Aktivisten stellen Forderungen

Villa Rühl: Nach Räumung fordern Hausbesetzer ein neues soziales Zentrum

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Räumung verlief friedlich: Die Polizei war am Montag um 5 Uhr mit einem Großaufgebot an der Mönchebergstraße, um die Hausbesetzer von dem Gelände zu verweisen, das die Universität verwaltet. Später kam es am Rande eines Pressegesprächs auf dem Campus kurzzeitig zu Tumulten.

Kassel. Nachdem die Villa Rühl geräumt wurde, äußern die Hausbesetzer ihr Unverständnis darüber, dass das Gebäude nicht genutzt wird. Sie fordern ein neues soziales Zentrum in Kassel.

Die Einsatzkräfte überraschten die Hausbesetzer um 5 Uhr in der Frühe: Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am Montagmorgen die Villa Rühl an der Mönchebergstraße geräumt. Neben mehr als einem Dutzend Fahrzeugen war dabei auch ein Hubschrauber beteiligt.

Der Einsatz

Insgesamt 17 Personen – 14 Männer und drei Frauen – wurden von den Beamten aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Ein 30-Jähriger musste von Einsatzkräften herausgetragen werden, weil er sich weigerte, selbst zu gehen. Später versuche ein Mann, an der Absperrung der Polizei vorbei, wieder auf das Gelände zu kommen. Er leistete Widerstand, als ihn die Beamten daran hinderten. Eine Frau, die laut Polizei während der Durchsuchung unter Atemproblemen litt, wurde vorsorglich in ein Krankenhaus gebracht. Insgesamt verlief die Aktion aber weitgehend ruhig.

Die Personalien der 17 Hausbesetzer wurden aufgenommen. Sie müssen sich nun wegen Hausfriedensbruchs und womöglich auch Sachbeschädigung verantworten.

Die Reaktion der Besetzer

Die Besetzer kündigten nach der Räumung an, sich weiter für ein soziales Zentrum in Kassel einsetzen zu wollen. „Ich bin enttäuscht, dass es jetzt vorbei ist, aber in der Zeit der Besetzung ist viel entstanden“, sagte einer der Aktivisten gegenüber der HNA. „Es gibt inzwischen eine große Gruppe, die unsere Idee mitträgt.“ In einer Pressemitteilung des Projekts „Unsere Villa“ äußern die Aktivisten Unverständnis, warum die leer stehende Villa Rühl nicht genutzt werden könne. 

Bei der geforderten Schaffung eines neuen, nicht-kommerziellen sozialen Zentrums sehen sie auch die Hochschule in der Verantwortung. „Die Universität baut und baut und fühlt sich nicht verantwortlich für den öffentlichen Raum, den sie damit prägt.“ Nach der Räumung war es zu Tumulten vor der Pressekonferenz der Uni gekommen. 

Die Vorgeschichte

Wie berichtet, hatten die Hausbesetzer den Gebäudekomplex am Pfingstwochenende in Beschlag genommen. Sie wollten dort ein selbst verwaltetes soziales Zentrum für Kassel einrichten. Die Liegenschaft an der Mönchebergstraße gehört dem Land Hessen und wurde 2013 der Universität Kassel übertragen. Nachdem die Besetzer trotz mehrfacher Gespräche mit der Hochschulleitung keine Bereitschaft zeigten, das Gelände freiwillig zu verlassen, hatte die Uni Strafantrag gestellt.

Die Nachwehen

Reiner Finkeldey

Am Rande eines Pressegesprächs, zu dem die Uni am späten Vormittag eingeladen hatte, kam es dann kurzzeitig zu Tumulten auf dem Campus. Vor dem neuen Institutsgebäude des Fachbereichs Architektur, das während des Pressetermins von der Polizei gesichert wurde, hatten sich etwa 40 Sympathisanten der Besetzer versammelt. Sie skandierten: „Wessen Villa? Unsere Villa“. Als die Hochschulleitung das Gelände wieder verlassen wollte, machten die Demonstranten den Weg für das Fahrzeug nicht frei. Daraufhin drängten die Beamten die Aktivisten weg. 

