwirtschaft vereinen. Zudem hat sich der Werkstoffspezialist vorgenommen, die Fixkosten bis 2023 auf dem Niveau von 2020 zu halten.

Vorsichtige Analystenschätzungen

Alles gut also, wäre da nicht der Aktienkurs. Seit dem Aufgalopp zum Jahresanfang kommt der DAX-Titel nicht so recht vom Fleck. Der Hauptgrund dafür ist, dass die meisten Branchenexperten noch davon ausgehen, dass die Aufholeffekte nach dem massiven Einbruch vom Vorjahr Covestro für 2021 eine Sonderkonjunktur bescheren werden. 2022 soll der Gewinn dann bestenfalls stagnieren und 2023 im oberen einstelligen Bereich zulegen.

Wirft man einen Blick auf die Geschäftsfelder von Covestro, spricht einiges dafür, dass der DAX-Konzern erneut positiv überraschen könnte, wenn er am 8. November sein Zahlenwerk für das abgelaufene Quartal präsentiert. Ein großer Pluspunkt gegenüber etlichen Wettbewerbern ist, dass sich die Leverkusener gegen Produktknappheiten infolge mangelnder Kapazitäten bei neuen pandemiebedingten Shutdowns abgesichert haben. Das gilt vor allem für die Polyurethane, die fast die Hälfte das Konzernumsatzes stellen. Diese Schaumstoffe stecken in Dämmstoffen von Häusern und Kühlschränken, in Autositzen, Matratzen und vielen anderen Alltagsgegenständen. "Covestro steht hier im Branchenvergleich gut da, weil der Konzern die Investitionen für die Instandhaltung konstant gehalten hat, in den Aufbau von Kapazitäten investiert hat und global aufgestellt ist", meint Markus Mayer, Analyst bei der Baader Bank.

Krisenresistent und günstig bewertet

Ein weiterer Vorteil: Im Vergleich insbesondere zu seinen asiatischen Konkurrenten ist das Unternehmen bei seinen Absatzmärkten global und bei der Produktion lokal aufgestellt. Damit verringert sich das Risiko, dass Lieferketten vorübergehend ausfallen und die Produktion abgewürgt wird. Außerdem hat Covestro mit großen Energiekonzernen lang laufende Verträge geschlossen, was in Zeiten rasant steigender Energiekosten einen Vorteil bei der Energiesicherheit bietet. Analyst Mayer ist davon überzeugt, dass die Nachfrage aus allen Sektoren jenseits der Autoindustrie in den nächsten Quartalen hoch bleibt: "Die Sorgen vieler Investoren wegen möglicher Auswirkungen der Chipknappheit auf die Chemiebranche könnten deshalb übertrieben sein." Darüber hinaus bleibe von der Preis- und Margenseite das starke Momentum hinsichtlich der Preissetzungsmacht im MDI-Geschäft erhalten. Methylendiphenylisocyanate (MDI) spielen eine Schlüsselrolle für die Produktion von Dämmsystemen für Gebäude und Kühlgeräte. "Die Tatsache, dass BASF seine Anlage in Ludwigshafen nach einem längeren Shutdown wieder hochgefahren hat und trotzdem die TDI-Preise hochgehen, spricht dafür, dass die Materialknappheit anhält. Covestro sollte davon weiter profitieren." Toluoldiisocyanat (TDI) ist ebenfalls ein wichtiges Zwischenprodukt für die Kunststoffindustrie.

Indes wird das Unternehmen sein Zahlenwerk im dritten Quartal erstmals auf Basis der im Frühjahr beschlossenen Umstellung auf zwei Geschäftsbereiche berichten. Branchenexperten bewerten die Aufteilung in ein Geschäftsfeld mit hochmargigen Spezialprodukten und eines aus der Basischemie als positiv, weil so deutlich sichtbar wird, in welchen Produktgruppen das Geschäft läuft - oder auch nicht. Das erhöht den Druck, Schwachstellen bei der Profitabilität sofort anzugehen. Auch unter der Annahme, dass Covestro 2022 nur noch ein moderates Wachstum schafft, bleibt die Aktie mit einem einstelligen 2022er-KGV sehr günstig bewertet. Umso mehr, da Covestro bei der operativen Marge zuletzt mit 15,3 Prozent deutlich besser abgeschnitten hat als DAX-Rivale BASF (11,9 Prozent), der auf eine ähnliche Bewertung kommt. Eine üppige Dividende gibt es obendrauf. Steigert Covestro in den nächsten Quartalen weiter die Margen, könnte die Aktie mittelfristig wieder in Richtung ihres Allzeithochs bei 96,70 Euro laufen, das sie im März 2018 erreichte.

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