Rotterdam. . Das Huis Sonneveld in Rotterdam ist über 80 Jahre alt, doch noch heute wirken Architektur und Einrichtung modern. Die NRZ war vor Ort.

Elektrisch kochen? Teurer Schnickschnack, davon war Gesine Sonneveld nicht zu überzeugen. Sie orderte einen Gasherd, an dem sie selbstverständlich nicht selber im Topf rührte. Frau Direktor führte den Haushalt nicht anders als der Gatte die Fabrik: hochmodern, funktional und perfekt durchorganisiert. Am Lieferanteneingang ein Speiseaufzug, damit die beiden Dienstmädchen keine Lebensmittel in die erste Etage schleppen müssen. Kurze Wege! Neben der Spüle ein Müllschlucker für Gemüseabfälle, zwischen Küche und Speisezimmer ein Anrichteraum mit Durchreiche. Überall Handwaschbecken, Hygiene war Gesetz! Aber auch Spiegel, so viel Zeit muss sein, die Frisur zu überprüfen.

1933, als andere Fabrikanten sich hinter schweren Eichenschreibtischen verschanzten, ließ Albertus Sonneveld vom Architekturbüro Brinkmann & Van der Vlugt auch sein privates Wohnhaus bauen, denn schließlich hatten die schon die Van Nelle Fabrik geplant und eingerichtet. „Bauhaus-Stil“ würde man in Deutschland sagen. In Rotterdam reicht das Wort „funktional“, um eine Idee zu umschreiben, die ohne Schnörkel auskommt und mit sämtlichen Traditionen bricht. Aber während der deutsche Bauhausstil relativ karge, monochrome Wohnwürfel hervorbringt, ist die Fabrikantenvilla in Rotterdam fröhlich-bunt wie ein Comic. Ein Museum? Sind da nicht Stimmen, Musik, Gekicher?

Der pure Luxus

Als Familie Sonneveld hier einzog, waren die Töchter Puck und Gé Teenager, 19 und 13 Jahre alt. Man darf raten, wer die Musik, Schallplatten oder Radio, für das Soundsystem aussuchte… jedenfalls hatte jedes Schlafzimmer im Haus einen eingebauten Lautsprecher und ein Telefon. Für hausinterne Gespräche! Um die Kostenkontrolle zu behalten, stand das Telefon für internationale Gespräche im Elternschlafzimmer. Im Übrigen: Der Rest der Rotterdamer Society hatte damals ohnehin noch keinen Telefonanschluss. Wen hätten die Mädchen anrufen wollen? Aber wenn in Amerika die Tabakernte verschifft wurde, war das sofort mitzuteilen.

Die Zimmer der Dienstmädchen und der Töchter liegen übereinander: gleich groß und gleich ausgestattet mit Einbauschrank und Schreibtisch. Der einzige Unterschied: Die Töchter durften sich die Farbe ihrer Schränke selber aussuchen, der Dienstmädchentrakt ist einheitlich rot. Ein Badezimmer für jeweils zwei Mädchen ist schon immenser Luxus damals, aber richtig atemberaubend ist das Bad am Elternschlafzimmer. Hier gibt es, brandneu aus Amerika, eine Erlebnisdusche mit seitlichen Massagedüsen und einen geheizten Handtuchhalter.

Auf dem Sonnendeck

Wenn die Eltern verreist waren, führte Gé ihre Freundinnen durch den türkis gekachtelten Wellness-Tempel. Rundum Fenster, Balkons und oben eine Dachterrasse wie ein Sonnendeck – Huis Sonneveld erinnert an ein Kreuzfahrtschiff, bei allem Luxus ist jeder Zentimeter Raum durchdacht. Alle Möbel, Teppiche, Vorhänge, Vasen sind aufeinander abgestimmt und das einzige Stück, das auf den ersten Blick nicht von der Firma Gispen hergestellt wurde, ist der Flügel im Wohnzimmer. „Meine Oma war eine mutige Frau, die erste, die selber am Steuer ihres Autos durch Rotterdam fuhr.“ erinnert sich Leonard Kooy, der Enkel der Sonnevelds. Luxuriös kam ihm das Haus der Großeltern als Kind nicht vor.

In der Nachkriegszeit herrschte in ganz Rotterdam eine rege Bautätigkeit, dass hier ein Museumsviertel entsteht, war nicht abzusehen, erstmal wurde für die U-Bahn gebohrt, eine Bushaltestelle vor der Tür war da. Der Großvater war Pensionär, man sehnte sich nach Ruhe – aber nein, nicht nach Landleben! Kooy lacht, wenn er an seine radikal modernen Großeltern denkt, die 1955 aus der Stadtvilla auszogen. Sie hatten sich die oberste Etage eines nagelneuen Hochhauses ausbauen lassen, selbstverständlich von Architekten durchgeplant, in der Formensprache und dem verborgenen Komfort ihrer Zeit weit voraus.