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Bei mir bist du schön

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Harry Croner / ullstein bild

Geschichte eines jüdischen Songs Wie "Bei mir bist du schön" zum Welthit wurde

Für 30 Dollar verkaufte ein Komponist das Lied "Bei Mir Bistu Shein", schwarze Musiker entdeckten das Jazzpotenzial. Die Nazis verboten den Erfolgsschlager, als sie den Ursprung bemerkten – ein jiddisches Musical.

Zu einer "Klarinetten-Schlacht Vereinigte Staaten gegen Deutschland" trafen sich 1958 zwei brillante Musiker im TV-Programm "Jazz Party" eines New Yorker Senders. Bob McGarry zählte zu den bekanntesten Klarinettisten der USA. Und Rolf Kühn wurde vorgestellt als "young German", der in der Big Band von Benny Goodman spielt und den berühmten Chef vertritt, wenn der "King of Swing" einmal nicht mit auf Tournee gehen kann.

Für ihr musikalisches Duell, auf YouTube nachzuerleben , einigten die beiden sich auf den Titel "Bei mir bist du schön". "Das war eine populäre Swing-Nummer", erzählt Kühn am Telefon aus Berlin, "über die Geschichte des Songs wusste ich damals noch nichts." Mit inzwischen 91 Jahren ist er als Musiker immer noch aktiv und hat heute eine besondere Beziehung zu "Bei mir bist du schön".

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Der weltweit wohl bekannteste jüdische Song aller Zeiten hieß in seiner Originalfassung "Bei Mir Bistu Shein"  und wurde seit den Dreißigerjahren x-fach gecovert, zuletzt auch mit einigen klubkompatiblen Electroswing-Remixen. Der Originaltext wurde erst ins amerikanische Englisch, dann in etliche weitere Sprachen übersetzt – der Refrain aber blieb meist in seiner jiddischen Urform. Für die schwer verständliche Hauptzeile erfand das Publikum Verballhornungen wie "Buy a beer, Mr. Shane", "My mere bits of shame" oder auch "A bear missed the train".

Komponiert hatte die Melodie Sholom Secunda, ein aus Russland in die USA eingewanderter Kantor; den Text schrieb Jacob Jacobs. Es war ein Duett für das jiddische Musical "Men ken leben nor men lost nisht  ("Man könnte leben, aber sie lassen uns nicht"). Im Stück liebt ein Arbeiter einer Schuhfabrik die Tochter des Besitzers und wird entlassen, weil er sich als Gewerkschafter engagiert. Zum Happy End bekommt er dennoch die Kapitalistentochter.

"Damit kann ich nichts anfangen. Das ist zu jüdisch."

Broadway-Star Eddi Cantor

Das Musical lief 1932 für eine Spielzeit in einem jüdischen Theater im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Nach der Absetzung wollte Komponist Secunda die Rechte von "Bei Mir Bistu Shein" dem Broadway- und Radio-Star Eddi Cantor verkaufen. Der lehnte ab mit den Worten: "Damit kann ich nichts anfangen. Das ist zu jüdisch." Dann griff ein Musikverlag zu. Secunda erhielt 30 Dollar, die er sich mit dem Texter teilte.

Das Musical verschwand in der Versenkung, das Liebeslied aber wurde in jüdischen Hotels in den Catskill-Bergen bei New York weiter gespielt. Dort sang das afroamerikanische Duo Johnny & George eine jazzige Version, zur Gaudi des Publikums mit dem jiddischen Originaltext. Als die Entertainer "Bei Mir Bistu Shein" bei einer Show im New Yorker Schwarzenviertel Harlem brachten, hörte sie im berühmten Apollo Theater der Musikproduzent Sammy Cahn. Er erwarb die Rechte und übertrug den Text frei ins Englische, um mit "To Me You Are Beautiful" ein größeres Publikum zu erreichen.

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Am 24. November 1937 nahm Cahn das Lied bei der Plattenfirma Decca mit dem Gesangstrio The Andrews Sisters und dem Jazztrompeter Bobby Hackett auf. Drei unbekannte protestantische Schwestern mit norwegischen Wurzeln sollten den von Afroamerikanern verjazzten jüdischen Song populär machen. Weil die Decca-Manager an den Marktchancen zweifelten, nahmen sie "die wunderbare Fassung von "Bei Mir Bistu Shein"  nur auf die B-Seite; die A-Seite enthielt eine Version des Gershwin-Hits "Nice Work If You Can Get It" .

