Geld mit Ablaufdatum

In den meisten Ländern können alte Banknoten ohne zeitliches Limit umgetauscht werden. In der Schweiz indes verlieren die Geldscheine irgendwann ihren Wert. Diese Praxis kommt einer Enteignung gleich.

Thomas Fuster
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Die Schweizer Praxis, alte Banknotenserien alle paar Jahrzehnte für wertlos zu erklären, wirft Fragen auf. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Die Schweizer Praxis, alte Banknotenserien alle paar Jahrzehnte für wertlos zu erklären, wirft Fragen auf. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Banknoten aus früheren Zeiten wecken bisweilen nostalgische Gefühle. Wer einen alten Geldschein zu Gesicht bekommt, fühlt sich zurückversetzt in junge Jahre, als man mit diesen Noten das Sparschwein fütterte, die erste grosse Ferienreise antrat oder im längst abgerissenen Dorfladen um die Ecke die Einkäufe tätigte. Nicht ohne Grund horten viele Bürger ausgediente Noten noch Jahrzehnte nach deren Ablösung durch neue Serien oder gar Währungen. In Deutschland sind beispielsweise noch immer auf D-Mark lautende Banknoten und Münzen im Gegenwert von über 6 Mrd. € im Umlauf, sei dies in Sammelalben, im Tresor oder in einer Schuhschachtel irgendwo auf dem Estrich.

D-Mark ewig umtauschbar

Aus welchen Gründen auch immer D-Mark-Noten aufbewahrt werden: Wertlos werden die Geldscheine deshalb nicht. Wenngleich die Vorgängerwährung des Euro per Ende 2001 ihre Gültigkeit als gesetzliches Zahlungsmittel verloren hat, können die Noten und Münzen weiter bei der Deutschen Bundesbank in Euro umgetauscht werden – und zwar ohne zeitliche Befristung. Einen ähnlichen Umgang mit den früheren Landeswährungen kennen die meisten Notenbanken im Euro-Raum. Kein Ablaufdatum haben auch alte Euro-Noten; sie können für unbeschränkte Zeit zum Nennwert umgetauscht werden. Auch England und die USA garantieren den unbefristeten Umtausch von Geldscheinen, die aus dem Verkehr gezogen worden sind.

Gänzlich anders liegen die Dinge in der Schweiz. Wird hierzulande eine neue Banknotenserie lanciert, wie das im laufenden Monat mit lauten Fanfarenklängen bei der neuen Fünfzigfrankennote der Fall war, sind die alten Noten nur noch «bis auf weiteres» verwendbar. Nach der Emission des letzten Notenwerts einer neuen Serie kündigt die Schweizerische Nationalbank (SNB) jeweils den Rückruf der alten Serie an. Danach können die Banknoten zwar noch während zwanzig Jahren bei den Kassenstellen oder Agenturen der Nationalbank zum Nennwert umgetauscht werden. In der Folge sind die Noten aber wertlos – oder haben bestenfalls noch Sammlerwert. Eine solche Guillotine fällt das nächste Mal am 30. April 2020. Nach diesem Datum wird die Ende der 1970er Jahre ausgegebene sechste Banknotenserie, von der Ende vergangenen Jahres noch immer 1,14 Mrd. Fr. im Umlauf waren, ihren Geldwert verlieren.

Geprellte Gastarbeiter

Die Schweizer Praxis ist ordnungspolitisch heikel. So kommt es letztlich einer Enteignung gleich, wenn ein in alten Banknoten angehäuftes Guthaben von einem Tag auf den anderen per Dekret für wertlos erklärt wird. Dies zu spüren bekommen etwa Erben, die im Nachlass eines Verstorbenen noch Banknoten einer zu Makulatur gewordenen Serie entdecken. Weitere Verlierer – und diese Gruppe dürfte beim Franken besonders stark wiegen – sind ehemalige Gastarbeiter, die der Schweiz vor geraumer Zeit den Rücken gekehrt haben. Viele von ihnen dürften in der Hoffnung auf die anhaltend solide Werthaltigkeit des Frankens noch immer einige Ersparnisse in Banknoten besitzen, die bereits in vier Jahren keinerlei Kaufkraft mehr haben werden.

Das Problem solcher Konfiskationen wird in Zukunft eher grösser als kleiner werden. So haben die Globalisierung, die Zu- und Abwanderung sowie der international mobiler gewordene Arbeitsmarkt dazu geführt, dass immer mehr Arbeitskräften nur noch zeitlich begrenzt in der Schweiz tätig sind. Bei der SNB ist man sich dieser Problematik bewusst. Die Informationskampagne rund um den Rückruf der sechsten Banknotenserie ist deshalb auch auf jene Länder ausgedehnt worden, wo besonders viele frühere Gastarbeiter vermutet werden. Dennoch, bis in die hintersten Winkel Italiens oder der Türkei dürfte die Nachricht, dass einige Schweizer Banknoten bereits im Jahr 2020 zu Altpapier werden, kaum dringen. Erschwert wird die Benachrichtigung dadurch, dass ehemalige Gastarbeiter in aller Regel keine gut organisierte Gruppe mit politischem Einfluss darstellen.

Ein Reputationsrisiko

Die einfachste Lösung des Problems wäre natürlich, auch Schweizer Banknoten zeitlich unbefristet bei der SNB umtauschen zu können, allenfalls gegen eine entsprechende Aufwandentschädigung. Das käme der Reputation des Frankens ebenso zugute wie dem Ruf der SNB. So muss die Notenbank wohl mit einiger Kritik rechnen, sollten 2020 im Ausland grössere Summen an Franken «verloren» gehen. Die SNB will sich zu diesem Thema indes nicht äussern, da eine Praxisänderung vom Gesetzgeber zu entscheiden wäre. Nötig wäre namentlich eine Änderung des Bundesgesetzes über die Währung und die Zahlungsmittel (WZG). Dort ist in Artikel 9 festgehalten, dass die SNB nur zwanzig Jahre nach dem ersten Rückruf dazu verpflichtet ist, zurückgerufene Noten zum Nennwert umzutauschen.

Politische Initiativen in Richtung einer Praxisänderung gibt es keine. Mancher Politiker dürfte die regelmässige Ungültigerklärung alter Banknotenserien als adäquates Mittel betrachten, um die Halter von Schwarzgeldern nervös zu machen oder zu bestrafen. Geldpolitische Beobachter zeigen sich aber überzeugt, dass die Besitzer von Schwarzgeld meist Wege finden, um ihr Barvermögen fristgerecht in die neue Banknotenserie zu transferieren. Leidtragende sind eher schlecht informierte Sparer im Ausland – etwa die erwähnten ehemaligen Gastarbeiter.

Die politische Zurückhaltung dürfte aber nicht nur mit dem Problem von Schwarzgeld und mit geldpolitischen Motiven zu erklären sein. Tatsache ist auch, dass sich Politiker mit einem entsprechenden Vorstoss mancherorts unbeliebt machen würden. Das hat damit zu tun, dass der Gegenwert der bis zum Stichdatum nicht eingelösten Banknoten laut WZG an den «Schweizerischen Fonds für Hilfe bei nicht versicherbaren Elementarschäden» fällt – eine bei Kantonen hochgeschätzte Kasse zur Finanzierung von Unwetterschäden. Bis 1954 kam zudem auch der eidgenössische Invalidenfonds in den Genuss des Erlöses aus verfallenen Banknoten. Für solche gemeinnützige Fonds und deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln gibt es zweifellos gute Gründe. Deren Vermengung mit den Kernaufgaben einer Notenbank erscheint jedoch als heikles Konstrukt.