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Erster offizieller Strahlentoter

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Polizisten suchen noch im März 2018 nach Überresten von Fukushima-Opfern.
Polizisten suchen noch im März 2018 nach Überresten von Fukushima-Opfern. © imago

Japan tut sich schwer, Krankheiten der Katastrophenhelfer von Fukushima anzuerkennen.

Japan hat seinen ersten offiziellen Strahlentoten nach dem Reaktorunglück von Fukushima vor sieben Jahren. Ein 41-jähriger Kraftwerksmitarbeiter sei an Lungenkrebs gestorben, der auf die erhöhte Strahlenbelastung während der Atomkatastrophe zurückgehe, teilte das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales am Donnerstag in Tokio mit. Auch die Krebserkrankungen drei weiterer Arbeiter führt das Ministerium auf ihre Tätigkeit an dem Atomkraftwerk zurück.

Die japanische Regierung tut sich aus mehreren Gründen schwer damit, Strahlentote aufgrund des Fukushima-Unfalls offiziell anzuerkennen. Als Eigentümerin des verantwortlichen Stromkonzerns Tepco muss sie Entschädigungen zahlen – und es ist unklar, wie viele Fälle in Zukunft noch auftreten. Auf der einen Seite hat sie die Umgebung des Kraftwerks wieder zum Wohnen freigegeben, was ebenfalls Entschädigungen spart. Auf der anderen Seite will sie vor den Olympischen Spielen in Tokio 2020 ein Gefühl der Sicherheit und Normalität verbreiten.

Krebspatienten in der weiteren Region werden fast immer Zweifelsfälle bleiben – es lässt sich nur selten mit medizinischer Sicherheit ermitteln, was die Erkrankung ausgelöst hat. Die Tepco-Mitarbeiter, die nach dem schicksalhaften 11. März 2011 auf dem Gelände arbeiteten, waren jedoch ganz eindeutig sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Ein schweres Erdbeben und eine meterhohe Flutwelle hatten die Reaktorgebäude zerstört. Die Verkehrsverbindung war unterbrochen. Ganz zu Anfang mangelte es sogar an Schutzausrüstung und guten Gasmasken. Wasserstoffgas explodierte, Bruchstücke verbrauchter Brennelemente wurden in die Luft gewirbelt. Der Betreiber evakuierte einen Großteil seiner 750 Mitarbeiter aus der Strahlenzone.

Die „Fukushima Fifty“

Dennoch blieben einige Dutzend Männer des Kraftwerkspersonals auf dem Gelände, um das wenige zu verhindern, was noch zu verhindern war. Medien nannten sie die „Fukushima Fifty“, die sich erheblicher Gesundheitsgefahr aussetzten. In den Tagen danach kamen Feuerwehrleute, Spezialkräfte von Firmen wie Toshiba und weitere Hilfsarbeiter aus Tokio hinzu. Zu den Zeiten der schlimmsten Freisetzung radioaktiver Stoffe arbeiteten 580 Personen auf dem Gelände – grundsätzlich freiwillig. Der damalige Premier Naoto Kann sagte, die Arbeiter seien Helden, „bereit zu sterben“.

Der Lungenkrebspatient, der nun gestorben ist, hatte schon seit 1980 für Tepco gearbeitet. Er gehörte zu einem Team, das Strahlenmessungen vornahm. Die Einstufung seiner Krankheit als arbeitsbedingt folgte einem bürokratischen Automatismus: Den gesammelten Aufzeichnungen über die tägliche Strahlenbelastung zufolge hatte er über sein Arbeitsleben eine Dosis 195 Millisievert abbekommen – das meiste davon in den Tagen der Katastrophe. Die Regeln sagen, dass die Krebserkrankung eines Mitarbeiters, der in einem Fünfjahreszeitraum einer Dosis von mehr als 100 Millisievert ausgesetzt war, als Arbeitsunfall anerkannt wird.

Es ist also unklar, ob der Krebs des Mannes wirklich von Fukushima kommt. Und noch unklarer ist, ob nicht andere Krebsfälle, die nicht ins Raster passen, in Wirklichkeit von der Katastrophe verursacht wurden. Der Fall hat jedoch als erster anerkannter Strahlentod durch den japanischen GAU auf jeden Fall symbolische Bedeutung.

Seismologen befürchten weitere schwere Erdbeben

Die Diskussion über die Gefahren der Kernkraft geht daher in Japan weiter – zumal ein Ereignis vom Donnerstag als neue Warnung aufgefasst werden kann. Ein Erdbeben mit Magnitude 6,7 erschütterte die Nordinsel Hokkaido. Die Behörden meldeten bis Dienstagabend neun Tote, doch über 30 Personen waren bis dahin noch vermisst.

Das nahe Kernkraftwerk Tomari wurde starken Erschütterungen ausgesetzt. Es folgte ein Stromausfall wie seinerzeit bei Fukushima-Daiichi. Doch die Reaktoren der Anlage sind seit fünf Jahren heruntergefahren: Sie haben wegen verschärfter Sicherheitsbestimmungen nach der Fukushima-Katastrophe keine neue Betriebsgenehmigung bekommen. Weil die Meiler ohnehin nur noch Restwärme produzieren, bestand also kaum Gefahr.

Seismologen befürchten für die kommenden Jahre weitere schwere Erdbeben vor der Ostküste Japans, wo mehrere tektonische Platten aufeinanderstoßen. Die Regierung unter Premier Shinzo Abe denkt daher langsam um: Statt eines Neustarts der Kernmeiler und einer Rückkehr ins Atomzeitalter will sie lieber eine konsequente Wende zu erneuerbarer Energie mit Wasserstoff als Zwischenspeicher einleiten. Der neue nationale Versorgungsplan vom Juli 2018 sieht dafür erstmals eine konsequente Energiewende vor. Dennoch ist dort eine Basisversorgung von einem runden Fünftel Atomkraft bis 2030 vorgesehen.

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