Fahrbericht Ducati Streetfighter 848 (2012)
Das neue Naked-Bike von Ducati

Mittlerweile hat das bei Ducati Tradition. Erst füttert man die Meute mit einem brandheißen High-End-Gerät an, gibt den Bürgerschreck. Und schiebt dann die zivile Basis für alle nach. Vorhang auf für die Streetfighter 848.

Das neue Naked-Bike von Ducati
Foto: Foto: Ducati

Mann, das hat gesessen. Wenn schon, denn schon, dachte man sich vor drei Jahren in Bologna und packte die Mördermaschine aus der 1198 in ein Nichts von Motorrad. Dieses radikale Etwas nannte sich fortan Streetfighter und traf den Kern der Sache. Aber auch so manchen wie ein Faustschlag auf den Solarplexus. 198 Kilogramm vollgetankt, 159 PS auf dem MOTORRAD-Prüfstand – das machte auch Menschen mit gesundem Selbstbewusstsein demütig. Spätestens dann, wenn sie den Gashahn richtig spannten und vor Schreck in die Gabelbrücke bissen, weil der Vollblut-V2 aus der Supersport-Schwester umgehend seine Drehmoment-Keule schwang.

Ist damit bei der Neuen Schluss? Ja, jedenfalls weitgehend, denn der kleinere V2-Motor mit 849 Kubikzentimetern ist eindeutig von friedlicherer Natur als sein großer Bruder. Erst recht in der kleinen Straßenkämpferin, denn für den Einsatz abseits der Rundstrecke ließ man ihm zusätzlich die neue Elf-Grad-Kur angedeihen, die den großen Twin schon in der Multistrada und Diavel ein wenig zivilisierte, indem man die Ventilüberschneidungen deutlich verringerte (nämlich von 37 auf elf Grad). Das ist der Spitzenleistung abträglich, kommt aber der gleichmäßigen Leistungsentfaltung im mittleren Drehzahlbereich (und in der Regel auch dem Verbrauch) zugute.

Und jetzt also im kleinen Twin. Acht PS büßt er nach Ducati-Angaben auf die Sportskanone 848 Evo ein, liefert dafür aber mehr Drehmoment im mittleren Drehzahlbereich und vor allem einen gleichmäßigeren Verlauf. Und tatsächlich ist, wenn die Drosselklappen im Drehzahlkeller auf Durchzug gestellt werden, kaum noch etwas zu spüren vom Leistungsloch der Vergangenheit. Ab 3000/min geht es ordentlich vorwärts, ab 7500/min ist richtig Feuer unterm Dach, bei 10500/min ist Schluss. Begrenzer. Doch so weit muss man es in der Regel gar nicht treiben.

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Fahrbericht: Ducati Streetfighter 848
Das neue Naked-Bike von Ducati
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Ganz im Ernst: Selbst die bei 10000/min anliegenden 132 PS sind auf den herrlich verwinkelten Landstraßen des Apennin bei Modena viel zu viel, um volle Attacke zu reiten. Hier tun es auch 4000/min weniger. Rund um die 6000er-Marke im Wohlfühlbereich von Mensch und Maschine im dritten oder vierten Gang surfen, weil die Übersetzung nach Tradition des Hauses ausgesprochen lang ausfällt – das entspricht dem ausgeglichenen Wesen der kleinen Streetfighter deutlich mehr als irgendwelche Leistungs- und Drehzahlexzesse, bei denen dann die serienmäßige achtstufige Traktionskontrolle aus der großen Schwester theoretisch eingreifen könnte. Lieber einfach mal mit weniger Drehzahl gelassen ans Gas gehen, die direkte, aber eben nicht überfallartige Gasannahme genießen, die feine Laufkultur goutieren, sich wohlfühlen. So gesehen geht die Ducati-Strategie voll auf. Die große Streetfighter für High-End-Freaks, denen das Adrenalin nach jedem Kurvenausgang aus den Ohren quellen muss. Die Kleine für alle anderen. Punkt.

Foto: Ducati
Nicht genug: Die Rasten verbreiterten die Entwickler um zehn Millimeter. Für große Füße bleiben sie aber zu kurz.

