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Hersteller auf der IAA: China kommt

Foto: Jürgen Pander

Chinesische Hersteller auf der IAA Aufschwung Ost

Die chinesischen Autohersteller treten auf der IAA extrem selbstbewusst auf. Sie präsentieren das PS-stärkste Auto der IAA, den Wagen mit dem größten Bildschirm - und könnten die Machtverhältnisse in der Branche bald ändern.

Bombastische Musik dröhnt durch Halle 8, Videosequenzen flimmern über riesige LED-Leinwände, chinesische Schriftzeichen blitzen auf, dann fallen Vorhänge. Die Inszenierung des Messeauftritts der chinesischen Luxusmarke Hongqi ist beeindruckend.

Am Ende der Vorführung sind zwei Premieren enthüllt: Das PS-stärkste Auto der IAA und ein gewaltiger Elektro-SUV, der aussieht wie ein Stück chinesische Mauer auf Rädern.

"Die chinesischen Hersteller treten mit einer Präsenz und Wucht in Frankfurt auf, die ich so nicht erwartet habe", sagt Jan Dannenberg, Partner bei der Strategieberatung Berylls. Die Wucht lässt sich bei Hongqi in eine Zahl fassen: 1400 PS leistet der Supersportwagen-Prototyp S9 und überbietet damit selbst den neuen Lamborghini-Renner Sián (819 PS) deutlich. Der S9 ist das erste Hypercar der zum First Automotive Works-Konzern (FAW) gehörende Marke Hongqi. Der Zweisitzer verfügt über einen Hybridantrieb aus 4-Liter-V8-Motor und zwei E-Maschinen. Die Karosserie ist aus Karbon gefertigt, der Einstieg erfolgt durch Flügeltüren.

Sehr flach, geschmeidig und aus aerodynamischen Gründen an einigen Partien auch extrem zerklüftet ragt der S9 optisch heraus auf der Automesse. 70 Exemplare des Extremsportwagens sollen gebaut werden, erfährt man auf Nachfrage beim Standpersonal. Ab 2021 soll die limitierte Auflage ausgeliefert werden, der Stückpreis liegt bei umgerechnet 2 Millionen Euro.

Ein SUV-Brocken im Stil von Rolls-Royce

Das zweite Auto auf dem Stand ist die Elektro-SUV-Studie E115. Klotzige Karosserie, immense Dimensionen: in mancher Hinsicht ähnelt das Trumm dem Rolls-Royce Cullinan. Das ist kein Zufall, denn Hongqi hat vor einem Jahr den ehemaligen Rolls-Royce-Chefdesigner Giles Taylor abgeworben. Das SUV-Geschoss soll in weniger als vier Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen und mit einer Akkuladung bis zu 600 Kilometer weit fahren können.

Ein reines Showcar? Auf Nachfrage macht Hongqi klar, dass es sich beim E115 um ein seriennahes SUV-Modell handelt. Bereits vor der Messe hatte FAW-Chef Xu Liuping angekündigt, 17 neue Autos bis 2025 auf den Markt zu bringen. Möglicherweise ist der E115 eines davon. Allerdings vorerst nur in China, denn Pläne für einen Markteinstieg in Europa gab Hongqi in Frankfurt nicht bekannt.

Byton will ab 2021 Autos in Deutschland verkaufen

Byton allerdings schon. Der zweite chinesische Hersteller in Halle 8 kündigt an, ab dem ersten Halbjahr 2021 in Europa anzutreten. Der Messeauftritt des erst 2017 gegründeten Auto-Start-ups ist zwar weniger pompös, dafür gibt es erstmals den serienreifen Elektro-SUV M-Byte zu sehen. Auch bei diesem Auto hat FAW seine Finger im Spiel, denn der Konzern investierte mehrere Hundert Millionen Dollar in Byton. Und durch die Übernahme einer FAW-Tochterfirma sicherte sich Byton überhaupt erst die Lizenz zum Bau von elektrischen Serienfahrzeugen.

