Ein Weltbild bröckelt – die Linke und der Islamismus

Nach den Morden in Frankreich wird darüber diskutiert, ob Teile der Linken den Islamismus verharmlosten. Die Frage ist jedoch nicht, ob sie das tun, sondern, warum.

Lucien Scherrer, Anna Schneider 124 Kommentare
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Nach der tödlichen Messerattacke eines Islamisten in Nizza wurde in Frankreich die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

Nach der tödlichen Messerattacke eines Islamisten in Nizza wurde in Frankreich die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

Pascal Rossignol / Reuters

Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den ermordeten Lehrer Samuel Paty würdigte, sagte er einen bemerkenswerten Satz: «Dem Bösen habe ich einen Namen gegeben.» Der Satz scheint banal, aber in der gegenwärtigen Debatte ist er es nicht. Denn was Macron als das Böse benannt hat – «den politischen, radikalen Islamismus, der bis hin zum Terrorismus führt» –, ist für viele Politiker und Journalisten ein Problem, dessen Name möglichst diskret oder noch besser gar nicht ausgesprochen wird.

Der deutsche Aussenminister Heiko Maas (SPD) richtete folgende Worte an «unsere französischen Freundinnen und Freunde», nachdem Samuel Paty auf offener Strasse von einem tschetschenischen Flüchtling enthauptet worden war: «Von Terror, Extremismus und Gewalt dürfen wir uns nie einschüchtern lassen.»

«Der wohl blindeste Fleck der politischen Linken»

Das Wort «Islamismus» erwähnte er nicht. Das tat er erst am vergangenen Donnerstag, nachdem ein weiterer, aus Tunesien stammender Terrorist in Nizza drei Menschen getötet hatte. Ob das Zufall oder Absicht war, bleibt offen. Sicher ist aber, dass nach dem Mord an Paty eine Diskussion innerhalb der deutschen Linken entbrannte über die Frage, ob man den Islamismus in den letzten Jahren verharmlost habe.

Tatsächlich müssen sich diese nicht nur Linke stellen. Aber hier war der Drang zur Verharmlosung und Verdrängung in den letzten Jahren derart gross, dass sich längst auch progressive Muslime, Juden, Homosexuelle, Feministinnen oder freidenkerische Linke zunehmend fragten, was da eigentlich mit dieser ehemals religionskritischen, emanzipatorischen Bewegung los ist.

Nach dem Mord an Samuel Paty warfen auch Vertreter der etablierten Parteien kritische Fragen auf. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Kevin Kühnert, attestierte seinen Genossen in einem «Spiegel»-Gastbeitrag massive Defizite im Umgang mit Islamismus. Diese Ideologie, so schrieb er, sei der «wohl blindeste Fleck der politischen Linken». Ihm schloss sich Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, an. Falsche Scham, so Bartsch, dürfe nicht länger zur Relativierung von islamistischen Taten führen.

Macron bauscht auf, oder: Die Gesellschaft ist schuld

Wie zahlreiche Reaktionen auf die Anschläge in Frankreich zeigen, ist diese Versuchung nach wie vor gross. Heribert Prantl, ehemaliges Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung», warnte in einem Beitrag sogleich vor «islamophoben» Reaktionen; «vielleicht», so mutmasste er über Patys Mörder, «wäre er nicht zum Mörder geworden, wenn er Lehrer wie Samuel Paty gehabt hätte».

Das linke Schweizer Online-Magazin «Republik» benötigte eine ganze Woche, bis es den Mord an Paty überhaupt erwähnte; die noch linkere «Wochenzeitung» zeigte vor allem Verständnis dafür, dass die Meinungsfreiheit von «den Ausgegrenzten» in Frankreich als «Unterdrückungsinstrument» empfunden werde. Die deutsche «taz» warf dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron derweil vor, «den Mord an einem Lehrer» zu einer Grundsatzfrage «aufzubauschen».

In Paris gedenken zahlreiche Menschen des ermordeten Lehrers Samuel Paty. Er hatte Karikaturen des Satiremagazins «Charlie Hebdo» im Unterricht gezeigt, um den Schülern das Thema Meinungsfreiheit zu erklären.

In Paris gedenken zahlreiche Menschen des ermordeten Lehrers Samuel Paty. Er hatte Karikaturen des Satiremagazins «Charlie Hebdo» im Unterricht gezeigt, um den Schülern das Thema Meinungsfreiheit zu erklären.

Benoit Durand / Imago

Andere Kommentatoren behaupteten, islamistisches Gedankengut sei nur bei einer kleinen Minderheit der Muslime verbreitet, oder sie versuchten die Taten mit der angeblich systematischen Benachteiligung, Diskriminierung und Verspottung der Muslime (vor allem durch «Charlie Hebdo») in Frankreich zu erklären.

Dort ist die Diskussion denn auch schon weiter fortgeschritten als in einigen Nachbarstaaten. Schliesslich lässt es sich nicht mehr leugnen, dass das jahrelange Wegschauen die Herausbildung einer islamistisch dominierten Parallelgesellschaft ermöglicht hat.