Weil so eine leicht gezähmte Straßenkämpferin selbstredend auch fahrwerksmäßig deutlich pflegeleichter daherkommen muss, hat man in Bologna die Ärmel hoch-gekrempelt. Hat neben dem Motor, dessen 132 Nominal-PS im Zeitalter der 200-PS-Raketen übrigens beinahe unspektakulär erscheinen, auch das Fahrwerk und die Ergonomie auf mehr Verbindlichkeit getrimmt. Die wichtigsten Maßnahmen in diesem Zusammenhang: der um 20 Millimeter höhere Lenker und die nicht mehr so kopflastige Abstimmung des Fahrwerks. Die neue Marzocchi-Gabel taucht beim Bremsen nicht mehr ganz so tief weg wie das Showa-Bauteil bei der großen Schwester. Und das Sachs- (statt Showa-)Federbein legt auch nicht mehr die frühere unnachgiebige Härte an den Tag, was zusammen genommen ein spürbar neutraleres Einlenk- und Kurvenverhalten ergibt. Dazu trägt zweifellos auch die schmalere Erstbereifung (hinten im neuen Format 180/60 statt des früheren 190/55-Formats) bei, zumal der Pirelli Diablo Rosso Corsa sich blendend mit der Streetfighter 848 versteht. So gerüs-tet geht sie selbst üble Holperstrecken weitgehend gelassen an und lässt sich nicht so leicht aus der Spur bringen, wie das bei der großen Streetfighter speziell auf Bodenwellen und beim Bremsen in Schräglage häufiger der Fall ist.

Apropos Bremsen: Die Brembo-Monoblock-Zangen mussten herkömmlichen, zweigeteilten Exemplaren weichen, die nach wie vor in 320-Millimeter-Scheiben beißen, und zwar mit jener Macht, die eines Streetfighters würdig ist. Und auch was die Sitzposition angeht, verleugnet die Kleine ihren Stammbaum nicht gänzlich. Die Sitzposition ist wegen des hohen Hecks immer noch radikal, der um 20 Millimeter höhere Lenker ist immer noch weit nach außen gekröpft und für ein Naked Bike dieser Gattung immer noch mächtig weit vorne angeordnet, die Fußrasten sind trotz zehn Millimeter Längenzuwachses speziell auf der Auspuffseite immer noch rutschig und zu kurz, und die Fahrerperspektive ist nach wie vor einmalig, weil sie vor dem Minimal-Cockpit umgehend ins Nichts übergeht. Da kann von Langstreckenkomfort oder spielerischer Leichtigkeit immer noch keine Rede sein, aber immer noch viel von einem Ritt auf der Kanonenkugel. Doch der ist nun berechenbarer.

Und noch in einer anderen, ganz ent-scheidenden Hinsicht kann die Abteilung Attacke aus Bologna ab sofort mit kräftigem Zulauf rechnen. Es gibt nämlich gewiss Menschen und Ducati-Fans, denen bei aller Liebe zum radikalen Auftritt angesichts eines Preises von rund 19000 Euro (so viel kostet die Streetfighter S mit allen feinen Zugaben wie Öhlins-Fahrwerk und Schmiederädern, während die große Standard-Streetfighter aus dem Programm genommen wird) gehörig der Schreck in die Glieder fährt. Auch die können ab sofort ganz ernsthaft im Ducati-Prospekt blättern, vom Straßenkämpfer-Dasein träumen und einen Probefahrt-Termin vereinbaren. Die neue Streetfighter 848 hat nicht nur von 12000 auf 24000 Kilometer verlängerte Service-Intervalle, sondern steht für rund 12500 Euro (inklusive Nebenkosten) ab November beim Ducati-Händler.

Interview

Foto: Ducati
Mit Giuseppe Caprara (links), Projekt-Ingenieur, und Paolo Quattrino, Produktmanager der Streetfighter 848, sprach Italien-Korrespondentin Eva Breutel.

?  Neben dem Motor haben Sie bei der Streetfighter 848 im Vergleich zur 1098 zahlreiche weitere Änderungen vorgenommen. Warum? Ist die 1098 doch zu extrem?

