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Russlanddeutsche in der AfD Rechtsruck in "Klein-Moskau"

Unter Helmut Kohl wählten die Russlanddeutschen einst oftmals die CDU. Nun hat die AfD großen Zulauf, weil die Spätaussiedler aus der Sowjetunion ihr Deutschland nicht mehr wiederzuerkennen glauben.
Kundgebung von Russlanddeutschen in Nürnberg

Kundgebung von Russlanddeutschen in Nürnberg

Foto: Daniel Karmann / picture alliance / dpa

Es gibt einen Satz, auf den Waldemar Birkle immer wieder zurückkommt, wenn er seine Lebensgeschichte erzählt: "Wir haben uns immer als Deutsche gefühlt", sagt Birkle in einem Nebenraum des Kongresszentrums Pforzheim.

Damals, als Stalin seine Familie aus ihrem Siedlungsgebiet an der Wolga vertrieben und nach Sibirien deportiert habe. Später in Kasachstan, wo sich die Eltern ansiedeln mussten, den Blick immer gen Westen, in die alte Heimat und darüber hinaus. Später dann im Jahr 1990, als Helmut Kohl ihn und seine Landsleute in großer Zahl in die Bundesrepublik holte.

Birkle war 17 Jahre alt, als er aus Kasachstan nach Deutschland kam. Er arbeitete zunächst als Zimmermann, inzwischen vertreibt er für eine Firma technische Anlagen. Er habe sich zunächst der CDU verbunden gefühlt, erzählt Birkle. Doch mit der Zeit habe er sich von der Partei entfremdet, denn die CDU "habe ihren Kurs verlassen". Am Abend der Bundestagswahl 2013 dann der Bruch: Auf einer Wahlparty der AfD trat Birkle in die damals noch junge Partei ein.

2017 ist der 44-Jährige mit dem strengen Seitenscheitel selbst Bundestagskandidat für die AfD. Sein Foto ist entlang der Einfallstraßen in die baden-württembergische Stadt plakatiert. Seine Rede auf der Wahlveranstaltung hält Birkle mit hörbarem Akzent, er steht neben drei mannshohen AfD-Buchstaben auf der Bühne. Birkle ruft in den Saal: "Wenn wir es nicht schaffen, unsere Regierung auszutauschen, dann tauscht unsere Regierung uns aus."

Direktmandat bei der Landtagswahl

Ihre zentrale Wahlkampfveranstaltung diese Woche hielt die AfD nicht etwa in der Hauptstadt Berlin oder in Dresden ab. Sie wählte Pforzheim, 120.000 Einwohner, zwischen Karlsruhe und Stuttgart gelegen. Die Parteispitze betrachtet Pforzheim als ihre Hochburg im Westen: Bei der Landtagswahl 2016 holte die AfD hier ein Direktmandat.

Ausschlaggebend war, dass in der einstigen Schmuck- und Industriestadt überproportional viele Russlanddeutsche leben. Über 8000 allein in der Siedlung Haidach, in Pforzheim "Klein-Moskau" genannt, wo sich gepflegte Wohnblöcke mit Reihenhäusern abwechseln. Hier wählten bei der Landtagswahl über 40 Prozent die AfD.

Protest gegen AfD-Wahlkampfveranstaltung in Pforzheim

Protest gegen AfD-Wahlkampfveranstaltung in Pforzheim

Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Von einem Direktmandat für den Bundestag ist der Kandidat Birkle wohl weit entfernt. Doch der Politiker aus der russlanddeutschen Community wird wohl ein besseres Ergebnis einfahren als die elf Prozent, die eine Wahlumfrage von SWR und Stuttgarter Zeitung diese Woche der AfD in Baden-Württemberg insgesamt prophezeite.

Der AfD-Mann verkörpert ein Gefühl, welches viele Russlanddeutsche eint: Sie empfinden, dass die eigenen konservativen Werte in Deutschland nicht mehr gefragt seien, die traditionelle Familie, die Verankerung im christlichen Glauben, die Pflege von überliefertem Brauchtum.

