Kleve.

Die Hagsche Straße hing voller Hakenkreuzfahnen. An nahezu jedem Haus wurde geflaggt. Es war Anfang März 1933 und für viele Klever gab es offenbar etwas zu feiern. Adolf Hitler hatte in Berlin am 30. Januar die Macht erlangt und auch in Kleve gab es viele Nationalsozialisten, die sich für die NSDAP erwärmten. Mit imposanten Fackelzügen und Aufmärschen zogen die Nazis im März und April immer wieder durch die Straßen. Einen Tag nach Hitlers Vereidigung als Reichskanzler gab es in der Kreisstadt einen „Fackelzug nie gekannten Ausmaßes“: Die Hagsche Straße wurde zur Propagandabühne der Nazis. Am 1. April 1933 wurde sie in „Adolf-Hitler-Straße“ umbenannt.

Vor 80 Jahren eroberten die Nationalsozialisten Kleve – mit Gewalt, Diffamierungen und Hinterlist. Die anfänglich noch kleine NSDAP hatte es binnen weniger Monate geschafft, die gestandenen Parteien auszuhebeln. „Dabei hatte die NSDAP vor 1933 gerade mal 50 Mitglieder in Kleve“, erzählt Stadtarchivar Bert Thissen.

Görlich – eine rabiate Persönlichkeit

Die Nazis haben es in Kleve mit roher Gewalt und Einschüchterung geschafft. Kurz nachdem Adolf Hitler Reichskanzler wurde, begann in der Schwanenstadt der Straßenterror. Mitglieder der NSDAP und die halbmilitärische Organisation „Stahlhelm“ zogen mit Musik und Fahnen durch die Stadt und prügelten sich mit Mitgliedern der KPD. Am 12. März 1933 standen die Gemeindewahlen auf der Agenda – und die Nazis wollten offenbar handgreiflich zeigen, wer jetzt die Macht im Lande und damit auch in Kleve besaß.

Ein wichtiger Rädelsführer war Alwin Görlich. Eine „rabiate Persönlichkeit, ein richtiger Kämpfer“, sagt Kleves Stadtarchivar Bert Thissen. Görlich hatte eine Speditionsfirma, war Kriegsveteran und gesellschaftlich anerkannt. Er besaß eine Villa an der Nassauer Allee. Der „Hermann Göring Kleves“ wurde Görlich im Volksmund genannt. Und in der Tat setzte er mit großer Brutalität seine Interessen durch. Am 21. März rief Görlich in der Öffentlichkeit zu einer verschärften Verfolgung von SPD und KPD-Mitgliedern auf. Und bereits in den Wochen zuvor kam es zu heftigen Gewaltexzessen durch die SA: Anfang März wurden jüdische Geschäfte willkürlich geschlossen und das Kolpinghaus überfallen. Die Wohnungen der SPD-Mitglieder wurden gefilzt. Vier Politiker, darunter der Sozialdemokrat Otto Schmidt, wurden in die Kellerräume des „Café Paris“ an der Emmericher Straße Ecke Briener Straße gebracht. Nach den Akten des Kreises Kleve wurden sie tagelang gefoltert und fürchterlich zugerichtet. „Die Straße gehört jetzt der NSDAP“, soll Görlich gesagt haben.

Das Frauengefängnis an der Krohnestraße war berüchtigt als „Folterstätte“. Dr. Rolf Eilers, ehemaliger Direktor des Johanna Sebus-Gymnasiums, berichtet in einem Aufsatz zur politischen Geschichte Kleves im 20. Jahrhundert, dass im Frauengefängnis die Vernehmungen auf brutale Weise mit Pistolenkolben, Hundepeitschen und Gummiknüppeln erfolgten. Viele Häftlinge haben schwere körperliche Schäden davon getragen. Insgesamt wurden 60 KPD- und SPD-Mitglieder in „Schutzhaft“ genommen. Fast alle seien in der Krohnestraße misshandelt worden, schreibt Eilers. Der Polizeimeister Franz Peters habe viele Häftling schwer misshandelt, berichtet Bert Thissen.

Alwin Görlich war die treibende Kraft der Nazis in Kleve. Er organisierte den Straßenkampf und die politischen Intrigen, er hatte die Strategie im Kopf, wie man in Kleve die Macht erlangen kann. Auf seine Anordnung hisste die SA Anfang März die Hakenkreuzfahne auf der Schwanenburg. Nach anfänglichem Widerstand des Bürgermeisters Johannes Stepkes und des Gerichtspräsidenten konnte sich Görlich durchsetzen. Görings Erlass, die Hakenkreuzfahne auf staatlichen Dienstgebäuden zu hissen, gab ihm dazu das Recht.

Wie kamen die Nazis in Kleve an die Macht? Nicht durch gewonnene Wahlen. Am 5. März waren die Reichs- und Landtagswahlen, am 12. März die Kommunalwahlen in Kleve. Für die NSDAP war das kommunale Wahlergebnis enttäuschend. Das Zentrum bekam, wie fast immer, mit 50,8 Prozent die absolute Mehrheit, die NSDAP kam auf 29,9 Prozent, die KPD auf 7 und die SPD auf 6 Prozent. Der Kampfbund „Schwarz-Weiß-Rot“ erhielt 4,1 Prozent der Stimmen.

Weil eine legale Machtergreifung nach dieser Gemeindewahl nicht möglich war, verfolgte die NSDAP das Ziel, die Verwaltungsspitze auszutauschen, die Ratsmehrheiten zu manipulieren und altgediente Politiker ins schlechte Licht zu rücken. Alwin Görlich beantragte schon kurz nach der Kommunalwahl die Suspendierung des Bürgermeisters Johannes Stepkes. Mit Erfolg: Am 19. Mai 1933 wurde Stepkes entlassen. Die politische Schützenhilfe holte sich Görlich aus Düsseldorf, wo es einen Wechsel im Regierungspräsidium gegeben hatte. Auch der 1. Beigeordnete, der Stadtwerkechef, der Baurat und der Verwaltungsdirektor wurden in Kleve entlassen. Die NSDAP hatte im Mai 1933 die Verwaltung fest im Griff.

Ein brutaler Saufbold

Durch viel Druck auf die Stadtverordneten des Zentrums und der SPD gelang es Görlich auch, eine politische Mehrheit für die NSDAP zu formen. Im Mai legte der schwer misshandelte Otto Schmidt (SPD) sein Mandat nieder und vier Stadtverordnete des Zentrums traten zur NSDAP über. Damit war die Mehrheit gesichert. Und nachdem das Zentrum sich am 5. Juli als Partei auflöste, gab es noch mehr Zuspruch für die Nationalsozialisten. Görlich freute sich, hatte er doch schon Ende Juli prophezeit, das Zentrum mit „Stumpf und Stiel auszurotten“.

Auch Ausländer wurden schnell die Zielscheibe der Nazis. Am 28. März 1933 stellte die NSDAP im Stadtrat den Antrag, Holländern zu verbieten, weiterhin den Klever Wochenmarkt zu beschicken. Sie würden den deutschen Händlern den Umsatz vermiesen. Görlichs Zeit als Bürgermeister in Kleve dauerte nicht lange. Schon im November 1933 wurde er abgesetzt, weil er von Firmen Spendengelder für das große Ehrenmal an der Römerstraße erpresst haben soll. Sein Nachfolger wurde Karl Puff, „keine Figur, mit der man sich zieren konnte“, urteilt Thissen. Puff war ein brutaler Saufbold und ungebildet. Über ihn verbreiteten sich in Kleve sehr schnell Spottlieder. Im April 1936 trat er nach zweijähriger Amtszeit zurück.