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Großbritannien Amess-Attentäter war in Präventionsprogramm gegen Radikalisierung

Nach der tödlichen Messerattacke auf den britischen Abgeordneten Amess ist eine Debatte über die Sicherheit von Politikern entbrannt. Auch über den mutmaßlichen Täter wurde mehr bekannt.
Blumen für den ermordeten Tory-Abgeordneten David Amess

Blumen für den ermordeten Tory-Abgeordneten David Amess

Foto: ANDY RAIN / EPA

Der mutmaßliche Mörder des britischen Abgeordneten David Amess hat britischen Medienberichten zufolge an einem Präventionsprogramm gegen Radikalisierung teilgenommen. Wie unter anderem die BBC berichtete , sei der 25-Jährige bereits vor einigen Jahren an das Präventionsprojekt »Prevent« verwiesen worden. Er war demnach allerdings nicht lange Teil des freiwilligen Programms. Unter Beobachtung des Inlandsgeheimdiensts MI5 habe er aber nicht gestanden.

Der Tory-Abgeordnete David Amess wurde am Freitag während einer Bürgersprechstunde in seinem Wahlkreis in dem Ort Leigh-on-Sea in der Grafschaft Essex zum Opfer einer Messerattacke. Amess erlitt mehrere Stichverletzungen und starb noch vor Ort. Der 25-jährige Verdächtige, der sich nach der Tat hingesetzt und auf die Polizei gewartet haben soll, wurde vor Ort festgenommen, zunächst unter Mordverdacht.

Inzwischen wird der Brite mit somalischer Herkunft wegen Terrorverdachts festgehalten. Erste Untersuchungen hatten nach Angaben der Polizei »eine mögliche Motivation in Verbindung zu islamistischem Extremismus« ergeben. Sein Vater, ein früherer Berater des somalischen Ministerpräsidenten, sagte der »Times« , er fühle sich »sehr traumatisiert« von der Tat. Er habe mit so etwas nie gerechnet.

Die Polizei geht davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt. Wie Scotland Yard am Samstagabend mitteilte, fanden im Zusammenhang mit dem Fall drei Hausdurchsuchungen im Raum London statt.

Hunderte gedachten am Samstagabend des 69 Jahre alten Opfers bei einer Lichter-Mahnwache in Leigh-on-Sea. Premierminister Boris Johnson und andere führende Politiker legten am Samstag Kränze am Tatort nieder. Neben Johnson nahmen an der Trauerzeremonie unter anderen Oppositionsführer Keir Starmer von der Labourpartei, Innenministerin Priti Patel und der Parlamentsvorsitzende Lindsay Hoyle teil. Auch andere Menschen legten Kränze und Blumen vor dem Tatort, einer Methodistenkirche, ab. Auf einem Blumenstrauß war zu lesen: »RIP Sir David. Das haben Sie nicht verdient«.

Tierliebhaber David Amess (Archivbild)

Tierliebhaber David Amess (Archivbild)

Foto: ANDY RAIN / EPA

Es handelte sich bereits um den zweiten Mord an einem britischen Politiker binnen fünf Jahren. 2016 war die Labour-Abgeordnete Jo Cox im Vorfeld des Brexit-Referendums von einem Rechtsextremen getötet worden. Cox’ Witwer bezeichnete den Angriff auf Amess als »so feige, wie es nur geht«. Mehrere Abgeordnete forderten eine Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen bei öffentlichen Veranstaltungen sowie Maßnahmen gegen die zunehmende Gewalt gegen Politiker.

Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant schrieb in einem Gastbeitrag  im »Guardian«, dass »vernünftige Maßnahmen« nicht nur im Parlament, das in der Regel bewacht wird, sondern auch in den Wahlkreisen notwendig seien. Dort hielten sich Abgeordnete häufig an öffentlichen Orten wie Gemeindehäusern oder auf der Straße auf. »Wir wollen nicht in Festungen leben. Aber ich möchte nicht noch einen Kollegen durch einen gewaltsamen Tod verlieren«, sagte er. »Wir Abgeordneten müssen unsere eigene Sicherheit ernster nehmen.«

Innenministerin Patel ordnete eine Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen für alle 650 Abgeordneten durch die Polizei an. Sie betonte jedoch, dass der Anschlag die Abgeordneten nicht davon abhalten werde, persönliche Treffen mit den Bewohnern ihrer Wahlkreise abzuhalten. »Wir lassen uns von niemandem einschüchtern«, sagte Patel nach der Kranzniederlegung dem Sender Sky News.

»Es könnte jeden von uns treffen«

Amess’ Parteifreund Tobias Ellwood, der für seinen beherzten Erste-Hilfe-Einsatz nach einem terroristischen Angriff auf das Parlament im Jahr 2017 bekannt wurde, forderte am Samstag hingegen, physische Treffen von Abgeordneten mit Bürgern vorübergehend einzustellen.

Britische Abgeordnete, die alle direkt in ihrem Wahlkreis gewählt werden, bieten regelmäßig Sprechstunden mit Bürgern an, die auch kurzfristig besucht werden können. Die sogenannten »surgeries« werden gewöhnlich einmal pro Woche abgehalten und gelten als wichtiger Bestandteil der demokratischen Kultur in Großbritannien. Auch Jo Cox war bei einer solchen Bürgersprechstunde ermordet worden.

Amess hinterlässt eine Frau und fünf Kinder. Der gläubige Katholik aus einer Arbeiterfamilie galt als erzkonservativer Brexit-Befürworter, der sich gegen das Recht auf Abtreibung und für Tierrechte einsetzte. Er war auch ein entschiedener Gegner der Fuchsjagd. Amess saß seit 1983 für die Tories im britischen Parlament, zuerst für den Wahlkreis Basildon, später für Southend West. Er war ein glühender Anhänger der »Eisernen Lady« Margaret Thatcher. 2015 wurde er zum Ritter geschlagen.

In einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch klagte Amess noch darüber, wie die seit dem Mord an Cox gestiegenen Sicherheitsvorkehrungen »die großartige britische Tradition« der Treffen mit Bürgern erschwerten. »Wir alle machen uns gern verfügbar für die Bewohner unserer Wahlkreise und haben es oft mit Menschen mit psychischen Problemen zu tun. Es könnte jeden von uns treffen«, so Amess damals.

kry/dpa/AFP

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