Gemäss einer Studie des französischen Soziologen Bernard Rougier kontrollieren Islamisten inzwischen rund 150 Kommunen, in denen emanzipierte Frauen, Homosexuelle, Juden und auch Vertreter des Staates unerwünscht sind. Anders als Kommentatoren wie Heribert Prantl suggerieren, konnte auch Samuel Patys Mörder auf die Komplizenschaft von Schülern, Eltern und anderen Islamisten zählen, die gegen den Lehrer hetzten und Informationen weitergaben.

Zudem klagten nach dem Mord zahlreiche Lehrer, sie könnten gewisse Themen wie Gleichstellung, Meinungsfreiheit oder Holocaust gar nicht mehr vermitteln. Es geht also um ein verbreitetes Problem, das nicht nur mit Benachteiligung, sondern auch sehr viel mit ideologisch begründeten Machtansprüchen zu tun hat, die Islamisten überall auf der Welt durchsetzen wollen. In Frankreich hat der religiös motivierte Terror in den letzten Jahren 259 Menschen das Leben gekostet.

Rassenkampf ersetzt Klassenkampf

Der ehemalige Schulinspektor Jean-Pierre Obin schreibt der (ohnehin sehr heterogenen) französischen Linken nicht die alleinige Rolle bei der jahrelangen Leugnung und Verdrängung islamistischer Umtriebe zu. So wirft er dem späteren bürgerlichen Premierminister François Fillon vor, einen Bericht unterdrückt zu haben, in dem Obin schon 2004 vor den Zuständen in den französischen Schulen warnte.

«Die meisten Politiker», so drückt es Obin aus, «wollen halt lieber Karriere machen als sich mit unangenehmen Dingen beschäftigen.» Innerhalb der Linken ortet er jedoch ein spezifisches, ideologisches Problem, das er auf die Theorien Frantz Fanons und anderer antiimperialistischer Aktivisten zurückführt.

Tatsächlich haben Werke wie «Die Verdammten dieser Erde» ab den 1960er Jahren dazu beigetragen, dass die Dritte Welt in den Fokus westlicher Studentenführer und neolinker Theoretiker rückte. Statt des wohlstandskorrumpierten, westlichen Proletariats sollten nun die Bauern und Guerillakämpfer die imperialistischen Zentren befreien.

Dieser Antiimperialismus offenbarte sich allerdings oft in einer sehr einfachen Weltsicht. Es gab böse Unterdrücker und gute Unterdrückte, die es auch dann bedingungslos zu unterstützen galt, wenn sie Homosexuelle verfolgten oder einen offenen Judenhass zelebrierten. Weil Israel zum Beispiel als imperialistischer Staat gilt, konnte sich innerhalb der neuen Linken ein rabiater, von arabischen Befreiungsbewegungen geschürter Antizionismus etablieren, der sich immer wieder klassischer antisemitischer Motive bedient.

Wer diese reaktionären und rassistischen Auswüchse kritisierte, galt selber als eurozentristisch, rassistisch und konterrevolutionär. Dieses Verdrängungsmuster lebt im Grunde bis heute weiter, wenn auch in sprachlich modifizierter Form. Statt «Bauernmassen» und «Befreiungsbewegungen der Dritten Welt» heissen die Unterdrückten von heute «people of colour».

Zu diesen werden im Westen auch Muslime gezählt, weil sie angeblich kollektiv unterdrückt werden und weil «of colour» nicht die Hautfarbe, sondern die gesellschaftliche Position beschreiben soll. Juden sind in dieser kruden Logik nicht «of colour», und selbst schwarze Kirchgänger können als «strukturell weiss» gelten, weil sie der Religion der Unterdrücker huldigen.

Was zählt, ist das Gefühl

Dass der Islam so als Rasse behandelt wird, birgt einen doppelten Widerspruch: Einerseits gibt es keine biologischen Rassen, und andererseits ist der Islam eine Religion, die sich nicht an der Hautfarbe festmachen lässt. Beides wird ignoriert. Dieser konstruierte Rassismus fällt im gegenwärtigen Diskurs auf fruchtbaren Boden: Die identitäre Linke benutzt die globale «Black Lives Matter»-Bewegung, um sich im Namen des Antirassismus eine Rerassifizierung der Welt schönzureden. Das Konzept der Farbenblindheit hat ausgedient, wenn die Welt wieder nach Hautfarben in Unterdrückte und Unterdrücker eingeteilt wird. «White supremacy» und «white privilege» sind die geflügelten Worte aus den USA, die auch der Islamismus im Kampf gegen westliche Werte gut verwenden kann.

Wie sich diese Theorie konkret auswirkt, zeigt sich unter anderem an Universitäten. In der sozialwissenschaftlichen Forschung und Lehre haben etwa Gender- und Postcolonial Studies grossen Einfluss, der sich inzwischen auch im Medien- und Kulturbetrieb bemerkbar macht. Diese Studien bauen darauf auf, eine Opfergruppe nach rassistischen Merkmalen zu definieren, aus deren Sicht die Welt zu betrachten ist. Gefühle sind sakrosankt.

