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Streit über Atomprogramm in Iran Der Schattenkrieg

Eine Atomanlage war betroffen, ebenso ein Stromkraftwerk und eine Wasseranlage: Feuer und Explosionen in Iran werfen Rätsel auf. Gleichzeitig spitzt sich der Streit über das internationale Atomabkommen zu.
Explosion in der Nähe der iranischen Hauptstadt Teheran (Quelle: Iranisches Staatsfernsehen vom 26. Juni 2020)

Explosion in der Nähe der iranischen Hauptstadt Teheran (Quelle: Iranisches Staatsfernsehen vom 26. Juni 2020)

Foto: IRIB TV/ AFP

Es sind merkwürdige Explosionen und Brände, die Iran in den vergangenen zwei Wochen erschüttert haben. So kam es etwa zu Zwischenfällen in einem Stromkraftwerk, einer Wasseranlage und einer medizinischen Klinik. Doch zwei Vorfälle lassen besonders aufhorchen.

  • Am 26. Juni gab es eine heftige Explosion bei Teheran. Satellitenaufnahmen zeigen, dass die Raketenproduktionsstätte Khojir betroffen war - auch wenn die iranische Führung behauptet, es habe sich um eine Gasexplosion auf einem anderen Militärstützpunkt gehandelt.

  • Am 2. Juli brach ein gewaltiges Feuer in der Atomanlage in Natanz aus. Der Brand habe "beachtliche Schäden" angerichtet, hieß es aus Iran, und das Atomprogramm um Monate zurückgeworfen. Die "New York Times" zitierte einen "Geheimdienstbeamten aus dem Nahen Osten" mit der Erklärung, Israel habe eine Bombe in Natanz gezündet.

Die Zeit für das internationale Atomabkommen läuft ab

Wer oder was hinter diesen Ereignissen steckt, ist unklar. Zu befürchten ist allerdings, dass sich im Schatten der Corona-Pandemie der Konflikt mit Iran wieder gefährlich zuspitzt.

Denn der Streit über das iranische Atomprogramm kommt nun in eine entscheidende Phase: Die kommenden Wochen könnten darüber entscheiden, ob es gelingt, das internationale Atomabkommen mit Iran bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November am Leben zu halten - oder ob es bereits vorher endgültig zerfällt. Denn gleich zwei Fristen rücken immer näher, die das endgültige Aus für das Abkommen bedeuten könnten.

Die erste Deadline droht im August. Denn Iran hat am 3. Juli offiziell den Streitbeilegungsmechanismus des Abkommens ausgelöst: Teheran wirft dem Westen vor, seine Verpflichtungen nicht einzuhalten. Der Mechanismus sieht vor, dass Streitfragen innerhalb von 30 Tagen gelöst werden müssen. Andernfalls hat der Kläger, in diesem Fall Iran, das Recht ebenfalls seinen Verpflichtungen teilweise oder ganz nicht mehr nachzukommen.

Iraner mit einem Porträt des getöteten Qasem Soleimani

Iraner mit einem Porträt des getöteten Qasem Soleimani

Foto: ATTA KENARE/ AFP

In der Praxis tut Iran das bereits: Nachdem die USA im Mai 2018 aus dem Abkommen austraten und harsche Sanktionen gegen Iran verhängten, begann die iranische Führung im Mai 2019 eine Atombeschränkung nach der anderen zu brechen - und die Lage in der Region zu eskalieren. Vor sechs Monaten standen die USA und Iran schon kurz vor einem Krieg, nachdem Trump den iranischen Militärführer Qasem Soleimani in Bagdad töten ließ - und Iran mehrere von US-Soldaten genutzte Militärposten im Nahen Osten angriff. 

Die zweite Deadline droht im Oktober. Das Atomabkommen sieht vor, dass dann internationale Sanktionen auslaufen, die es Iran verbieten, Waffen einzukaufen. Das wollen die USA auf jeden Fall verhindern. Washington ist zwar aus dem internationalen Abkommen ausgetreten, will nun jedoch so tun, als sei es weiterhin Vertragspartei, um so das Auslaufen des Waffenembargos zu blockieren. Gleichzeitig versuchen die USA, im Uno-Sicherheitsrat ein neues, zeitlich unbegrenztes Waffenembargo gegen Iran durchzubringen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dies gelingt. Denn die Uno-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China würden gern ihre Waffen an Iran verkaufen.

Und auch die Europäer sehen das Verhalten der USA zunehmend kritisch. Auch sie wollen kein neues, zeitlich unbegrenztes Waffenembargo gegen Iran. Denn dies würde wohl den endgültigen Kollaps des internationalen Atomabkommens bedeuten, möglicherweise auch den Austritt Irans aus dem sogenannten Nichtproliferations- beziehungsweise Atomwaffensperrvertrag. Das mag wie abstrakte, diplomatische Überlegungen klingen, doch von dieser Frage hängt viel ab.

Scheitert das Abkommen endgültig, droht ein neuer Krieg

Das internationale Atomabkommen mit Iran ist zwar nicht perfekt. Doch es hatte Irans Atomprogramm eingedämmt und unter internationale Kontrolle gebracht. Scheitert das Abkommen endgültig, steht die Welt wieder an der Schwelle eines Krieges am Golf.

Die mysteriösen Explosionen der vergangenen Wochen könnten bereits die Vorboten davon sein. Vielleicht hat der Schattenkrieg bereits wieder begonnen. Auch damals, in den Jahren vor dem Abschluss des Abkommens, kam es zu mysteriösen Vorfällen auf iranischen Atomanlagen, von denen sich manche als Cyberattacken herausstellten. Zudem wurden mehrere iranische Atomwissenschaftler ermordet.

Inzwischen ist die Ausgangslage allerdings noch bedrohlicher als damals: Iran kann viel empfindlicher zurückschlagen - vor allem über sein weiter ausgebautes Raketenprogramm und sein Netzwerk von verbündeten Milizen im Nahen und Mittleren Osten.

Auch sein Cyberprogramm hat Iran gefährlich verbessert: Im April führte mutmaßlich Iran erstmals eine Attacke auf Israels Wassersystem aus und manipulierte in einem israelischen Wasserkraftwerk mehrere Pumpen. Der Vorfall wurde rechtzeitig entdeckt. Sonst wäre mitten in einer Hitzewelle die Wasserversorgung für Zehntausende Israelis ausgefallen oder ihnen mit zu viel Chlor vergiftetes Wasser ausgeliefert worden.