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Streaming Wie Spotify Musik zur Monokultur macht

Haben Sie sich schon mal gefragt, wie Spotify Ihre Playlists kuratiert? Was Ihnen gefallen soll, bestimmen Algorithmen. Echte Individualität spielt dabei keine Rolle - das ist ein Problem.

Blick in die Spotify-App: Was bietet mir der Streaming-Gigant heute als Mixtape an? Es erscheinen sechs Playlists, die meinen individuellen Geschmack spiegeln sollen. In einer findet sich aktuelle Gitarrenmusik, säuberlich abgetrennt die experimentelle Schiene. Eine dritte Liste hat Solange, Frank Ocean und Cardi B im Programm.

Richtig, von meinen sechs Playlists sind zwei gänzlich weiß, eine komplett schwarz. Spotify trennt in einer Art Playlist-Apartheid schwarze Künstler von weißen. Uff. Klar, im Kern handelt es sich um eine Trennung von Rock, Hip-Hop und R&B. Dieses Schubladendenken wirft aber ein Schlaglicht auf das Innere eines größtenteils automatisierten Systems. Denn für Spotifys Algorithmen sind Feingefühl, Gleichberechtigung oder Diversität keine Faktoren. Sie ordnen Daten einzig anhand numerischer Fakten. Und für Musik ist das ein Problem.

Warum, verrät ein Blick hinter die Kulissen der unzähligen Playlists, die jeden Tag wie von Zauberhand auf den Smartphones und Computern der Nutzer erscheinen. 71 Millionen zahlende Spotify-Abonnenten gab es Ende 2017, rund 157 Millionen Menschen nutzen den Dienst regelmäßig. Ihnen spielt eine Vielzahl leistungsstarker Algorithmen täglich neue Musik zu, die durch unterschiedliche Erhebungsmethoden kuratiert wird.

In der Theorie eine gute Sache

Zum einen wird Ihr Geschmack permanent mit dem Geschmack anderer abgeglichen: Hörer A hat ein ähnliches Hörverhalten wie Sie. Wenn ihm ein Song gefällt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auch Ihnen gefällt. Dazu kommt sogenanntes Natural Language Processing (NLP): NLP durchkämmt das Internet nach Artikeln über Musik und analysiert sie. Dabei interessiert sich das Programm aber nicht für ein kritisches Urteil, sondern für einzelne Adjektive, die anhand ihrer relativen Häufigkeit zur emotionsbezogenen Katalogisierung von Musik genutzt werden.

Das Herzstück der Spotify-Erhebung bildet die systematische Analyse von Klang. Spotify schleust jeden seiner 35 Millionen Songs durch feinporige Filter - in jedem bleiben andere Informationen hängen. Am Ende entsteht so ein klares Bild der Struktur jedes Songs: Tonart, Stimmung, Klangfarbe, Tempo und viele weitere Faktoren werden mit Zeitsignaturen erfasst.

Diese Informationen erlauben es Spotify, Musik nicht nur entlang oberflächlicher Gemeinsamkeiten wie etwa Genres zu ordnen, sondern anhand ihrer klanglichen Eigenheiten. In der Theorie eine gute Sache: So könnten Nutzern beispielsweise unbekanntere Musiker empfohlen werden - ein Szenario, von dem Künstler wie Konsumenten profitieren würden. Und das sogar funktionieren kann: Im Mai 2016 gab Spotify bekannt, dass man rund 8000 Künstler ausgemacht habe, zu denen 50 Prozent der Nutzer über eine automatisierte Playlist gefunden hatten .

Spotify-Logo

Spotify-Logo

Foto: Dado Ruvic / REUTERS

Indielabels geraten tiefer in die Nische

In dieser Macht liegt aber auch ein Risiko für das Wichtigste, das Kultur zu bieten hat: Vielfalt. Denn Spotifys Algorithmen suchen nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und fachen damit einen Darwinismus an, bei dem sich durchsetzt, was bei möglichst vielen Leuten möglichst schnell zündet. In den allermeisten Fällen ist das seichte und freundliche Musik, die in jede Playlist passt.

Hören Sie sich zum Beweis einmal durch einige der erfolgreichsten Spotify-Editionen: "Chillout Lounge", "Entspannter Abend" oder "Zuhause"; allesamt freundlich-harmlose Blümchentapeten in Klangform.

Die Folgen dieser Begradigung: Seit Jahren beklagen Musiker und Betreiber von Independentlabels, dass Spotify ihre Produkte immer tiefer in die Nische treibe. Die Zugriffszahlen für komplexe Musik jenseits des Durchschnitts sinken rapide, sagen viele von ihnen hinter vorgehaltener Hand. Die Massenware hingegen floriert - eine direkte Auswirkung von Spotifys Empfehlungssystem.

Die Mainstreammusikindustrie hat sich darauf bereits eingestellt - und produziert seit einiger Zeit gezielt Musik, die sich in dieser neuen Realität durchsetzt. Ein Leitfaden dabei lautet , dass im ersten Viertel eines Songs möglichst schon Strophe, Refrain und Hook enthalten sein müssen, damit die Hörer zumindest 30 Sekunden dranbleiben, der Zeitraum, in dem der Song als gestreamt gilt und damit für die Charts gewertet werden kann - eine Studie der Ohio State University  kam zum Ergebnis, dass sich die Länge von instrumentalen Intros, einst so etwas wie der Rahmen um ein Pop-Kunstwerk, in den letzten Jahrzehnten um fast ein Viertel verringert hat - von rund 30 auf rund fünf Sekunden.

Beiwerk hat in der Spotify-Ökonomie keinen Raum. Gleichzeitig veröffentlichen US-Künstler wie Migos Alben von über 100 Minuten. Nicht, weil sie sich künstlerisch divers artikulieren wollen, sondern weil sie über die reine Streaming-Masse auf Spotify oder anderen Diensten schneller in die Charts gelangen .

Viele schnelle Kicks, wenig Substanz

Sie haben sich zu Spotifys Börsengang Anfang April auch gefragt, wie ein Unternehmen, das zehn Jahre lang keinen Cent Gewinn gemacht hat, plötzlich fast 30 Milliarden Dollar wert sein konnte? Ganz einfach: Solange Spotify mit seinen Algorithmen Musik formen kann, wird auch sein Wert weiter steigen. Denn das Unternehmen liefert den großen Musiklabels kurzfristig so etwas wie den Heiligen Gral: eine verlässliche Antwort auf die Frage, was einen Hit zu einem Hit macht. Und seinen Werbekunden einen noch wertvolleren Einblick - direkt in die Psyche seiner Millionen Nutzer.

Die Rechnung zahlen Musikfans, denen zwar die Illusion einer Auswahl aus über 30 Millionen Songs vorgegaukelt wird, denen der Weg zu wirklich interessanten Inhalten jedoch erschwert wird. Von einer musikalischen Monokultur profitiert am Ende niemand. Außer Spotify.