Nach dieser Logik verkommt jede Islamkritik zum Sakrileg, weil sie Muslime verletzen könnte. Schnell fällt der Kampfbegriff «Islamophobie», der legitime Religionskritik absichtlich mit dem Hass auf Muslime vermischt. Eine Debatte wird so jedenfalls verunmöglicht, die Menschenrechte des Westens als eurozentristisch abgetan.

Besonders fatal im linken Umgang mit Islamismus dürfte jedoch die Befürchtung sein, mit Kritik und klaren Worten den rechten Rassisten in die Hände zu spielen. Oder, noch schlimmer, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. So schreibt die grüne Islamwissenschafterin Lamya Kaddor auf «T-Online» als Replik auf Kevin Kühnerts Diagnose: «Das angebliche linke Appeasement gegenüber Islamisten bleibt bei näherer Betrachtung primär ein Narrativ der Rechten, und deshalb sollte man sich gut überlegen, ob man das weiter nähren möchte.»

Dabei gibt es schon lange Stimmen, die Kritik am Umgang mit dem Islamismus üben, aber weder rechts aussen stehen noch rechtsradikal sind. Es sind linke und liberale Stimmen, die immer wieder gewarnt haben. Sie wurden bloss nicht gehört.

Zu diesen Leuten gehört Seyran Ates, Anwältin und Gründerin der liberalen Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Die Imamin findet Kühnerts Positionierung im «Spiegel» gut. Seine Partei betrachtet sie allerdings als Teil des Problems. Was sie damit meint, erzählt sie an einem Beispiel aus Berlin. Dort unterstützen SPD, Linke und Grüne einen Entscheid des Bundesarbeitsgerichts, wonach das Land Berlin Lehrerinnen mit Kopftuch nicht unter Berufung auf das Neutralitätsgesetz pauschal ablehnen darf. Damit kämpften sie für ein religiöses Symbol, dessen sich auch der politische Islam bediene, sagt Ates.

Mord an homosexuellem Touristen

Das «linke Appeasement», das es laut Lamya Kaddor nicht gibt, trägt heute aber auch dazu bei, dass islamistische Gewalt gegen Homosexuelle und gegen Juden relativiert oder verschwiegen wird. Und dies, obwohl Islamisten seit der Jahrtausendwende allein in Frankreich über zwei Dutzend Jüdinnen und Juden ermordet haben und Pöbeleien auch in anderen Ländern zugenommen haben.

Ein Verschleierungstrick besteht darin, «Antisemitismus, Homophobie und Muslimfeindlichkeit» nach Gewalttaten in einem Atemzug zu nennen, als ob für all diese Probleme auch stets die gleichen Täter verantwortlich wären, nämlich Rechtsextreme.

Wie falsch diese Suggestion ist, hat kürzlich der ebenfalls islamistisch motivierte Mord an einem deutschen Touristen in Dresden gezeigt. Das Paar, das der Angreifer attackierte, war homosexuell – und die Ermittler gehen davon aus, dass der Täter ein Schwulenhasser ist. In anderen Städten wie Berlin ist es für Homosexuelle in gewissen Quartieren schon lange gefährlich. Die Täter, so erfährt man in Berichten bloss, sind mehrheitlich «junge Männer», die oft polizeibekannt sind.

Der Historiker und Geschlechterforscher Vojin Sasa Vukadinovic versucht seit Jahren, linke und universitäre Kreise für die homophobe, frauenfeindliche und antisemitische Gefahr zu sensibilisieren, die auch in Deutschland von Islamisten ausgeht. Zusammen mit anderen Autoren hat er in Büchern wie «Freiheit ist keine Metapher» und «Zugzwänge» detailliert aufgezeigt, wie sich Islamisten die Blindheit mancher Linker, Homosexueller und Feministinnen zunutze machen, indem sie sich als (Mit-)Unterdrückte inszenieren, während sie in ihren Gemeinden gegen Juden, Schwule, Christen, emanzipierte Frauen und Ungläubige hetzen.

Vukadinovics Buchpräsentationen ziehen Dutzende, manchmal auch Hunderte Besucher an – jene, die er kritisiert, hat er jedoch noch kaum gesehen. Kevin Kühnerts Kritik am Wegschauen der Linken kommt für Vukadinovics Begriffe zwar reichlich spät. Aber sie zeige immerhin, dass sich die Realitätsverweigerung nicht mehr halten lasse: «Da bröckelt gerade ein Weltbild.»

124 Kommentare
Karl-Heinz Lchtenberg

Ich möchte hier kein langen Kommentar schreiben, aber ich unterstütze Macron, damit endlich der politische Islam in die Schranken gewiesen wird. Für mich steht außerfrage, das der Islam nicht zu westlichen Wertegemeinschaft gehört.  

T. R.

Früher waren die Islamisten für die RAF "nützliche Idioten". Heute ist es genau umgekehrt: Für die Islamisten sind heute alle Linken, die auf dem Faschisto-Islamischen Auge blind sind, die "nützlichen Idioten".