Im Sommer 2020 soll die Auslieferung des M-Byte in China beginnen, danach soll der Export starten. Auch in die USA, trotz des Handelsstreits und drohender Zusatzzöllen. "Das Produkt hätte dort immer noch einen Markt, selbst mit einem höheren Preis", sagt Byton-Chef Daniel Kirchert bei der Weltpremiere in Frankfurt. Kosten soll der M-Byte übrigens 45.000 Euro - inklusive Riesenscreen und zwei Touchpads zur Bedienung. Der Plan ist, ab 2021 pro Jahr mindestens 100.000 Autos zu produzieren. Dann wird der M-Byte Gewinne abwerfen, so Byton-Chef Kirchert.

Wachablösung in der Fahrzeugindustrie?

Dass es möglich ist, in kurzer Zeit viele Autos abzusetzen, zeigt der dritte chinesische Hersteller auf der IAA. Der Luxus-SUV-Hersteller Wey hat drei Jahre nach Gründung bereits 300.000 Autos verkauft. Vielleicht trat Firmenchef Jack Wey auch deshalb mit stolzgeschwellter Brust auf, und sprach bei der Pressekonferenz ausschließlich chinesisch. Wey-Chef Wey sieht die chinesischen Autohersteller aufgrund Chinas Vorreiterrolle in der 5G-Mobilfunktechnologie als potentielle Leader der Industrie, schließlich sind Autos für ihn "mobile devices", also Smartphones auf Rädern.

"Das selbstbewusste Auftreten der Chinesen auf der IAA im Gegensatz zur eher zurückhaltenden Präsenz der deutschen Automobilunternehmen wirkt wie ein Vorbote für eine Wachablösung an der Spitze der Mobilitätsindustrie", sagt Auto-Experte Dannenberg. In Frankfurt enthüllte Wey das elektrische SUV-Konzeptauto Wey-S, das bis zu 400 Kilometer Reichweite bieten soll. Ab 2021 sollen die rein elektrischen Wey-Fahrzeuge in China fahren. Doch Jack Wey hat auch Europa im Blick.

"Made in China" - das neue "Made in Germany"

Das 2016 in Deutschland eröffnete Entwicklungszentrum solle als Startpunkt für die Expansion in europäische Märkte dienen, so Wey in Frankfurt. Gut möglich, dass der Luxus-SUV-Hersteller künftig auch Autos mit Brennstoffzellen-Technologie in der Produktpalette hat. Wey ließ sicher nicht von ungefähr durchsickern, dass das Unternehmen auch am Wasserstoffantrieb arbeitet. Zumindest in Deutschland lässt sich damit punkten. Zumal der Wey-Mutterkonzern Great Wall Motors seit vergangenem Jahr Gesellschafter beim Zusammenschluss "H2 Mobility" ist, der die Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland ausbauen will.

Jack Wey will jedoch nicht nur Autos verkaufen, sondern insgesamt Chinas Image aufbessern. "Wir hoffen, dass sich die Menschen überall auf der Welt in das Label 'Made in China' verlieben", so Wey. Dass es gar nicht so viel Pathos braucht, um auf der IAA präsent zu sein, zeigt der chinesische Großkonzern Geely. Zu dessen Firmenverbund gehört neben Volvo und der Elektroluxusmarke Polestar auch die britische London Electric Vehicle Company LEVC, Hersteller der berühmten - jetzt elektrisch angetriebenen - Londoner Taxis. Polestar und LEVC stellen auf der Messe ihre Neuheiten aus. Seit 2018 hält Geely zudem auch 9,7 Prozent an Daimler.

Wer übrigens mit dem Zug zur Automesse anreist, wird zwangsläufig mit Autos aus China in Kontakt kommen. Denn noch in der Halle des Frankfurter Hauptbahnhofs stehen zwei SUVs des chinesischen Herstellers Aiways. Die zwei ausgestellten Prototypen des Aiways U5 haben eine etwa 15.000 Kilometer lange Testfahrt hinter sich - von Xi'an in der chinesischen Provinz Shanxi bis nach Frankfurt. Die Reise brachte Aiways einen Eintrag ins "Guinness Buch der Rekorde" ein - für die längste Prototypen-Testfahrt eines Elektroautos bislang. Die Zeiten, in denen chinesische Autos schon am ersten IAA-Nachmittag in ihre Einzelheiten zerfielen, sind lange vorbei. Im Gegenteil: Jetzt müssen andere aufpassen, dass sie nicht von den Chinesen zerlegt werden.