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“Der Totalausfall der Bafin muss Konsequenzen haben” – Staatshaftungsklage wegen Wirecard-Skandal?

Welche Schuld trifft die Bafin im Wirecard-Skandal?

Genau genommen hat alles 2002 begonnen. Neu gegründet wurden damals der Zahlungsdienstleister Wirecard und auch die heimische Finanzaufsicht Bafin. Letztere entstand aus Verschmelzung der Aufsichtsbehörden für Kredit- und Versicherungswesen sowie Wertpapierhandel. Das geschah, um Kompetenzwirrwarr und Lücken in der Aufsicht zu beseitigen.

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Heute ahnt man, dass das ein Fehlschlag war. Denn das Fintech Wirecard konnte unter den Augen der Aufsicht mutmaßlich schon seit 2015 Fakeumsätze sowie Gewinne im großen Stil in die Bilanzen schreiben, ohne sanktioniert zu werden. Anleger- und Anleihevermögen sowie Bankkredite in Milliardenhöhe dürften sich in Rauch aufgelöst haben. Regressforderungen türmen sich bereits.

“Die Aufsicht wurde so organisiert, dass sie scheitern musste”

Schadensersatzklagen gegen den Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY, Vorstände sowie die Ratingagentur Moody’s sind auf den Weg gebracht oder in Vorbereitung. Sogar der Bafin droht Ungemach, obwohl sie gesetzlich eigentlich von Haftung ausgenommen ist. Das könnte aber europarechtswidrig sein, glaubt der Berliner Anlegeranwalt Marc Liebscher und rüstet sich für rechtliche Schritte. “Wir sind von internationalen Investoren beauftragt worden, Staatshaftungsklage zu prüfen”, erklärt er. Wenn man die vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bringt, könne dort der Haftungsausschluss kippen. Begründen kann Liebscher das Anliegen in einem Satz. “Die Aufsicht wurde so organisiert, dass sie scheitern musste.”

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Das kann man so sehen. Beseitigt wurde das Kompetenzwirrwarr 2002 jedenfalls nicht. Auch die Digitalisierung der Finanzwirtschaft wurde damals kaum berücksichtigt. Die Bafin sei nur für die Prüfung der Wirecard Bank und nicht des Gesamtkonzerns zuständig, verteidigte sich Bafin-Chef Felix Hufeld vor dem Finanzausschuss des Bundestags. Im Einvernehmen mit Bundesbank und Europäische Zentralbank (EZB) habe man Wirecard als technologiegetriebenen Konzern und nicht als Finanzholding eingestuft. Bei Letzterem hätten volle Kontrollmöglichkeiten bestanden, bei Ersterem nur solche über die Wirecard Bank. Die mutmaßlich kriminellen Machenschaften gab es aber abseits der Bank.

Wirecard fiel durch das Prüfraster

Nach dieser Lesart aufsichtsrechtlich für die Konzernbilanzen zuständig war damit die Deutsche Prüfungsstelle für Rechnungslegung (DPR), der die Bafin Anfang 2019 einen Prüfauftrag zu Wirecard erteilt hat. Die DPR gilt als chronisch unterbesetzt. Ihre Mittel und Möglichkeiten sind beschränkt. Ermittlungen in mehreren asiatischen Ländern, wie sie bei Wirecard nötig gewesen wären, kann sie nicht leisten, womit Wirecard vollends durch das Prüfraster fällt. Gut ein Jahr nach Prüfauftrag an die DPR liegt noch kein Ergebnis vor. Das ist die Regel. Im Schnitt benötigt die DPR 13,5 Monate für eine Prüfung, verrät Hufeld.

Einen Systemfehler statt einen der Bafin sieht auch der Chef des Versicherungsriesen Allianz, Oliver Bäte. “Wirecard ist ja ein Finanzdienstleister, aber er wurde nicht reguliert wie ein Finanzdienstleister und ich halte das für falsch”, sagt er. Man müsse die Aufsicht danach ausrichten, was Menschen wirklich tun, und nicht danach, ob ein Unternehmen Bank oder Versicherung heiße. Es brauche eine andere Regulierungslogik.

Der Totalausfall der Bafin muss und wird Konsequenzen haben.

Andreas Tilp,

Anwalt

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Letzteres stimmt zwar, aus dem Schneider ist die Bafin damit aber nicht. Zum einen ist Dienst nach Vorschrift, hinter dem sie sich verschanzt, kein Freibrief. Experten sind zudem noch am Abwägen, ob die Bonner den Fall per Zahlungsdienstaufsichtsgesetz nicht doch an sich hätten ziehen können – und müssen. Das gewichtigere Argument ist aber, dass die Bafin eine zweite Möglichkeit hatte, das Richtige zu tun, indem sie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet, wenn sie mit dem Aufklären nicht weiterkommt. Tatsächlich stellte die Bafin im April 2019 auch Strafanzeige – allerdings gegen Journalisten der britischen Zeitung “Financial Times” (FT), die den Wirecard-Skandal aufgedeckt haben. Sie wurden beschuldigt, den Kurs von Wirecard im Verein mit Spekulanten in den Keller geschrieben zu haben, um daran kriminell zu verdienen.

Viele Wirecard-Opfer haben sich schon gemeldet

Erst über ein Jahr später, im Mai 2020, hat die Bafin ihren Kurs korrigiert und eine zweite Anzeige erstattet – diesmal gegen Wirecard. “Der Totalausfall der Bafin muss und wird Konsequenzen haben”, sagt Andreas Tilp. Er ist wie Liebscher Anlegeranwalt und fordert für Wirecard-Opfer einen staatlichen Entschädigungsfonds in Milliardenhöhe sowie Gesetzesreformen, die echte Kontrolle auch moderner Fintechkonzerne erlauben.

“Sollte kein Entschädigungsfonds eingerichtet werden, behalten wir uns vor, mit der Schlagkraft von mehr als 36.000 Geschädigten im Rücken gegen die Bafin prozessual sämtliche Register zu ziehen”, warnt Tilp und hat wie Liebscher den EuGH im Auge. Denn so viele Wirecard-Opfer haben sich allein bei seiner Kanzlei schon gemeldet. Es sei juristisch ein dickes Brett, gegen die Bafin vorzugehen, sind sich beide Anwälte einig. Sie halten das Versagen bei Wirecard aber für so enorm und die Schäden für so groß, dass Chancen bestünden. Mit Blick nach vorn wichtiger wäre, die Aufsicht endlich in einer Hand zu bündeln, ihr eindeutig auch Fintechs zu unterstellen und für so viel personelle wie finanzielle Ausstattung zu sorgen, dass die Kontrolle auch Biss bekommt.

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