Uni-Präsident Prof. Dr. Reiner Finkeldey hatte zuvor erklärt, dass es den Hausbesetzern nicht um Angelegenheiten der Hochschule gehe, sondern sie „ideologische Forderungen von außerhalb“ in die Universität hintrügen. „Unsere Hochschule wird da als Bühne missbraucht, das lassen wir nicht zu.“ Die Universität sei die falsche Adresse für Forderungen nach niedrigeren Mieten und einem allgemeinen Stadtteilzentrum.

Die Pläne für die Villa

Uni-Kanzler Dr. Oliver Fromm betonte, dass die Hochschule angesichts des anhaltenden Raummangels den Gebäudekomplex an der Mönchebergstraße selbst benötige. Bis Ende des Sommersemesters solle entschieden werden, welcher wissenschaftliche Bereich dort einziehen soll. Bevor die Villa wieder genutzt werden kann, sei eine grundlegende Sanierung nötig.

Kommentar von Katja Rudolph: Keine Alternative

Viele Kasseler sind am Montagmorgen vom Gedröhn des Polizeihubschraubers aufgewacht. Und mit der Sorge in den Tag gestartet, dass etwas Schlimmes in der Stadt passiert ist. Stattdessen begleitete der Helikopter lediglich die Räumung der Villa Rühl. Weil das verwinkelte Gelände schlecht einsehbar ist, sollten die Bilder von oben im Ernstfall dabei helfen, alle Besetzer zu erwischen.

Im Nachhinein erscheint der Polizeieinsatz überdimensioniert. Schließlich hielten sich nur 17 Menschen in dem Gebäude auf, und die meisten leisteten der Aufforderung der Polizei zu gehen widerstandslos Folge. Doch vorher war weder klar, ob zehn oder 100 Besetzer in der Villa sein würden, noch wie diese auf den Rauswurf reagieren. Entscheidend ist der Erfolg des Einsatzes: Und der liegt vor allem darin, dass er friedlich verlief. Beide Seiten haben dazu ihren Teil beigetragen.

Dass die Uni die Besetzung nicht dulden konnte, ist klar. Sonst wäre die Villa Rühl zum Symbol dafür geworden, dass man nur dreist genug sein und das Gesetz brechen muss, um seine Anliegen durchzusetzen. Für ihr Ziel eines sozialen Zentrums dürfen die Aktivisten nun ruhig weiterkämpfen – aber mit legalen Mitteln.

Hintergrund: Geschichte der Villa Rühl

Die Villa Rühl in der Nordstadt, deren Besetzung jetzt von der Polizei beendet wurde, steht bereits seit einigen Jahren leer. Zuletzt interessierte sich das Technikmuseum Kassel für die Automaten, die der ehemalige Besitzer hinterlassen hatte. Dabei handelte es sich um den Kasseler Händler von Automaten für Süßwaren, Spiele und Getränke, Otto-Horst Rühl.

Stattliches Gebäude mit bewegter Geschichte: Die Villa Rühl an der Mönchebergstraße um 1960.

Der hatte ab den 1960er-Jahren von der Mönchebergstraße Gaststätten, Firmen und andere Kunden beliefert. Einige der Automaten standen auch Jahre nach dem Ende der Firma noch in der Villa. In Absprache mit der Universität, die neuer Eigentümer der Immobilie wurde, durfte das Technikmuseum einen Spielautomaten und einen Projektor übernehmen.

Filmfans kamen in der Villa auf ihre Kosten

Der Filmprojektor erinnert an eine andere Nutzung der Villa. Nach dem Krieg entstand hier nach Plänen von Paul Bode (dem Bruder des documenta-Gründers Arnold Bode) und Ernst Brundig das Urania-Kino. Es war von 1945 bis 1953 und später als Scalia eine beliebte Anlaufstation für Filmfans in der Nordstadt sowie für die dort stationierten US-Soldaten.

Bauherren der Villa und eines Nachbargebäudes waren im Jahr 1870 zwei Gastwirte, die Brüder Wentzell. Bis in die 1970er Jahre gab es hier die Gaststätte „Zum Möncheberg“.

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