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Big Brother, die Erste: Wahnsinn in der Dose

Foto: Alexander Kuffner

Big Brother, die Erste Wahnsinn in der Dose

Deutschland im Zlatko-Fieber: Die erste Staffel von Big Brother erzielte Einschaltquoten, von denen RTL II heute nur noch träumen kann. Zu Tumulten kam es, als gescheiterte Kandidaten den Container verließen und von tausenden Fans begrüßt wurden. Alexander Kuffner war mittendrin.

Schreiende Menschen, Kreislaufzusammenbrüche, Massenhysterie. Beängstigende Szenen spielen sich vor dem zum damaligen Zeitpunkt berühmtesten Haus Deutschlands ab. Es ist Sonntag, der 9. April 2000, gegen 21:30 Uhr. Einen Monat nach dem Start der höchst umstrittenen TV-WG Big Brother hat das Format längst einen unglaublichen Hype ausgelöst. Nach zahlreichen öffentlichen Diskussionen und den Unmutsbekundungen diverser Politiker ist der TV-Käfig inzwischen dort angelangt, wo ihn die Produzenten vom Start an haben wollten: in aller Munde.

An diesem Abend ist wieder einmal "Judgement Day", der Tag der Abrechnung auf dem Produktionsgelände der NOB-Studios in Köln/Hürth. Es entscheidet sich, welcher der beiden bis dato beliebtesten Bewohnern das Haus verlassen muss. Jürgen oder Zlatko - rheinisches Dauerlächeln mit Lokalbonus oder mazedonischer Einfaltspinsel mit Knuddelfaktor. Die aus 6000 bis 7000 Menschen bestehende Menge vor dem Haus ist aufgeregt, höchst aufgeregt. Viele stehen schon seit zehn Stunden vor der blauen Plane und dem Metallzaun mit Stacheldraht, die als Sicht- und Stürmbarriere zum Haus dienen. Jeder zweite hat Dosenbier dabei, einige haben sogar einen Holzkohlegrill angeworfen. Fast alle aber tippen auf einen Rausschmiss Jürgens.

In der leidlich abgesperrten "Besucherzone" für Angehörige und Freunde, direkt neben dem Tor, aus dem der rausgeworfene Kandidat in wenigen Minuten treten wird, stehen Sybille Raider und ihre Tochter. "Isch kenn den Jürgen von klein auf", erzählt sie stolz. Währenddessen wird über Lautsprecher verkündet, dass die Veranstaltung bald abgebrochen werde, wenn weiter so ein Gedrängel herrsche.

Buh-Rufe, Entsetzen, Fassungslosigkeit

Einige Absperrgitter neigen sich bedenklich gen Boden. Weinende, schreiende Menschen werden von den Wachmännern aus der Menge gezogen. Sibylle Raider würdigt das Chaos wenige Meter von ihr entfernt keines Blickes. "Wenn der Jürgen gleisch rausfliegt, dann fahren wir alle zu Guido´s Kneipe, dem Backstein in Köln-Pesch. Datt is Jürgens Lieblingskneipe, da wird dann gefeiert". Extra mit einem Reisebus seien sie alle gekommen, um "ihren" Jürgen zu begrüßen und mitzunehmen.

Es ist kurz vor 22 Uhr. Während einer Werbepause wendet sich der Moderator der "Big Brother"-Livesendung, Percy Hoven, aus dem Studio nebenan via Videoleinwand an die Menge vor dem Studio und teilt mit, dass es bald losgehe. "Und bitte drängelt nicht so, wir wollen das heute Abend doch gut und ohne Probleme über die Bühne bringen". Schließlich ist es soweit, Hoven ist wieder auf Sendung und die grölende Meute hat ihre Sprechchöre abrupt abgebrochen. Alle starren auf die Leinwand, während das Ergebnis der Telefonaktion verkündet wird.

Zlatko muss das Haus verlassen. Schiere Fassungslosigkeit zeigt sich in Tausenden entsetzten Gesichtern, Buh-Rufe sind zu hören. Als der frische gekürte Ex-Bewohner kurz darauf durch das Tor tritt und mit offenen Armen in die Menge eintaucht, kann er den Medienrummel, der in den nächsten Tagen auf ihn hereinbrechen wird, nur erahnen. Der erste eigene Song wird schon in 18 Stunden auf CD gepresst und in einer Woche die Nummer eins der deutschen Singlecharts sein.

