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SPD-Kanzlerkandidat Scholz: Es gibt keinen Grund für eine positive Prognose

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Berlin: Olaf Scholz, stellvertretender Vorsitzender der SPD und Bundesminister der Finanzen, spricht beim SPD-Bundesparteitag.
Der frisch gekürte SPD-Kanzlerkandidat heißt Olaf Scholz. © Kay Nietfeld/dpa

Finanzminister Olaf Scholz steht für alles Mögliche. Aber für die Alternative zum „Weiter so“, die das Land bräuchte, steht er nicht. Kann sich das noch ändern? Der Leitartikel.

Um 10.50 Uhr twitterte Olaf Scholz: „Jetzt ist es raus.“ Er meinte natürlich das, was ohnehin schon alle erwartet hatten, nur nicht so früh: seine Nominierung zum Kanzlerkandidaten. Was dem amtierenden Bundesfinanzminister allerdings noch besser gefallen haben dürfte, war die Unterschrift zu dem beigefügten Foto. Es zeigte ihn zwischen den Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, und darunter stand die Zeile „Scholz und 2 weitere“.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Ist er auch ein Mannschaftsspieler?

Das war natürlich keine Absicht, es sei denn, jemand im Social-Media-Team hätte sich einen Scherz erlaubt. Aber es gibt die Gedankenwelt dieses Mannes doch ganz treffend wieder: Im Zentrum steht Olaf Scholz, und irgendwo drumherum gibt es dann auch noch „die weiteren“. Und seien es die Vorsitzenden, die ihn einst im Rennen an die Parteispitze besiegten. Ärgerlicher Unfall damals, aber was interessiert es einen Kanzlerkandidaten, wer unter ihm Chefin ist und Chef?

Aber wer weiß, vielleicht entdeckt Olaf Scholz ja nun, da er als Führungsfigur in den Wahlkampf gehen darf, auch noch den Mannschaftsspieler in sich. Ohne persönliche Eigenschaften überzubewerten: Wenn er wenigstens eine Minimalchance haben will, vom Kandidaten zum Kanzler zu werden, wird es mit Selbstherrlichkeit nicht gehen. Schon gar nicht in dieser Partei. Und das hat mit Inhalten viel mehr zu tun als mit Personen.

Olaf Scholz: SPD-Kanzlerkandidat bezieht sich gern auf das Konstrukt der „Mitte“

Es ist ja nicht so, also stünde Olaf Scholz nur persönlich gern im „Zentrum“, sondern er tut das auch politisch. Seit vielen Jahren gehört er zu denjenigen in der SPD, die sich mit Hingabe auf das gedankliche Konstrukt der „Mitte“ beziehen. Hier müssten die Wählerinnen und Wähler erreicht werden, die es für Mehrheiten oder jedenfalls bessere Ergebnisse braucht.

Wo und was genau sie ist, diese Mitte, weiß niemand so genau zu sagen. Irgendwie scheint es um Menschen zu gehen, die – so ein schon geflügeltes Klischee-Wort – „morgens früh aufstehen und zur Arbeit gehen“, für große Entwürfe nichts übrig, mit einschneidenden Veränderungen nichts am Hut und sich mit Angela Merkel ganz kuschelig eingerichtet haben. Daraus ergibt sich dann ganz von selbst eine Strategie: Nur niemanden verschrecken, nur der Konkurrenz von rechts keinen Anlass geben, irgendwelche sozialistischen Schreckgespenster an die Wand zu malen.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz: SPD seit 2005 dreimal in der großen Koalition

Das ist so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was Sigmar Gabriel in seinen besseren Zeiten mal der Partei mitgegeben hat. Nach einer der schweren Niederlagen – nämlich der von 2009 – gab Gabriel in Sachen Mitte sinngemäß die Parole aus: Wo die Mitte ist, sollten wir uns von der politischen Konkurrenz und konservativen Experten nicht länger einreden lassen. Die SPD, so der damals neue Vorsitzende, müsse es schaffen, zu zeigen, dass ihre Ziele und Ideen in die Mitte des politischen Spektrums gehören.

Daraus ist leider nichts geworden, Leute wie Olaf Scholz und der damals unterlegene Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier haben es erfolgreich verhindert. In drei von vier Legislaturperioden seit 2005 ging die SPD in die große Koalition, mit den bekannten Folgen bei Wahlen. Was den rechten Flügel – Scholz inklusive – nie gehindert hat, diesen Weg für den einzig heilsbringenden zu erklären.

Olaf Scholz: SPD-Kanzlerkandidat muss einiges klarmachen

Die Definitionsmacht über die Mitte von links her zurückzugewinnen: Das müsste auch jetzt noch (beziehungsweise wieder) das Ziel der Sozialdemokratie sein. Sie müsste einiges klarmachen, das in Groko-Zeiten fast in Vergessenheit geraten ist:

Kanzlerkandidat Olaf Scholz: SPD als führende Reformkraft?

Sollte Olaf Scholz für all dies und die vielen anderen, notwendigen Veränderungen brennen, hat er das bisher zumindest erfolgreich verborgen. So stellt sich – wie schon bei den Kandidaten Steinmeier 2009, Steinbrück 2013 und Martin Schulz 2017 – die alles entscheidende Frage: Kann sich die SPD mit diesem Mann an der Spitze als führende Reformkraft präsentieren, als Alternative, die etwas anderes tut, als den Merkelismus mit anderem Parteilogo weitgehend fortzusetzen?

Es wird sich zeigen, welche inhaltlichen Zugeständnisse die beiden Linken an der Parteispitze dem künftigen Kandidaten abgerungen haben oder noch abringen werden. Einstweilen gibt es hier keinen Grund für eine positive Prognose. Das Schlimme daran ist nicht so sehr, dass die SPD dafür womöglich auch bei der nächsten Wahl wieder bestraft werden wird. Das Schlimme ist: Wieder droht die notwendige Alternative zum Weiter so, deren Notwendigkeit doch spätestens seit Corona auf der Hand liegen sollte, hinter der Ideologie der Mitte zu verschwinden. (Von Stephan Hebel)

Olaf Scholz über die Gründe für seine Kandidatur zum SPD-Vorsitz, Europa als ausgleichende Kraft – und womit er einen Jugendlichen überzeugen würde, seiner Partei beizutreten.

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