Spaniens Rechtspopulisten nutzen Corona zur Mobilisierung

Proteste gegen die Regierung statt Applaus für die Helfer

Die erneute Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen in Spanien sorgt für Unmut in der Bevölkerung. Am Wochenende protestierten Tausende gegen die Einschränkungen. Besonders Rechtspopulisten nutzen dies für ihre Zwecke.

Autor/in:
Manuel Meyer
Coronavirus - Proteste in Spanien / © Jesús Hellín/EUROPA PRESS (dpa)
Coronavirus - Proteste in Spanien / © Jesús Hellín/EUROPA PRESS ( dpa )

Mit "Viva Espana" und Rufen nach "Freiheit" haben am Samstag Tausende Spanier gegen die Corona-Politik der Zentralregierung protestiert. Lautstark forderten die Demonstranten den Rücktritt von Ministerpräsident Pedro Sanchez und seiner sozialistischen Linksregierung. Aufgerufen zu den landesweiten Demonstrationen hatte die rechtspopulistische Vox-Partei.

Barcelona, Sevilla, Valencia, Malaga - in mehr als 50 spanischen Städten veranstalteten die Rechtspopulisten unter dem Motto "Karawanen für Spanien und seine Freiheit" Protestumzüge. Um die Corona-Ansteckungsgefahr zu reduzieren und die Demonstrationen genehmigt zu bekommen, organisierte Vox Auto-Karawanen, die es erlaubten, den Mindestabstand einzuhalten. Dennoch waren viele Menschen auch zu Fuß unterwegs.

Größte Demo in Madrid

Die größte Demo fand in der spanischen Hauptstadt statt. Die Madrider Innenstadt kam fast völlig zum Erliegen. Die kilometerlange Hauptverkehrsader Paseo de la Castellana glich einem Meer aus spanischen Fahnen; der Lärm der Autohupen war ohrenbetäubend.

Eine Spanien-Flagge schwenkend begleitet Javier Arien den Autokorso am Straßenrand. "Diese Regierung hat uns in der Corona-Krise belogen, betrogen, spät und falsch reagiert und ist damit verantwortlich für Tausende von Toten", sagte der 67-jährige Rentner der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Premier Sanchez und dessen linker Koalitionspartner seien "kriminelle Vaterlandsverräter", die sich mit den "Feinden Spaniens", sprich katalanischen und baskischen Separatisten, zusammengetan hätten.

Spanische Rechtspopulisten befeuern Proteste

Argumente, die auch der Chef der spanischen Rechtspopulisten, Santiago Abascal, gerne benutzt. Tatsächlich stützte sich Sanchez jüngst auf Kataloniens Linksseparatisten und am vergangenen Mittwoch auch auf die baskische EH Bildu, um eine Parlamentsmehrheit für die fünfte Verlängerung des Corona-Lockdown zu bekommen und lieferte den Rechtspopulisten damit neues Material zur Mobilisierung ihrer Proteste.

"Protestiert weiter auf den Straßen, von den Balkonen. Nicht weil euch eine Partei dazu aufruft, sondern um Spanien zu schützen", so Vox-Chef Abascal. Wie in anderen europäischen Ländern nutzen auch in Spanien die Rechtspopulisten den zunehmenden Unmut der Bevölkerung über die Lockdown-Maßnahmen für ihre Zwecke.

Zunächst mehr Rückhalt für Regierung durch Krisenmanagement

Denn gerade zu Beginn der Pandemie hatten Sanchez und der konservative Oppositionsführer Pablo Casado in den politischen Debatten rund ums Krisenmanagement Rückhalt gewonnen. Das spiegelt sich auch in aktuellen Umfragen wider. Die relativ neue Vox-Partei, die bei den Wahlen im vergangenen November überraschend zur drittstärksten Parlamentsfraktion aufstieg, verliert derzeit an Rückhalt.

"Vox nutzt nun die steigende Unzufriedenheit der Bürger mit dem Krisenmanagement der Regierung, um wieder politische Präsenz zurückzubekommen", meint der spanische Politologe Jordi Rodriguez. Und es gibt immer mehr unzufriedene Bürger. Das zeigen auch Umfragen des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS.

"Anfangs war der Alarmzustand noch notwendig, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Doch mittlerweile missbraucht Sanchez den Notzustand, um sich der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen und seine ideologische Agenda durchzusetzen", sagt der 51-jährige Madrilene Jorge Martin.

Angst vor wirtschaftlichen Folgen

Beispiele seien die derzeitige Planung einer Reichensteuer und die Abschaffung der arbeitgeberfreundlicheren Arbeitsmarktreform der konservativen Vorgängerregierung. Martin trägt ein weißes T-Shirt, auf dem auf Spanisch "Sanchez verschwinde" steht. Er gehört zu den Demonstranten, die am Madrider Kolumbus-Platz die vorbeifahrenden Autos der Protestkarawane anfeuern.

Er sei konservativ, aber kein Vox-Wähler, betont Martin. Als Selbstständiger betreibt er in Madrid eine Wohnungsvermittlung für Studenten. Wie viele andere schaut er mit Angst auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Experten schätzen, dass die spanische Wirtschaft in diesem Jahr um 9 Prozent einbrechen, die Arbeitslosenquote von 13 auf 20 Prozent hochschießen könnte.

Steigende Arbeitslosigkeit

Mehr als eine Million Spanier haben bereits ihre Jobs verloren. In Großstädten wie Madrid und Barcelona werden die Schlangen bei den Armenspeisungen immer länger. "Und je länger die Regierung den Alarmzustand und die Ausgangssperren aufrechterhält, desto schwärzer sehe ich die Zukunft", so Martin.

Wie er denken immer mehr Spanier - die Rechtspopulisten greifen diese Ängste auf. Bereits vor einer Woche animierte Vox die Menschen in Madrid zu ersten kleinen Bürgerproteste gegen die für viele zu strikten Lockdown-Maßnahmen. Die Rechnung ging auf. Vox ist wieder in aller Munde, die Proteste breiteten sich schnell auch auf andere spanische Städte aus.

Die nun täglich um 21.00 Uhr stattfindenden Balkonproteste gegen die Regierungspolitik stellen den allabendlichen Applaus für Ärzte und Krankenpfleger in den Schatten. Rechtsextreme Formationen organisierten in den vergangenen Tagen trotz Versammlungsverbots Proteste vor der Parteizentrale der Sozialisten und den Privatwohnungen von Regierungsministern. Die spanische Polizei warnt bereits vor einer möglichen Eskalation.


Quelle:
KNA