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Prozess gegen Mutter wegen fünffachen Mordes »Sodann legte sie das tote Kind ins Bett«

Christiane K. soll fünf ihrer sechs Kinder ermordet haben – heimtückisch, während sie schliefen. Sie selbst beteuert ihre Unschuld.
Von Beate Lakotta, Wuppertal
Angeklagte Christiane K. im Landgericht Wuppertal: Ein Racheakt? Das Ergebnis völliger Überforderung?

Angeklagte Christiane K. im Landgericht Wuppertal: Ein Racheakt? Das Ergebnis völliger Überforderung?

Foto: Oliver Berg / dpa

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Die Angeklagte wird in den Saal geführt, man erkennt es am Blitzen der Kameras, Christiane K. selbst ist zunächst kaum zu sehen, so klein ist sie. Im blau karierten Westernhemd nimmt sie hinter ihren drei Verteidigern Platz, ihr langes blondes Haar trägt sie seitlich gescheitelt, die Augen mit Kajal dunkel umrandet, ein gepflegtes, jugendlich wirkendes Gesicht mit leichter Stupsnase – ihr Vorleben, so katastrophenhaft es auch verlaufen sein mag, hat bei Christiane K. keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

Als die Beamten am 3. September 2020 in ihre Wohnung in Solingen kamen, fanden sie fünf ihrer sechs Kinder tot in ihren Betten: Melina, 19 Monate alt, Leonie, zwei, Sophie, drei, Timo, sechs, und Luca, acht Jahre alt. Nur ihr ältester Sohn, elf Jahre alt, überlebte. Er war zur Tatzeit in der Schule. Christiane K. erzählte ihm, die Geschwister seien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

Dann trat sie mit ihm eine Bahnfahrt an, über Düsseldorf nach Mönchengladbach, wo die Großmutter wohnt. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof trennten sich ihre Wege, der Junge fuhr weiter zur Oma, Christiane K. stürzte sich vor einen einfahrenden Zug, sie wurde verletzt aus dem Gleisbett geborgen.

Seit heute muss sie sich vor der 5. Strafkammer des Wuppertaler Landgerichts dafür verantworten, was sie getan haben soll.

Die Kinder müssen sich gewehrt haben

Der Vorsitzende der Kammer, Richter Jochen Kötter, fragt sie nach ihren Personalien. 28 Jahre alt ist sie jetzt. »Nach meiner Kenntnis noch verheiratet?«, vergewissert sich der Vorsitzende. »Ja«, sagt die Angeklagte und nickt, dann schweigt sie.

Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt verliest die Anklageschrift. Er wirft Christiane K. vor, »heimtückisch« fünf Menschen getötet zu haben. Morgens zwischen 7.20 Uhr und 11.30 Uhr habe sie den Kindern »im Rahmen einer üblichen Frühstückssituation« einen betäubenden Medikamentencocktail in die Trinkbecher und Fläschchen gemischt. Als die Kinder eingeschlafen waren, bereitete sie im Badezimmer »eine übliche Badesituation« vor; die Polizisten fanden noch das Spielzeug im Badewasser.

»Dann weckte sie Melina«, fährt Kaune-Gebhardt fort, und erstickte sie in der Wanne. »Sodann legte sie das tote Kind in Handtücher gewickelt ins Bett.«

Nacheinander habe sie alle Kinder auf diese Weise getötet. »Leonie, indem sie sie stark am Hals packte.« Dann Sophie, dann Timo, »erstickt durch einen Griff an den Hals«. Zum Schluss Luca. An den Kindern fand man Einblutungen an der Kopfschwarte, Ellenbogen, Schlüsselbein – sie müssen sich gewehrt haben.

Nach fünf Minuten endet der Staatsanwalt. Christiane K. hat äußerlich gefasst und aufmerksam zugehört, einmal wischt sie sich mit dem Finger die Augen. »Frau K.«, wendet sich der Vorsitzende an die Angeklagte, »Sie haben hier das Recht, Angaben zu machen oder zu schweigen«. Christiane K.s Verteidiger Felix Menke erklärt, zum jetzigen Zeitpunkt werde seine Mandantin schweigen.

Ein Chat am Tattag zieht sich über Stunden

Vor der Wohnung der Mutter breitete sich kurz nach der Tat ein Meer aus Kerzen, Blumen, Kuscheltieren aus. Eine Mutter, die fünf ihrer Kinder tötet – wie kann das sein? Auch den Ermittlern ist das Motiv bis heute unklar.

Kurz vor der Tat hatte Christiane K.s Mann, der Vater von vieren ihrer Kinder, der seit Längerem bei einer Nachbarin im Wohnblock nebenan lebte, ihr erklärt, dass die Trennung für ihn endgültig sei. In einem Statement vor Verhandlungsbeginn hatte der Staatsanwalt einen Chatverlauf vom Tattag erwähnt, er zieht sich von sieben Uhr morgens an über Stunden, darin schrieb Christiane K. ihrem Mann sinngemäß, er werde die Kinder nicht wiedersehen, sie würden dorthin gehen, wo sie auch bald sein werde.

War die Tat also ein Racheakt? Ein gescheiterter Mitnahmesuizid? Oder das Ergebnis völliger emotionaler Überforderung, wie die Ermittler zunächst vermuteten?

Keine Hinweise auf Schuldunfähigkeit

Gericht und Staatsanwaltschaft haben die Kölner Rechtspsychologin Sabine Nowara und den Bochumer Psychiater Pedro Faustmann mit Gutachten über Christiane K. beauftragt. Sie hat mit ihnen gesprochen, ausführlich – und ihre Unschuld beteuert: Ein Maskierter sei in die Wohnung eingedrungen, habe sie, die Mutter, gefesselt und ihre Kinder getötet. Doch dafür haben die Ermittler nicht den kleinsten Hinweis gefunden.

Beide Gutachter, so erklärt es der Staatsanwalt, hätten bislang nichts gefunden, was für eine länger andauernde psychische Erkrankung, eine Identitätsstörung oder Ähnliches spreche.

Am Ende des ersten Verhandlungstages stellt Christiane K.s Wahlverteidiger Thomas Seifert eine Reihe von Anträgen, sie richten sich gegen den Gutachter Faustmann. Seifert will ihn als befangen aus dem Verfahren bugsieren. Der Verteidiger führt an, Faustmann habe die Angeklagte über seine Mitteilungspflichten gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft »getäuscht«. Er habe versäumt, bei Christiane K. ein EEG abzuleiten, das Aufschluss über mögliche Hirnschädigungen hätte geben können. Und er habe sich nicht angemessen mit einem laufenden Verfahren der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach gegen den Vater von Christiane K. auseinandergesetzt.

Der Gutachter ist an diesem Tag verhindert, er kann sich zu Seiferts Vorwürfen nicht erklären, der Staatsanwalt hält sie für substanzlos. Doch so kommt am Ende des Verhandlungstages, auf diesem Umweg, doch noch ein möglicher biografischer Mosaikstein zum Vorschein. Es stellt sich heraus, dass gegen Christiane K.s Vater – bereits vor Jahren verurteilt wegen des vielfachen Besitzes kinderpornografischen Materials – nun auch wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an seiner Tochter ermittelt wird. Bis zum Abschluss der Ermittlungen, beantragt Seifert, solle das Verfahren ausgesetzt werden.

Darüber muss das Gericht nun entscheiden. Vorerst sind für das Verfahren elf Verhandlungstage angesetzt, am kommenden Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt.