Wie Empathie entsteht, was sie stärkt und was ihr schadet

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Ein Vater spielt mit seinem vierjährigen krebskranken Sohn. Ein Video zeigt, wie die beiden lachen, sich Geschichten erzählen und umarmen. Der Schädel des Jungen ist...

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. Ein Vater spielt mit seinem vierjährigen krebskranken Sohn. Ein Video zeigt, wie die beiden lachen, sich Geschichten erzählen und umarmen. Der Schädel des Jungen ist kahlrasiert. Auf seinem Krankenhaus-Shirt ist ein Bärchen zu sehen. Es ist ein unglaublich trauriges Video. Für die Betrachter bedarf es keiner Erklärung, was die beiden Menschen fühlen. Unsere Empathie lässt es uns zweifelsfrei erkennen und eigene Emotionen entstehen.

Es scheint ganz einfach, doch die Vorgänge, die in unserem Gehirn Empathie hervorbringen, sind alles andere als simpel. Es beginnt schon damit, dass man zwei Arten von Empathie unterscheidet – die kognitive und die affektive. Die erste erlaubt es uns, die Gefühle anderer Menschen zu erkennen, sich praktisch in unser Gegenüber hineinzuversetzen. Darauf mit angemessenen Emotionen zu reagieren, stellt die affektive Empathie dar.

Psychopathen fehlt die affektive Seite

Simon Baron-Cohen, Psychologe an der Universität von Cambridge, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Empathie: „Psychopathen fehlt die affektive Seite. Sie erkennen zwar die Gefühle anderer Menschen, empfinden selbst dabei jedoch nichts“, erklärt er den wichtigen Unterschied zwischen kognitiver und affektiver Empathie. „Mangelnde affektive Empathie ist ein notwendiger Faktor, um menschliche Grausamkeit zu erklären“, so Baron-Cohen. Gute kognitive Empathie sei dabei sogar gefährlich, denn indem die Psychopathen Emotionen erkennen, können sie ihr Gegenüber sogar besser manipulieren.

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Umgekehrt haben Autisten Probleme mit der kognitiven Empathie. Ihnen fällt es schwer, die Gedanken, Motive, Vorhaben und Gefühle anderer Menschen zu verstehen. „Autisten verletzen andere Menschen nicht. Stattdessen verstehen sie sie nicht und ziehen sich zurück. Sie bevorzugen die vorhersagbare Welt der Objekte“, so Baron-Cohen. Die affektive Empathie sei in Autisten jedoch intakt, denn es beunruhigt sie, wenn sie hören, dass jemand leidet.

Immer bessere bildgebende Verfahren erlauben den Forschern, mehr und mehr über die Entstehung der Empathie herauszufinden. Im menschlichen Gehirn arbeiten dafür mindestens zehn Regionen zusammen. Eine wichtige Gehirnregion ist die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Ihr ist es zu verdanken, dass wir Gesichtsausdrücke erkennen können. Als Teil des limbischen Systems ist sie außerdem an der Verarbeitung von Gefühlen beteiligt. Wird die Amygdala beschädigt, können Patienten beispielsweise einen ängstlichen Ausdruck nicht mehr entschlüsseln.

Eine andere Rolle fällt der Inselrinde zu. Sie hilft einerseits, unsere eigenen Gefühle zu vermitteln. Andererseits ist sie aktiv, wenn wir sehen, dass jemand Schmerz empfindet.

Auch bestimmte Nervenzellen, die Spiegelneurone, arbeiten bei der Empathievermittlung mit. Wenn wir lächeln, weil jemand anders lächelt, sind sie aktiv – immer dann, wenn wir bewusst oder unbewusst die Handlungen unseres Gegenübers nachahmen.

