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Kritik an Israel-Resolution im Bundestag "Der Beschluss geht zu weit"

Der Bundestag hat beschlossen, dass Befürworter eines Israel-Boykotts nicht länger unterstützt werden sollen. Das hat Folgen für die Partner deutscher Organisationen in Nahost, erklärt die Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung.
Palästinensischer Sicherheitsmann im Westjordanland: Streit um BDS-Resolution im Bundestag

Palästinensischer Sicherheitsmann im Westjordanland: Streit um BDS-Resolution im Bundestag

Foto: AFP PHOTO / ABBAS MOMANI

Mit großer Mehrheit hat der Bundestag in einer fraktionsübergreifenden Resolution die BDS-Bewegung verurteilt, die mit einem Boykott Israel seit 15 Jahren politisch, wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich isolieren will. CDU, CSU, FDP, SPD sowie große Teile der Grünen unterstützten den Beschluss. Dagegen stimmten weite Teile der Linken und Teile der Grünen. Die AfD enthielt sich ebenso wie Teile von Grünen und Linken.

Jeremy Issacharoff, Israels Botschafter in Deutschland, lobte die Entscheidung des Bundestags mit der Begründung, dass BDS keinen Versuch unternehme, Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn zu stiften. Emmanuel Nahshon, Sprecher des israelischen Außenministeriums bezeichnete die Abstimmung als wichtigen Schritt. Er hoffe, dass andere europäische Vertretungen dem deutschen Beispiel folgen werden.

Vertreter der deutschen politischen Stiftungen, die im Nahen Osten tätig sind, sehen den Beschluss hingegen kritisch. Sie befürchten, die Resolution könnte ihre Arbeit in Israel, Palästina und den Nachbarstaaten erschweren. Denn die Stiftungen der deutschen Parteien kooperieren mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den BDS-Aufruf unterschrieben hatten.

Laut Bundestagsbeschluss von heute soll die Bundesregierung "keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen" mehr unterstützen. Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen, sollen ebenfalls nicht länger finanziell gefördert werden.

Im Interview erläutert Barbara Unmüßig, Vorstand der grünen Heinrich-Böll-Stiftung, was sie von der Resolution hält und welche Folgen sie fürchtet.

Foto: Bettina Keller

Barbara Unmüßig, 63, ist studierte Politologin. In den Achtzigerjahren war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Grünen-Bundestagsabgeordneten. Seit 2002 ist sie Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und verantwortet die internationale Arbeit der Stiftung in Lateinamerika, Afrika, Asien und im Nahen Osten und Nordafrika.

SPIEGEL ONLINE: Der Bundestag hat mit großer Mehrheit in einer Resolution die BDS-Bewegung verurteilt. Wie beurteilen Sie als Leiterin der Böll-Stiftung diesen Beschluss?

Barbara Unmüßig: Wir stehen hinter wesentlichen Aussagen der Resolution. Für Antisemitismus gibt es keine Legitimation. Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar. Entsprechenden Äußerungen treten wir vor Ort als Stiftung in Israel, in den palästinensischen Gebieten und in Jordanien auch stets entgegen. Trotzdem geht der Beschluss zu weit.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Unmüßig: Weil er nicht differenziert. Die Gleichsetzung von BDS-Unterstützern mit Antisemiten geht nicht. Es gibt unbestritten innerhalb der Bewegung antisemitische Aktivitäten und Tendenzen, aber die kann man nicht mit der Bewegung als ganzer gleichsetzen.

SPIEGEL ONLINE: Arbeiten Sie mit BDS-Unterstützern zusammen?

Unmüßig: Die meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen in Palästina haben 2005 den BDS-Aufruf unterzeichnet. Viele auch deshalb, weil sie damals den Ausbruch einer dritten Intifada verhindern wollten. Anstatt gewaltsam gegen die israelische Besatzung vorzugehen, haben sie sich für einen friedlichen und gewaltlosen Widerstand entschlossen. Darunter sind Frauengruppen, mit denen wir für Gleichberechtigung kämpfen, Beduinen, mit denen wir für das Recht auf Wasser streiten, Jugendgruppen, die wir zu kritischem Denken animieren wollen. Mit all diesen Gruppen setzen wir uns mit der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung auseinander - aber selbstverständlich auch immer mit den Menschenrechtsverletzungen der Palästinensischen Autonomiebehörde.

SPIEGEL ONLINE: Welche Folgen erwarten Sie konkret für die Arbeit Ihrer Stiftung?

Unmüßig: Wir fürchten eine Pauschalverurteilung unserer palästinensischen Partner, die nun mit Antisemiten gleichgesetzt werden. Der Bundestagsbeschluss stärkt rechte israelische Lobbygruppen, die alles tun werden, uns das Leben schwer zu machen. Wenn am Ende der Spielraum für den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in Israel, Palästina und Jordanien immer kleiner wird, erweist uns der Bundestag damit einen Bärendienst. Leider haben sich manche Abgeordnete offenbar keine Gedanken darüber gemacht, was der Beschluss im Nahen Osten selbst auslöst.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn Ihre Bedenken den Abgeordneten mitgeteilt?

Unmüßig: Ich habe sehr viel telefoniert. Und wir haben unsere Sichtweise mit den anderen politischen Stiftungen und der Grünenfraktion im Bundestag debattiert. Vielleicht sind die persönlichen Erklärungen, die Politiker verschiedener Fraktionen heute zu der Abstimmung abgegeben haben, eine Folge dessen.