Zur Überraschung aller wurde das jüdische Lied ein Renner. Radiosender spielten es rauf und runter; binnen 30 Tagen verkauften sich davon mehr als 250.000 Platten und 200.000 Noten. Fünf Wochen lang strahlte "Bei Mir Bistu Shein" an der Spitze der Billboard-Charts. Als erste weibliche Gesangsgruppe gewannen die Andrews Sisters eine Goldene Schallplatte. Der Erfolg des Songs zeigte, wie "eine migrantische Minderheiten-Kultur" in einer großen, demokratischen Nation die Massenkultur beeinflussen kann, so der Autor Stephen J. Whitfield.

Im Reich verboten, im KZ Theresienstadt erlaubt

Von den USA aus ging das Lied um die Welt. Die Platte mit den Andrews Sisters wurde überall verkauft; in vielen Ländern ließen Produzenten den Text übersetzen; Bands, Sängerinnen und Sänger nahmen "Bei Mir" in ihr Repertoire. In der Sowjetunion spielte das staatliche Jazzorchester eine russische Version ein.

Im deutschsprachigen Raum wurde das Lied unter dem Titel "Bei mir bist du schön" ein Erfolgsschlager. Erst nach einiger Zeit bemerkten die Behörden in Nazideutschland den Ursprung – und setzten es auf die Liste verbotener Musik von jüdischen Komponisten. Damit verschwand die Platte vom Markt, der Song aus dem Radio.

Eine Ausnahme bildeten die Kurzwellenprogramme für das englischsprachige Ausland. Charlie's Orchestra, eine von Goebbels Propagandaministerium geförderte Big Band, spielte den Hit immer wieder, um Hörer anzulocken.

Zugelassen war das Lied auch im KZ Theresienstadt. Weil die Nationalsozialisten der Welt humane Zustände in Konzentrationslagern vorgaukeln wollten, ließen sie die inhaftierten Juden eine Band bilden: Die Ghetto Swingers, zu denen der 2018 verstorbene Berliner Gitarrist und Schlagzeuger Coco Schumann gehörte, hatten "Bei Mir Bistu Schein" im Repertoire.

Im nur in Teilen erhaltenen Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" schildert der Kommentator, während die Ghetto Swingers den Song spielen, das Freizeitleben der Häftlinge im Park von Theresienstadt, das zum Schein in dieser zynischen Inszenierung unbeschwert wirken sollte.

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Wie die meisten in Theresienstadt internierten Juden wurden die Musiker 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, ebenso Kurt Gerron als Regisseur und Drehbuchautor. Coco Schumann war unter den wenigen Überlebenden.

"In Amerika half der Erfolg von 'Bei Mir' den Juden zu glauben, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatten, als sie den Pogromen Europas entflohen", schrieb die israelische Zeitung "Jerusalem Post" im vergangenen Sommer über das Lied. Nicht zuletzt durch ihre Musik seien die Juden zu einem Teil der Neuen Welt geworden.

Kein Studium für den "Halbjuden"

Ein New Yorker Sender strahlte zwei Jahrzehnte lang ein Programm "Yiddish Melodies in Swing" aus. Benny Goodman , Ella Fitzgerald  und viele andere Größen des Jazz und Swing brachten "Bei Mir" bei ihren Auftritten. Zarah Leander  nahm ihn 1938 auf Schwedisch auf.

Der Song passt offenbar in alle Zeiten und Genres. Louis Prima  veröffentlichte 1959 eine Rock'n'Roll-Version. Deutschlands "Godmother of Punk" Nina Hagen  hat "Bei Mir" ebenso dargeboten wie die britische Soul-Röhre Joss Stone  oder die Düstermänner von Sisters of Mercy. Und die Kölner Stimmungsschlagertruppe "De Räuber" änderte die Titelzeile in "Ich trink Dich heut' schön" .

Jazzveteran Rolf Kühn ist trotz seines Alters eher im zeitgenössischen Jazz zu Hause. Doch bei einem der wenigen Auftritte vor Publikum in der Corona-Zeit, einem Konzert im September im Berliner Maison de France, spielte er mit dem Pianisten Sebastian Sternal "Bei mir bist du schön". Denn aufgrund seiner Biografie gewann der Song für Kühn eine besondere Bedeutung.

Seine Mutter Grete Kühn, geborene Moses, hatte einen Zigarettenladen, der 1938 in der "Reichspogromnacht" zerstört wurde. Und als sogenannter "Halbjude" durfte Rolf Kühn in der Nazizeit nicht Musik studieren. Der mutige Soloklarinettist des Leipziger Gewandhaus-Orchesters, Hans Berninger, unterrichtete den hochbegabten Jugendlichen privat. Die Kühn-Familie überstand mit Glück die zwölf Jahre der Hitlerdiktatur. Und Rolf Kühn wurde – wie sein 1944 geborener Bruder Joachim – einer der wenigen weltweit bekannten deutschen Jazzmusiker.