Politischer Streit

Epidemische Lage als Dauerzustand? Merkel will Corona-Sondergesetzgebung verlängern

28.5.2021, 10:58 Uhr

Über das Ende der Corona-Sondergesetzgebung ist ein politischer Streit ausgebrochen © Kay Nietfeld, dpa

Demnächst muss der Deutsche Bundestag im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eine Entscheidung treffen, die von den einen eher als notwendige Routineangelegenheit betrachtet wird und von den anderen als ein handfestes rechtsstaatliches Problem. Die beiden Fragen lauten schlichtweg: Soll das Parlament auch über Ende Juni hinaus eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellen? Und wenn ja, wie lange darf das so weitergehen?

An diesem einen juristischen Begriff hängt einiges. Denn bei Feststellung einer "epidemischen Lage" kann die Regierung gemäß dem Bevölkerungsschutzgesetz zahlreiche Verordnungen erlassen, die tief in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Das fängt beim Maskenzwang an und hört bei den Ausgangssperren auf.

Beim ersten Mal, im März 2020, waren sich die meisten Parteien darüber einig gewesen, dass nur auf diese Weise die Pandemie effektiv bekämpft werden kann. Zwischenzeitlich wurde der rechtliche Rahmen nachgebessert, die Informations- und Zustimmungsrechte des Parlaments wurden gestärkt. Doch immer noch verfügt die Regierung mit der Regelung über ein scharfes Schwert. So war es ja auch gewollt gewesen.

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Bundestag muss neu entscheiden

Die bisher letzte Verlängerung fand im März 2021 statt. Der Bundestag beschloss, dass die Notlage zunächst bis Ende Juni festgestellt werden soll. Ohne eine weitere Entscheidung würde die Regelung auslaufen. Doch das wäre nach Überzeugung der Regierungsfraktionen zu früh. Die Inzidenzwerte sind zwar stark gesunken und die Zahl der Geimpften steigt ständig, aber trotzdem sind noch viele Maßnahmen nötig.

Die Union tendiert dazu, den "Ausnahmezustand" für weitere drei Monate zu erklären. Die SPD hat damit gewisse Probleme. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Dirk Wiese erklärte, er persönlich würde eine Verlängerung um lediglich vier Wochen bevorzugen und dann könne man ja weitersehen.



Für beide Positionen gibt es Gründe. So könnte es angesichts einer zu kurzen Frist eine nötige Verlängerung mitten in die sitzungsfreie Zeit des Bundestages fallen und natürlich auch in den Wahlkampf. Zudem ist nicht zu erwarten, dass die Pandemie schon im Juli/August keine rechtlichen Regelungen mehr erfordert.

Hintergrund einer möglichen Notbremsen-Verlängerung ist, die "epidemische Lage" bis Ende September zu verlängern. Dafür soll in der Großen Koalition eine Mehrheit bestehen. Einigkeit gibt es aber diesbezüglich in der Union offenbar nicht, berichtete Focus. "Für eine weitere Verlängerung sehe ich keine eigene Mehrheit der Regierungsparteien bei einer Abstimmung im Bundestag", erklärte Mittelstandspolitiker Christian von Stetten. Vor allem Bundeskanzlerin Merkel setze sich dafür ein, die aktuell bis zum 30. Juni befristete Maßnahme zu verlängern, so Focus.

"In die Rechtsordnung eingefressen"

Umgekehrt gibt es Warnungen, die Feststellung der Notlage könne sich so verfestigen. So äußerten sich unter anderem Verfassungsrechtler, die von der Tageszeitung Die Welt befragt wurden. Thorsten Kingreen (Regensburg) sagte, der Ausnahmezustand habe sich "derart in die Rechtsordnung eingefressen, dass man sie nicht einfach beenden kann". Zu viele Regelungen im Infektionsschutz hingen daran.

Kingreen geht von Verlängerungen "bis in den Winter hinein" aus. Sein Kollege Michael Brenner (Jena) ist zwar durchaus der Meinung, es sei zu früh, alle Schutzmaßnahmen aufzuheben, aber trotzdem halte er die sich abzeichnende Lösung "mit Blick auf die Verfassung für problematisch". Alle sollten ein Interesse daran haben, schnellstmöglich den Normalzustand herzustellen, sagte er der Tageszeitung.



Auch die AfD als größte Oppositionsfraktion im Bundestag warnt. Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Stephan Brandner bezeichnete es als "dringend geboten", den "Ausnahmezustand" zu beenden und zur vollen Geltung der Grundrechte zurückzukehren. Die Große Koalition habe "offensichtlich Gefallen daran gefunden, einen unendlichen Notstand in Deutschland zu haben".

Regierungsfraktionen weisen Vorwürfe zurück

Die Regierungsfraktionen weisen diese Vorwürfe zurück. Noch sei es nicht möglich, die epidemische Lage für beendet zu erklären und so auf alle damit verbundenen Rechtsverordnungen zu verzichten. Die Realität beweise ja - siehe die Öffnungen von Lokalen und Kulturorten -, dass man zum frühesten vertretbaren Zeitpunkt die Einschränkungen für die Bevölkerung beende.

Thorsten Frei, stellvertretender Fraktionschef der Union, hält eine weitere Drei-Monats-Frist schon deswegen nicht für problematisch, weil diese ja nicht zwangsläufig ausgeschöpft werden müsse. Der Bundestag habe jederzeit die Möglichkeit, die epidemische Lage von nationaler Tragweite für beendet zu erklären. Im Vier-Wochen-Rhythmus abzustimmen, sei "unnötig und völlig widersinnig".

Der Artikel wurde am 28. Mai um 10.58 Uhr aktualisiert.