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Wenn Bürokratie in den Tod führt

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Vor der tödlichen Flucht: Salah L. und seine Frau.
Vor der tödlichen Flucht: Salah L. und seine Frau. © privat

Salah L. hat es von Aleppo nach Deutschland geschafft, aber durfte seine Familie nicht nachholen. Jetzt ist es dafür zu spät.

Jeremias Mameghani ist frustriert. Der Düsseldorfer Anwalt hat seit Mitte vergangenen Jahres im Namen seiner Mandanten Hunderte Klagen eingereicht – gegen den Status eines subsidiären Schutzberechtigten und das damit einhergehende Aussetzen des Familiennachzugs. Die Chancen auf eine vollwertige Anerkennung als Flüchtling stünden gerade für junge Männer im wehrpflichtigen Alter gut, die bei einer Rückkehr in ihr Heimatland befürchten müssen, von der Armee eingezogen zu werden. Doch die Mühlen mahlen viel zu langsam. „Ich musste mir den Unmut einfach von der Seele schreiben“, sagt Jeremias Mameghani der FR. Also hat er in der vergangenen Woche einen offenen Brief an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) geschrieben.

Darin beschreibt Mameghani anhand eines Falles ganz präzise, wohin die Verweigerung einer Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann: Seit Anfang des Jahres vertritt Jeremias Mameghani Salah L., der im Frühjahr 2015 aus Aleppo nach Deutschland gekommen ist und jetzt im nordrhein-westfälischen Ratingen wohnt. Zehn Monate musste Salah L. warten, bis er einen Asylantrag überhaupt stellen konnte. Obwohl der 31-jährige Reservist bei einer Rückkehr nach Syrien eine erneute Einberufung befürchten muss, erhielt Salah L. Anfang September lediglich den subsidiären Schutz. Für das laufende Klageverfahren gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf rechnet Mameghani seinem Mandanten hohe Erfolgsaussichten aus. Nur käme jede positive Entscheidung viel zu spät.

Frau und Kinder ertrinken

Salah L. hatte seine zum Zeitpunkt der Flucht schwangere Frau Fidan und seine damals einjährige Tochter Zolaicha in Syrien zurücklassen müssen. Das Geld für die Schlepper reichte nur für ihn, seine Frau und die Tochter kamen später bei Verwandten in der Türkei unter, Salah L. schickte regelmäßig den Lohn seines 450-Euro-Jobs. Bis er die Anstellung verlor. Nach mehr als zwei Jahren der Trennung, nach dem zermürbenden Warten auf Entscheidungen, Anerkennung, Urteile, sahen Salah L. und seine nunmehr 24-jährige Frau nur noch einen Ausweg: Die letzten Ersparnisse in Izmir erneut in die Hände von Schleppern geben, die Fidan L., ihre nun 3-jährige Tochter Zolaicha und den mittlerweile geborenen einjährigen Taim in einem Schlauchboot gen Griechenland bringen sollten. Das Festland erreichte die Familie von Salah L. nicht.

Vor rund zwei Wochen kenterte das Boot nur einen Kilometer vor der Südwestküste der Türkei. Elf der 18 Insassen ertranken im Mittelmeer, darunter Fidan L. und ihre beiden kleinen Kinder. Die Schlepper hatten Schutzwesten so nah vor der Küste verboten, die Überfahrt war als Bootstour getarnt.

Salah L. hat seinem Anwalt erlaubt, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, dem offenen Brief an Thomas de Maizière auch Familienfotos beizufügen. „Ich will ihm einfach klarmachen, wohin das Ganze führt“, sagt Mameghani. In seinem Brief fragt er den Politiker, ob er jemals einem Syrer habe erklären müssen, warum er seine Familie nicht nachholen kann. Oder warum erst Monate und Jahre, Anwaltstermine und Gerichtsverfahren verstreichen müssen, bevor es zu einer im besten Fall rettenden Entscheidung kommt.

Es sind eben diese Fragen, die Mameghani nicht nur vor eine fachliche, sondern jeden Tag auch vor eine menschliche Herausforderung stellen. „Die Leute kommen zu mir und ich muss ihnen erklären, warum sie ihre Familie in den Krisengebieten sitzen lassen müssen, warum alles so lange dauert. Ich muss ihnen das Handeln des Gesetzgebers erklären, auch wenn ich nichts damit anfangen kann“, sagt er. Ob bei den Entscheidungen auch eine gewisse Willkür mitspiele, das könne er nicht klar sagen. „Aber ich erlebe in der täglichen Praxis, dass jene Syrer, die in der Heimat noch Familie haben, nur den subsidiären Schutz kriegen und diejenigen ohne Familie schneller die Flüchtlingseigenschaft anerkannt bekommen.“ Die Angst der Politiker vor einem weiteren Familiennachzug sei so kurz vor der Bundestagswahl auch Angst um den eigenen Posten, glaubt Mameghani, Angst vor dem Wähler.

Nicht nur Hass, auch Hilfe

Dass nicht alle Menschen für die Geschichte von Salah L. Empathie aufbringen, das bekommt der Anwalt aktuell schließlich selbst zu spüren. Die Resonanz auf seinen offenen Brief sei nicht nur positiv. Zwar berichten seit dem vergangenen Wochenende zahlreiche Medien von dem Fall. Mameghani hat die gewünschte Öffentlichkeit erreicht, muss aber auch mit bösartigen Nachrichten und Hasskommentaren umgehen.

„Viele Menschen haben vergangene Woche von der heimischen Kaffeetafel aus ihre Pöbelkommentare geschrieben. Sie geben Salah L. selbst die Schuld, er habe seine Familie ja nicht in Syrien sitzen lassen müssen“, sagt Mameghani. „Aber die kennen den Einzelfall nicht, die kennen Salah nicht.“ Manche Kommentare auf Facebook richten sich auch speziell gegen den Anwalt und seine Arbeit. Mameghani ist das egal, antworten will er auf solche Nachrichten nicht. „Ich bin nur meinen Mandanten gegenüber verpflichtet. Das ist, was für mich zählt“, sagt er.

Es sind die positiven Rückmeldungen, auf die sich Mameghani konzentriert. Bei einer Spendenaktion für Salah L. sind in kürzester Zeit rund 3000 Euro zusammengekommen. Der Syrer stand nach dem Schock über den Tod seiner jungen Familie auch vor einem finanziellen Problem. Er muss für die Überführung der Leichen nach Syrien binnen kürzester Zeit 2000 Euro aufbringen. Sein ganzes Geld aber hatte er den Schleppern gegeben. „Trotzdem ist Salah L. relativ stabil“, sagt Mameghani. „Er hat in den zwei Jahren, in denen er in Deutschland ist, einige Freunde gefunden, die ihn jetzt stützen. Auch sein Bruder, der in Köln lebt, ist für ihn da.“

Der größte Wunsch seines Mandanten sei jetzt eine eigene Wohnung. berichtet Mameghani. Noch lebt Salah L. in einem Flüchtlingsheim, er hatte erst mit seiner kleinen Familie in eine erste eigene Wohnung in Deutschland ziehen wollen. „Jetzt braucht er aber dringend genügend Raum, um zu trauern“, sagt Mameghani. „Einen Ort der Ruhe, an dem er sich überlegen kann, wie er sich sein Leben jetzt noch neu aufbauen kann.“

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