Hormone beeinflussen ebenfalls unsere Fähigkeit, Empathie zu empfinden. Ein Beispiel ist Oxytocin, das oft stark vereinfacht das Liebeshormon oder Kuschelhormon genannt wird. Das Video von Vater und Sohn stammt aus einer Studie, in der die Forscher die Oxytocin-Konzentrationen im Blut der Probanden maßen. Die Studienteilnehmer sollten außerdem ihre Gefühle einstufen. Heraus kam, dass Menschen mit mehr Oxytocin mehr Empathie empfanden. Paul J. Zak, renommierter Vertrauensforscher und Oxytocin-Experte von der Claremont Graduate University, drückt es so aus: „Der Grund, warum wir anderen Menschen vertrauen und sie besser behandeln, ist, dass Oxytocin unsere Empathie verstärkt. Wenn ich Oxytocin ausschütte, fühle ich mich verbundener mit anderen, zumindest vorübergehend. Und wenn ich emotional verbunden bin, gehe ich besser mit den Menschen um.“

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Es gibt jedoch nicht nur die biologische Seite der Empathie. Ob jemand viel oder wenig davon hat, kann auch durch soziale Faktoren bestimmt werden, wie Baron-Cohen erklärt. Wenn Menschen sich einer Autorität unterordnen, kann die Empathie vorübergehend geringer werden. So können wir uns unter anderem viele Schrecken des Dritten Reiches erklären. Auch eine fanatische Ideologie wie die von Terroristen kann die Empathie außer Kraft setzen. Wenn sie davon überzeugt sind, das einzig Richtige zu tun, blenden sie die Gefühle derer aus, denen sie Leid zufügen. Die negative Stereotypisierung ganzer Bevölkerungsgruppen verringert die Empathie. Menschen werden dabei als minderwertig oder weniger menschlich angesehen, sodass Empathie als zwischenmenschliches Verständnis verloren geht.

Dabei ist es ein wesentlicher Teil zwischenmenschlicher Beziehungen, die Gefühle des jeweils anderen zu verstehen. Baron-Cohen geht einen Schritt weiter: „Empathie ist unerlässlich für eine gesunde Demokratie. Sie sorgt dafür, dass wir uns andere Perspektiven anhören. Ohne Empathie wäre Demokratie nicht möglich.“

Das Einfühlungsvermögen lässt sich trainieren. Wie einige Studien zeigen, kann man seine eigene Empathie verbessern. Zum Beispiel schneiden Menschen, die oft und gerne Romane lesen, in Empathie-Tests deutlich besser ab, vermutlich durch eine gesteigerte Vorstellungskraft. Interagieren wir mit Menschen, die wir zuerst als ‚seltsam‘ oder ‚anders‘ einstuften, scheint unser Gehirn schon nach wenigen Kontakten zu lernen – unser Einfühlvermögen gegenüber diesen Menschen verstärkt sich schnell.

Umarmungen signalisieren Vertrauen

Paul J. Zak schlägt eine einfache Methode vor, um die Empathie zu stärken: „Fremde zu umarmen hat eine große Auswirkung auf das Oxytocin-System. Ich signalisiere ihnen damit, dass ich ihnen vertraue. So habe ich mit einer Umarmung dem Gehirn vorgegaukelt, dass wir uns näherstehen, als es vielleicht der Fall ist. Ich benutze das Empathieempfinden meines Gegenübers. Die Umarmung macht soziale Interaktionen effektiver, indem man das Gehirn wie einen Computer hackt.“

Doch gerade am Computer kommt die Empathie gerne zu kurz, wie Amina Wagner von der TU Darmstadt erklärt. Die Wirtschaftsinformatikerin interessiert sich dafür, inwiefern Menschen in sozialen Netzwerken die Gefühle anderer Nutzer einschätzen können. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass in sozialen Netzwerken der Ich-Fokus verstärkt wird. Nutzer fokussieren sich auf ihre egoistischen Ziele und zeigen ihre schönen Momente, um im Gegenzug ‚Likes‘ von ihren Empfängern zu erhalten.“ Die tatsächlichen Gefühle der anderen Nutzer seinen dabei nicht sichtbar, so Wagner. Daher gebe es auch keinen Lernprozess, durch den man sich besser auf die anderen Menschen einstellen könne.

Von Stefanie Uhrig