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VOM GOLD ZUR BUCHUNG

Je intensiver die Menschen Handel trieben, desto mehr Geld brauchten sie und desto schneller musste es umlaufen. Geld zum Anfassen gab es immer weniger.
aus SPIEGEL Geschichte 4/2009

Geld - das ist das, womit man bezahlt. Es können Zigaretten sein, wie auf den Schwarzmärkten der Nachkriegszeit. Oder ein Dutzend Eier im Tausch für ein Hufeisen.

Alles, was einen Abnehmer findet, kann zu Geld werden. Doch nicht alle Güter finden einen. Das ideale Geld sollte aus einem Stoff sein, der hochgeschätzt ist und viel Wert in geringem Volumen birgt. Er sollte beliebig teilbar und wieder zusammenzufügen und nicht verderblich, ja unvergänglich sein, wie das edelste Metall. Gold und Silber waren deshalb lange Zeit das Geldmaterial schlechthin.

Das Geld erfuhr seine Vervollkommnung als Münze: als beidseitig geprägte Metallscheibe. Ihren Wert garantierte der Staat, der auch abgenutzte Stücke ersetzte. Die ersten Münzen entstanden vor 2600 Jahren in den griechischen Handelsstädten der Ägäis.

Der Untergang der Alten Welt warf die europäische Wirtschaftsentwicklung zurück (siehe Seite 20). In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters ermöglichten Frondienste und Naturaltausch nur einen mageren Güterverkehr. Geld war fast verschwunden. Erst vom 12. Jahrhundert an gewann der Handel wieder an Bedeutung. Über Genua und Venedig gelangten Waren der Levante nach Europa, Wanderkaufleute kamen auf Messen zusammen. Die Bergwerke Mitteleuropas lieferten Silber. Gold kam aus Afrika.

Gold und Silber waren ganz besondere Waren - und gleichzeitig Waren wie alle anderen. Damit der Handel blühen konnte, musste eine entsprechende Menge Edelmetall in Umlauf sein. Geld konnte nicht geschöpft werden. Es wurde produziert. Dazu waren Lagerstätten erforderlich, und der Landesherr, der über Minen verfügte, musste den Geldstoff feilbieten. Ein Machtwechsel konnte den Materialstrom versiegen lassen. So ging etwa Venedig in der Mitte des 15. Jahrhunderts das Geld aus - aber nicht aufgrund wirtschaftlicher Verarmung, sondern weil der Rohstoff fehlte, nachdem die Türken die Silberminen in Serbien besetzt hatten.

Mit steigendem Handelsvolumen wurde die Geldversorgung schwieriger. So ist die Geschichte des Geldes auch eine Geschichte seiner Substitution durch Kreditmittel.

Im 13. Jahrhundert schlossen sich italienische Kaufleute zu Handelsgesellschaften zusammen, gründeten Kontore an mehreren Orten und wickelten ihre Geschäfte häufig bargeldlos per Wechsel ab. Ein Kaufmann konnte sich in Brügge Geld leihen, indem er seinem Geldgeber einen Wechsel gab, bezogen auf seine Bank in Genua. Der Wechselnehmer schickte das Papier an einen Partner in Italien, der den Wechsel bei der Bank einlöste. So vermied man riskante Geldtransporte, die zudem das Geld für die Dauer der Reise brachliegen ließen.

Auf die kommerzielle Revolution des 13. Jahrhunderts folgte erneut eine Zeit des ökonomischen Niedergangs. Epidemien und Kriege dezimierten die Bevölkerung Europas bis ins 15. Jahrhundert um ein Drittel, die Münzproduktion verringerte sich um 80 Prozent. Edelmetall floss in den Orient ab. Geld wurde versteckt, um es vor »Verruf«, der Außerkurssetzung und Umtausch in schlechtere Münze, zu retten. Derart betrügerische Währungsreformen zur Aufbesserung der Staatskasse waren gängige Praxis bei den Münzherren. Der Edelmetallgehalt der Münze, das Korn, wurde beständig verringert, das Gesamt- oder Schrotgewicht durch Beimengung von Kupfer erhalten. Das hatte dramatische Folgen: Gutes Geld verschwand. Pfandleihe avancierte zur wichtigsten Kreditform, Schulden wurden auf Kerbhölzern verzeichnet.

Um 1500, nach der Entdeckung neuer Silberadern im Erzgebirge, nahm die Münzproduktion einen Aufschwung. Die bedeutendste Silbermünze kam aus der böhmischen Münzstätte Joachimstal. Der Joachimstaler Gulden wurde zum Namenspatron von Taler und Dollar.