!  Caprara: Bei der 848 handelt es sich im Grunde um ein komplett neues Motorrad. Abgesehen von der Optik ist alles anders als bei der großen Streetfighter. Die Sitzposition ist nicht so weit nach vorn geneigt und daher entspannter, die Ölbadkupplung leichter zu bedienen, die Fahrwerksabstimmung komfortabler, die Bremsen sind nicht so giftig. Das heißt nicht, dass die 1098 zu extrem ist, es gibt viele Motorradfahrer, die sie genauso lieben, wie sie ist. Aber mit der 848 zielen wir auf ein anderes Publikum.
!  Quattrino: Und zwar auf erfahrene Motorradfahrer, die auf den aggressiven Look der Streetfighter stehen, aber nicht ständig mit dem Messer zwischen den Zähnen fahren wollen, sondern auch mal entspannt über Land oder durch die Stadt rollen möchten. Wir wollen mit der Streetfighter 848 Leute ansprechen, die bislang noch nicht Ducati fahren, denen die 155 PS und der explosive Charakter der 1098 zu viel sind. Als Naked Bike ist die Streetfighter 848 für uns auch eine Alternative zur Monster 1100, die traditioneller ausgerichtet ist.

?  Von der Hypermotard und vom Supersportler gibt es bereits Varianten mit weniger Hubraum und Leistung, jetzt auch von der Streetfighter. Laufen die kleineren Modelle den großen bald den Rang ab?

!  Quattrino: Nein, das sicher nicht. Die großen Modelle sind wichtig für uns, sie schaffen den Mythos. Aber die kleineren Modelle sind nicht so extrem und sprechen ein größeres Publikum an. Nicht zuletzt ist das auch eine Preisfrage.

?  Stichwort Preis: Die große Streetfighter wird es künftig nur noch als S-Version geben. Die 848 kostet im Vergleich fast 7000 Euro weniger. Wie erklärt sich diese große Differenz?

!  Caprara: Wir haben bei der 848 günstigere Komponenten, wie eine Marzocchi-Gabel und ein Sachs-Federbein statt eines Öhlins-Fahrwerks und herkömmliche anstatt Monobloc-Bremszangen. Die S wiegt weniger, bringt viel Karbon und Schmiederäder und serienmäßig einen Datenlogger mit. Zudem bauen wir vom 848-Motor deutlich mehr Exemplare, sodass er uns günstiger kommt.
!  Quattrino: Der Preis der Streetfighter 848 orientiert sich natürlich auch an der Konkurrenz, wie der Triumph Speed Triple und der Kawasaki Z 1000. Im Vergleich bieten wir mehr PS und hochwertigere Technik, deshalb dürfen wir etwas teurer sein, aber nicht zu viel.

?  Warum fehlt ein ABS?

!  Caprara: Das Motorrad ist in seiner ersten Version, also als 1098, ohne ABS konzipiert worden. Es nachträglich einzubauen, würde zu viele technische Kompromisse erfordern.
!  Quattrino: Dafür hat die Streetfighter 848 serienmäßig eine achtstufige Traktionskontrolle – das ist ebenfalls ein Feature für aktive Sicherheit.

Technische Daten

Foto: Ducati
Komfortabler: Der Lenker ist jetzt 20 Millimeter höher, die Sitzposition bleibt aber weiter kämpferisch.

Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 520 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:15.
Bohrung x Hub 94,0 x 61,2 mm
Hubraum 849 cm³
Nennleistung 92,6 kW (125 PS) bei 10000/min
Max. Drehmoment 94 Nm bei 9500/min

Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, hydraulisch, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel, elektronische Schlupfkontrolle.
Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/60 ZR 17

Maße+Gewichte
Radstand 1475 mm, Lenkkopfwinkel 64,5 Grad, Nachlauf 103 mm, Federweg v/h 127/127 mm, Sitz-höhe 840 mm, Trockengewicht 169 kg, Tankinhalt 16,5 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Gelb, Rot, Schwarz
Preis inkl. Nk. rund 12500 Euro

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Erscheinungsdatum 26.04.2024