Schreikrämpfe in der Luxus-Limo

Zlatko lässt sich bejubeln, die Limousine braucht 15 Minuten für die 300 Meter zum Studio. Was der Zuschauer nicht sieht: Moderatorin Sophie Rosentreter, die den neuen Superstar vor der Tür interviewte und jetzt mit im Auto sitzt, bekommt panische Schreikämpfe aufgrund der Fanmassen, die gegen die Scheiben schlagen. Zeitgleich drängt sich Sybille Raider nebst Tochter zum Ausgang in Richtung ihres Reisebusses. "Wer ist denn jetzt rausgeflogen?", fragt sie. "Wir haben das Geschubse nicht mehr ausgehalten und sind früher weg".

Zwei Wochen später, an einem Ostersonntag, steht ein weiterer Rausschmiss aus dem "Big Brother"-Haus an. Nominiert sind alle im Haus verbliebenen Frauen. Die Stimmung unter den Bewohnern des TV-Knastes ist seit Tagen gereizt. Und eigentlich ist bereits im Vorfeld klar, dass es die bei großen Teilen der Zuschauerwelt verhasste "Container-Zicke" Manuela "Manu" Schick treffen wird. Vor dem Tor steht nach dem Zlatko-Fiasko zwei Wochen zuvor diesmal nur eine begrenzte Menge von knapp tausend handverlesenen Fans. "Ich bin extra aus Österreich hergefahren, um Manu gehen zu sehen", brüllt einer. Und wirklich, die Autokennzeichen auf den Parkplätzen und in den Seitenstraßen sprechen Bände. Magdeburg, München, Hannover. Obwohl bereits feststeht, dass es eigentlich nur die beim Publikum verhasste Manu erwischen kann, hält die abgewählte Bewohnerin noch eine Überraschung parat. Mitbewohnerin Kerstin Klinz wird sie aus Solidarität aus dem Haus heraus in die Freiheit begleiten.

Als beide Frauen das von zahlreichen Wachmännern gesicherte Tor durchschreiten, bleiben selbst den Fans in der ersten Reihe nur Sekunden, um einen Blick auf die Haarzöpfe der beiden zu erhaschen. Schnell steigen sie in den eigens für diesen Abend georderten gepanzerten Mercedes Jeep ein und brausen ab in Richtung Studio. Zwei, drei Eier fliegen, doch einen Tumult gibt es nicht.

Ein Moorhuhn namens Boning

Nach der TV-Show dann das Wiedersehen mit den angereisten Freunden und Verwandten im Foyer des Studios. Am Eingang zum Foyer unterhalten sich zwei Security-Männer: "Und, wie war's bei Dir?" "Och, ging - im Gegensatz zu Zlatko". Vor der Außentür steht Showgast Wigald Boning ein wenig verloren im Moorhuhn-Kostüm herum und hofft auf Medieninteresse. Doch das gilt einzig und allein den beiden blonden Mädels, die eben den Container verlassen haben.

Es wird geherzt und gedrückt, geküsst und erzählt. Die ersten zaghaften Autogrammwünsche des Studiopublikums werden laut. Kerstin aus Berlin weicht beim Unterschreiben schon auf Körperteile aus, während eine Mitarbeiterin des Studios einen Stapel frisch gedruckter Autogrammkarten heranschleppt. "Wahnsinn!", ist Kerstins einziger Kommentar, während sie ihr erstes auf eigene Karten geschriebenes Autogramm begutachtet.

Manu aus Hamburg ist derweil ebenfalls sehr beschäftigt. Mindestens fünf Freunde beanspruchen sie gleichzeitig, Kamerateams wollen Statements, Fans Autogramme. Drei Meter abseits der kleinen Traube, die sich um die erst so verhaßte und plötzlich so gefragte Hamburgerin gebildet hat, steht ein farbiger Mann mit "Big Brother" Baseballkappe: Manus Freund Douglas, der sich das Treiben mit müden Augen anschaut. "Ich fahre jetzt gleich zurück nach Hause, Manu bleibt hier. Die hat in den nächsten Tage noch tausend Termine." Er habe bis jetzt keine einzige gemeinsame Minute mit ihr verbringen können, gibt er noch resigniert von sich. Auf persönliche Belange kann Big Brother eben keine Rücksicht nehmen.