Mitte des 16. Jahrhunderts stießen die Spanier in Mexiko und Peru auf Silber. Bald stiegen die Silberimporte auf jährlich rund 220 Tonnen. Doch Spaniens europäische Handelsbilanz war negativ - das Silber floss auf die Märkte von Genua, Mailand, Rom oder Nürnberg, wo es in lokale Münzen oder zu Schmuck und Tafelsilber verarbeitet wurde. In Spanien kursierten derweil Kupfermünzen.

Neue Kredittechniken etablierten sich im Laufe des 16. Jahrhunderts. In Antwerpen wurden Inhaberschuldscheine populär. Der Empfänger eines Schuldscheins nutzte diesen zur Bezahlung anderer Verpflichtungen, der Schein zirkulierte bis zur Fälligkeit. Der Schuldner zahlte dann an den letzten Inhaber. Ebenso verfuhr man mit Wechseln, die auch vorzeitig bei einer Bank gegen Gebühr eingelöst, »diskontiert«, werden konnten. In Italien entstanden städtische Girobanken, auf die die Kaufleute Wechsel zogen. Die Forderungen wurden gegeneinander verrechnet - »in banco«.

Mit dem Dreißigjährigen Krieg begann 1618 wieder eine Periode der Münzverschlechterung durch »Kipper und Wipper«, es waren Jahre der Inflation und des monetären Chaos.

Ab Mitte des 17. Jahrhunderts liefen in London Quittungen als Zahlungsmittel um, die Goldschmiede und Bankiers auf die Einlagen ihrer Kunden ausgaben. Dabei wurde der jeweilige Besitzer einer solchen »Goldsmith Note« auf der Rückseite des Papiers eingetragen, »in dosso«. Die englische Regierung schließlich ging noch einen Schritt weiter und bezahlte selbst mit Banknoten der 1694 gegründeten Bank of England.

Banknoten des 18. Jahrhunderts, inzwischen meistens Staatspapiere, waren Bargeldquittungen, die befristet zirkulierten.

Ein neuer Wirtschaftsaufschwung wurde vom Gold Brasiliens befördert, das nach Portugal gelangte und von da weiter nach England, zur dominierenden europäischen Macht. 1774 wurden dort Goldmünzen gesetzliches Zahlungsmittel. 1833 erhob England dann die Noten der Bank of England zum gesetzlichen Zahlungsmittel mit Annahmepflicht. Sie waren gegen Gold eintauschbar. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten Frankreich und Österreich dem britischen Beispiel.

In England verdrängten im Laufe des 19. Jahrhunderts Aktiengesellschaften die traditionellen Privatbanken. Indem sie Einlagen verzinsten und Wechsel der Geschäftsleute schon vor der Fälligkeit annahmen, zogen sie Kapital an und erhöhten ihr Kreditvolumen.

Vom Jahr 1870 an überflügelten Schecks und Kontokorrentkredite - Kredite für Kaufleute zur wechselseitigen Verrechnung von Zahlungsansprüchen - das Wechselgeschäft. England hatte nicht nur die leistungsstärkste Industrie, sondern auch das modernste Bankwesen. Gleich zweimal wurden im 20. Jahrhundert infolge der beiden Weltkriege europäische Staatspapiere wertlos.

Aus den Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg versuchten die Teilnehmer der Konferenz in Bretton Woods 1944 Lehren zu ziehen; nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein System fester Wechselkurse etabliert (siehe Seite 114). Leitwährung wurde der Dollar, der als einzige Währung durch Gold gedeckt war. Eine D-Mark entsprach 0,238095 Dollar oder 0,211588 Gramm Feingold. Doch dann untergruben die Kosten des Vietnam-Kriegs den Wert der Leitwährung, so dass die Regierung ihre Goldeinlösepflicht 1971 aufkündigte. Bald gaben die meisten Industriestaaten die Dollarparität auf. Die Länder der Europäischen Gemeinschaft installierten ein System begrenzt flexibler Wechselkurse.

Die Sicherheit, die eine moderne Währung bietet, ist die Möglichkeit zur Flucht in andere Währungen. Gold hat als Geld ausgedient und wird gerade noch als Notgroschen für schlechte Zeiten zurückgelegt. Die harte Münze aus Edelmetall ist Geschichte.

Handel und Warenproduktion haben ein solches Ausmaß angenommen und die Umschlagzeiten eine derartige Geschwindigkeit erreicht, dass Gebirge von Gold und Silber nötig wären, um die Werte abzubilden.

Das ideale Geld der globalisierten Wirtschaft ist nicht mehr Gold, sondern der pure Kredit, auf den Cent genau im elektronischen Gedächtnis der Banken verbucht. Gedeckt ist er einzig durch unser Vertrauen, einen vom Konto abzubuchenden Betrag jederzeit gegen einen gleichwertigen Teil des Sozialprodukts eintauschen zu können.

André Geicke

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