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In der Hölle wird es eng

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Sartres »Geschlossene Gesellschaft« wird nur noch selten gespielt. Das Schauspiel Frankfurt hat das zum Glück korrigiert. 	Foto: Thomas Aurin
Sartres »Geschlossene Gesellschaft« wird nur noch selten gespielt. Das Schauspiel Frankfurt hat das zum Glück korrigiert. Foto: Thomas Aurin © Thomas Aurin

»Die Hölle, das sind die anderen« - Der Satz aus Sartres Stück ist längst ein Gassenhauer. Im Frankfurter Schauspiel erleben wir jetzt: Er stimmt immer noch.

Was! So klein ist die Hölle!? Da passen die doch gar nicht alle rein! Denkt man, wenn man den Saal mit der großen Bühne betritt. Das reicht nie und nimmer für sämtliche Lügner, Lüstlinge und Geizhälse, Prasser, Totschläger und Massenmörder, all diese verkommenen toten Seelen. Irrtum. Wir sind nicht bei dem italienischen Dichter Dante (1265-1321), sondern bei dem französischen Existenzialisten Jean-Paul Sartre (1905-1980).

Bei ihm sind es nur vier. Und das muss reichen. Denn um die Hölle als eine entsetzliche Folterfantasie von gepeinigten Körpern, bevölkert mit bizarren Monstren geht es bei Sartre nicht. Sein 1944 im Paris unter deutscher Besatzung entstandenes Stück verlegt die Hölle in einen bürgerlichen Salon im Second-Empire-Stil.

Während bei Dante noch der erhabene Dichter Vergil durch die düsteren Hallen führt, hat bei dem Franzosen ein launiger Kellner Garcin, Inès und Estelle in ein mysteriöses Hotel gebracht. Warum sie dort gelandet sind? Der eine hat seine Frau gequält und wurde erschossen. Die andere hat ihr Kind in den See geworfen und den Liebhaber in den Tod getrieben. Die dritte starb im Gas, das ihre Geliebte aufdrehte. Nun sitzen sie in einem freundlichen Etablissement beieinander und plaudern in komödiantischem Konversationston daher. Allmählich jedoch werden die verborgenen Abgründe offenbar. Die Temperatur steigt. Der Ton wird rauer. Die toten Insassen sind selbst fiese Teufel. Sie streiten, hassen, malträtieren sich. Und klammern sich aus unerfindlichen Gründen gleichwohl aneinander - so wie wir alle. Oder nicht?

Regisseurin Johanna Wehner (38) und ihr Team haben die »Geschlossene Gesellschaft« nun auf eine Reise ins Virtuelle geschickt. Dieser Käfigraum aus flackernden Leuchtstreben wirkt abstrakt, zeit- und ortlos, wie eine Art Zelle in einer womöglich gigantischen mechanischen Cube-Konstruktion, in der unzählige andere geschlossene Gesellschaften versammelt sind. Oder wie die Sektion eines Raumschiffs, das wie eine »Event Horizon« durch ein dunkles, furchteinflößendes Universum zieht. Von »oben« können die Toten immerhin beobachten, was »unten« auf der Erde geschieht.

Wehner hat Sartres Text auf wiederkehrende Motive gescannt. Sie verdichtet, sediert oder beschleunigt Sprache immer wieder in Wiederholungsschleifen und rhythmischen Strukturen, die manchmal wie Rap-Einlagen wirken oder Sprechgesänge bei einem existenzialistischen Poetry Slam: »Wozu, wozu, wozu«, »draußen, draußen«, »Was für eine Hitze«. Das Personal fällt sich ins Wort, nimmt Bruchstücke auf. Das hat seinen Reiz.

Es wird in diesen zwei Stunden überhaupt niemals langweilig. Woran das liegt? An Matthias Redlhammer (Garcin), Patrycia Ziolkowska (Inès), Anna Kubin (Estelle) und Heidi Ecks (Kellner).

Was sie aufführen, ist oft so komisch, grotesk und witzig, dass man denkt: Die Hölle ist doch auch ein großes entlarvendes Vergnügen. Redlhammer in seinem absurd bunt schillernden Kostüm ist erheiternd schon durch seine bloße Existenz, die ihren Platz irgendwo zwischen Mathieu Carrière, Harald Juhnke und Gernot Hassknecht hat. Famos, wie er sich ereifern kann, wie er schimpft und zetert, grübelt und greint! Sein teuflischer Toter gehört zum Unterhaltsamsten, was die Hölle seit ihrer Erfindung zu bieten hat.

Anna Kubin: Wie sie beinah schwerelos mit ihren Federbüschen im roten Haar durch den Käfig schwebt, verliebt in sich selbst und alle schönen Oberflächen, ein wie von einer Mechanik aufgezogenes nervöses Püppchen, das ständig unter Spannung steht und in den Bewegungen einer rätselhaften Choreografie folgt - das ist neu und außergewöhnlich.

Ahnung von Glück

Patrycia Ziolkowska ist grellblond auftoupierte Hysterie, Punk-Vamp, Drag-Queen, derbe Empfindsamkeit. Wo sie ist, kann es nicht still werden. Wo sie steht, ist keine Leere mehr. Dazwischen geistert Heidi Ecks als schelmenhaft stichelnder Kellner und Portier durch die Narrenhölle. Manchmal werden alle vier von eine Musik erfasst, die sie in eine seltene Eintracht wiegt. Es ist wie eine Ahnung von einem Glück, das sein könnte.

Die Dramaturgie möchte die Inszenierung auch als Reflex auf einen uniformen neoliberalen Zeitgeist und seelenlosen Kapitalismus verstanden wissen. Na ja. Das sieht man nicht. Was man sieht, ist eine aufgedrehte, schrille Gesellschaft individueller Zombies, die sich in der Hölle der ewigen Wiederkehr des Gleichen quält. Diese vier Menschen könnten aufhören. Niemand zwingt sie in Wahrheit zusammen: Der Raum ist nicht verschlossen. Sie könnten gehen. Aber sie tun es nicht. Sie machen weiter. Und wenn nicht bei Sartre, dann in den Foren des Internets, bei Twitter, Facebook oder sonstwo. Das Unglück dauert fort.

»Geschlossene Gesellschaft« wird nur noch selten gespielt. Frankfurt hat das korrigiert. Bravo.

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