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Ein rätselhafter Patient Riskanter Trend aus Hollywood

Ein Baby kommt gesund zur Welt, alles scheint gut. Dann allerdings infiziert es sich mehrmals mit gefährlichen Bakterien. Schließlich entdecken die Ärzte die Ursache und sind verblüfft.
Pulverisierte Plazenta

Pulverisierte Plazenta

Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/ AFP

Das Jahr 2016 nähert sich seinem Ende, als eine Frau in Oregon ein gesundes Kind zur Welt bringt. Die Schwangerschaft verläuft normal, auch bei der Geburt gibt es keine Komplikationen. Kurz darauf jedoch beginnen die Sorgen.

Das Kind ringt um Luft, das Atmen bereitet ihm Probleme. Die Ärzte verlegen das Baby auf eine Intensivstation für Neugeborene und nehmen ihm Blut ab. Die Analysen im Labor zeigen schnell die Ursache: Das Baby hat sich mit Gruppe B-Streptokokken (GBS) infiziert, einem häufigen Erreger bei Neugeborenen.

Meistens stammt der Keim aus dem Geburtskanal der Mutter, in der Regel erkranken die Kinder wie im aktuellen Fall innerhalb der ersten sechs Tage nach der Geburt. Es kann zu gefährlichen Lungenentzündungen, Hirnhautentzündungen und einer Sepsis - einer Blutvergiftung - kommen. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, beginnen die Ärzte sofort mit der Therapie.

Elf Tage lang geben sie dem Kind Ampicillin, ein gegen viele Bakterien wirksames Antibiotikum. Danach erklären sie das Baby für gesund, es darf zum ersten Mal in seinem Leben nach Hause. Für die Ärzte scheint der Fall abgeschlossen. Fünf Tage später jedoch stehen die Eltern wieder in der Notaufnahme. Das Kind lässt sich nicht beruhigen.

Wieder krank, aber warum?

Die Mediziner überweisen die Familie an eine andere Klinik, wie sie in einem Fallbericht der amerikanische Gesundheitsbehörde CDC  schreiben. Dort untersuchen die Ärzte erneut das Blut das Kindes, auch sie werden fündig. Es hat sich ein zweites Mal mit den gefährlichen Bakterien angesteckt, mittlerweile zu einem ungewöhnlich späten Zeitpunkt. Woher bloß stammen die Erreger?

Die Ärzte untersuchen die Muttermilch, machen mehrere Tests. Eine Quelle für die Keime aber finden sie nicht. Erst drei Tage später gibt ein Mediziner aus dem ersten Krankenhaus den entscheidenden Hinweis: Die Mutter habe darum gebeten, nach der Geburt die Plazenta mitnehmen zu können.

Auf Nachfrage erklärt die Frau, sie habe die Plazenta an ein Unternehmen geschickt, das sie getrocknet, pulverisiert und in rund Hundert Kapseln verpackt hat. Schon drei Tage nach der Geburt hatte die Mutter das fertige Produkt in der Hand. Seitdem schluckt sie dreimal täglich jeweils zwei der Pillen.

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Fragwürdiger Trend: Einmal Plazenta-Kapseln, bitte!

Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/ AFP

Was verrückt klingen mag, hat sich in den USA zum Trend entwickelt. Im Internet beschwören Stars und Sternchen wie Kim Kardashian oder Alicia Silverstone die Energie der Plazenta-Mahlzeit. Das Verspeisen des Mutterkuchens sei im Tierreich üblich, erklären die Verfechter, und sie erhoffen sich vieles: eine angekurbelte Milchproduktion, abgewendete Wochenbettdepressionen, reduzierte Schmerzen.

Wissenschaftliche Belege für die Versprechen gibt es keine, zu wenige Studien haben sich bis jetzt mit den Auswirkungen des Plazenta-Essens beschäftigt. Genauso fehlten bislang aber auch Belege für eine schädliche Wirkung - bis zu diesem Fallbericht. Nachdem die Mutter von ihrer Plazenta-Therapie erzählt, testen die Mediziner die Kapseln auf den Erreger. Sie werden fündig. Sogar das Erbgut der Bakterien aus den Kapseln stimmt mit dem der Keime aus dem Babyblut überein.

Die Mediziner können zwar nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass sich das Kind doch bei einem anderen Mitglied der Familie angesteckt hat. Trotzdem sind sie sich sicher: Durch die Einnahme der Kapseln haben sich die Bakterien im Körper der Mutter vermehrt, wahrscheinlich auch auf ihrer Haut und in ihrem Verdauungssystem. Auf diesem Weg infizierte die Mutter ihr Kind.

Gut gemeint ist nicht immer gesund

Viele Experten dürfte der Fallbericht nicht überraschen. In der Plazenta treffen Blutgefäße von Mutter und Kind aufeinander, dort versorgt die Mutter ihr ungeborenes Baby mit Nährstoffen und Sauerstoff. Daneben filtert die Plazenta allerdings auch Schadstoffe wie Schwermetalle oder Krankheitserreger aus dem Blut der Mutter, um das Kind zu schützen. Diese können sich im Gewebe ansammeln.

Das Unternehmen, bei dem die Frau ihre Plazenta trocknen ließ, fordert zwar Auskunft über Vorerkrankungen wie HIV, Hepatitis, Herpes oder Syphilis. "Nach Infektionen vor und nach der Geburt fragt es aber nicht", kritisiert die CDC. Auch fehlten Vorgaben dazu, wie die Plazenta zu verarbeiten sei. Allein um etwa Salmonellen zu bekämpfen, müsste das Gewebe mehr als zwei Stunden auf 54 Grad Celsius erhitzt werden.

"Der Fall zeigt, dass die Einnahme von Plazenta-Kapseln das Infektionsrisiko von Mutter und Kind erhöht und deshalb vermieden werden sollte", schließen die Ärzte den Bericht - auch wenn natürlich nicht alle Plazenta-Pillen Krankheitserreger enthalten. Ärzte sollten die Kapseln außerdem als mögliche Keimquelle in Betracht ziehen, wenn sich Kinder ungewöhnlich spät mit den Bakterien infizieren.

Für das Baby zumindest hat die Geschichte ein gutes Ende. Nachdem es zwei Wochen lang Antibiotika bekommen hat, darf es wieder nach Hause. Dieses Mal bleibt es gesund. Kapseln hat seine Mutter nicht mehr geschluckt.