Berlin. Hertha hat von den vergangenen zehn Partien nur eine gewonnen. Das hinterlässt Spuren – bei Profis, Trainer und auch bei den Fans.

Nach Stunden des Wartens war der ursprünglich für 6.20 Uhr vorgesehene Flieger von Lwiw nach Warschau doch nicht gestartet. Viele Hertha-Fans wussten auch nach sechs Stunden Wartezeit nicht, ob und wann auf dem kleinen Flughafen etwas gehen würde. Die Warterei, dazu das 1:2 von Hertha BSC am Abend zuvor gegen Sorja Lugansk entlud sich in kritischen Fragen, als die Spieler von Hertha erschienen und den Charterflieger Richtung Berlin pünktlich bestiegen.

Der Ton war nicht die feine Art. Aber die Antwort eines Hertha-Profis erst recht nicht: Die Kritik sei „affig“. Im Übrigen sei die Unterstützung im Gästeblock auch nicht so laut gewesen. Und von wegen, die Profis würden fürstlich bezahlt, während die Anhänger ihre Reisen selbst finanzieren: „Es zwingt Euch ja niemand, auswärts mitzufahren.“

Diese Missachtung brachte einen altgedienten Fan aus der Fassung, der Zwei-Meter-Mann mit vielen ­Hertha-Devo­tionalien heulte wie ein kleiner Junge.

Dardai hat das Überwintern in Europa aufgegeben

Das Betriebsklima wird offenbar rauer. Gestartet war der Hauptstadt-Klub mit dem Slogan „Wir gratulieren Europa zu Berlin“. Kleiner Realitätscheck: Nach der Hinrunde ist Hertha mit nur einem Punkt Letzter der Gruppe J. Trainer Pal Dardai hat das erste Saisonziel – Überwintern in Europa – bereits abgeschrieben. Fürs Weiterkommen benötigt Hertha aus den weiteren Spielen drei Siege. „Die mathematische Chance ist da, aber das ist Quatsch“, so Dardai. Er wolle das nicht schönreden: „Ich bin froh über die ­Erfahrungen. Aber es ist bei uns zu dünn.“

Die Partie in Lwiw belegte den aktuellen Negativtrend. Hertha hat von den letzten zehn Pflichtspielen nur eines gewonnen. Da wird auch der Ton untereinander ungemütlicher. Torwart Rune Jarstein, Herthas Bester in Lwiw, kritisierte die Seinen: „Wir waren nicht gut genug. Es fehlt einfach ­etwas. Der Gegner war aggressiver und hat mehr Willen gezeigt.“ Salomon Kalou sagte: „Wir waren in den ersten 20 Minuten dominant und hatten Chancen. Da hätten wir das Spiel killen müssen. Wenn du das nicht schaffst, wird es bei Europacup-Spielen schwierig.“

Trotz der vierten Niederlage im fünften Spiel will Trainer Dardai von Krise nichts wissen. „Ich rede davon nicht. Das macht ihr von außen. Ich bin der Erste, der es sagt, wenn wir eine Krise haben. Wenn wir die nächsten drei Spiele verlieren, dann haben wir eine Krise.“

Lob für Eigengewächs Arne Maier

Stattdessen warb Dardai um Verständnis. Europa sei für sein junges Team da, um zu lernen. Dass Valentino Lazaro und Davie Selke nach langen Verletzungen Zeit brauchen, um in die Mannschaft zu finden, „ist normal“. Er baue Talente wie den 18-jährigen Arne Maier ein, der in Lwiw sein Startelf-Debüt gab: „Und ich finde, er hat seine Sache richtig gut ­gemacht.“ In der Bundesliga habe er sich zum jetzigen Zeitpunkt zehn Punkte erhofft, „okay, wir haben bisher neun geholt“, sagte Dardai.

Es fällt auf, dass der 1. FC Köln, vorige Saison Bundesliga-Fünfter, und Hertha (Sechster) sowohl Probleme in der Europa League als auch in der Liga haben. Hertha-Manager Michael Preetz sagte: „Wir müssen in Europa zulegen. Wir sind nicht zufrieden mit einem Punkt. Aber wir haben uns viele Gedanken gemacht über die Dreifach-Belastung. Ich sehe nicht, dass wir ein Kraft-Problem haben.“

Dem Manager bereitet vor allem Sorgen, „dass wir so wenig nutzen von den Chancen, die wir uns herausspielen.“ Das war auch gegen Lugansk so, als Mitchell Weiser nach sieben Minuten frei vor dem gegnerischen Tor stand, den Ball aber dort nicht ­unterbrachte. Vedad Ibisevic vergab ebenfalls eine Großchance.

Kalou fordert mehr Freude am Spiel

Die Folge der Abwärtsspirale beschreibt Kalou: „Die Stimmung ist gedrückt.“ Gleichzeitig wissen alle, dass jetzt mentale Frische gefordert ist. Am Sonntag geht es zum SC Freiburg, einem Gegner, bei dem sich Hertha traditionell schwer tut. Freiburg, Tabellen-16., nur zwei Punkte hinter Hertha, kann die Berliner mit einem Sieg überholen.

Im Breisgau droht Dardai und Preetz genau das Szenario, das sie unbedingt vermeiden wollen: der Kampf um den Klassenerhalt. Der Anspruch von Trainer und Manager lautet, ­Hertha möglichst weit weg von der ­Abstiegszone zu halten.

Wie kann das gelingen nach den vergangenen Frustwochen? „Das Wichtigste ist, dass wir Freude haben zu spielen“, sagt Kalou. „Wenn du ohne Freude spielst, kannst du nicht gewinnen.“ Zumal es nach Freiburg Schlag auf Schlag weiter geht: Am kommenden Mittwoch kommt im DFB-Pokal der 1. FC Köln, drei Tage später spricht der HSV im Olympiastadion vor.