Viele Russlanddeutsche vertreten zudem die Ansicht, die Flüchtlinge aus dem arabischen Raum seien freundlicher aufgenommen worden und bekämen öffentliche Leistungen, die sich selbst hätten hart erkämpfen - eine fragwürdige These angesichts der Chancen, die sich seinerzeit integrationsbereiten Spätaussiedlern boten.

Hang zu Verschwörungstheorien

Hinzu kommt, dass einige noch in der Sowjetunion fremden- und islamfeindliche Grundhaltungen verinnerlicht haben; sie glauben bereitwillig Verschwörungstheorien, die russische Medien nähren - etwa im Fall "Lisa", als tausende Russlanddeutsche gegen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin demonstrierten.

Die AfD hat ihre zentrale Wahlkampfveranstaltung stark auf die Russlanddeutschen ausgerichtet. "Wir können uns die Feindschaft zu Russland nicht leisten und wir wollen sie auch nicht", ruft der Spitzenkandidat Alexander Gauland in den mit mehr als Tausend Zuhörern besetzten Saal.

Vor den Reden der AfD-Kandidaten läuft im Saal eine Diashow ab, unterlegt von Max Giesingers Song "80 Millionen": Bilder in Schwarz-Weiß von Hausfrauen beim Einkaufen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik, die angeblich so guten alten Zeiten. Danach farbige Bilder von heute, leerstehende Geschäfte in Pforzheim. Dazu der Slogan: "Hol Dir Dein Land zurück!"

Erika Steinbach

Erika Steinbach

Foto: Thomas Lohnes/ Getty Images

Gastrednerin des Abends ist Erika Steinbach, ehemalige Chefin des Bundes der Vertriebenen und aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete. Sie hält eine Rede, die mehrfach von "Merkel muss weg"-Rufen unterbrochen wird, am Ende skandiert das Publikum "Erika, Erika". Merkel habe Deutschland "gravierend und nachhaltig geschadet", sagt Steinbach: "Selbst wenn Angela Merkel meine Schwester wäre: Ich kann niemandem empfehlen, eine Partei zu wählen, die Merkel wieder als deutsche Bundeskanzlerin auf den Thron heben will."

"Damals kamen Deutsche zu Deutschen"

Steinbach sieht den Unterschied zwischen Aussiedlern und Flüchtlingen so: "Damals kamen Deutsche zu Deutschen." Doch die seien schlechter behandelt worden als die Migranten heute. Steinbach verteidigt den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán: Der lasse seine politischen Vorstellungen wenigstens über das Parlament legitimieren. "Davon können wir in Deutschland nur noch träumen", sagt Steinbach.

Ein Vertreter der AfD-Jugendorganisation erklärt im Foyer das Kalkül hinter dem Auftritt: "Steinbach strahlt Beständigkeit aus. Viele Wähler, die noch unentschieden sind, werden nun zur AfD kommen." Die AfD sei die einzige Partei, die konservative Werte anbietet, sagt Elena Roon, eine 40-jährige AfD-Funktionärin aus Mittelfranken.

Roon, seit 2014 AfD-Mitglied, kümmert sich mit um die Belange der Russlanddeutschen in der Partei. "Wir mussten nachweisen, dass wir Deutsche sind, wir haben die Belege über unsere Ausbildung mitgebracht", behauptet Roon. Die Menschen aus arabischen Ländern könnten ohne große Auflagen einreisen.

Jedoch: "Wir sind keine Einwanderer, sondern Heimkehrer. Wir haben immer deutsche Werte gepflegt. Jetzt fühlen sich die Leute vergessen." Roons Begleiter Albert Breininger, 42, ist in Rheinland-Pfalz der Beauftragte für die Russlanddeutschen und Spätaussiedler. Er sagt: "Wir sehen jetzt, wie man uns unsere Heimat raubt."

Rund 1,5 Millionen Spätaussiedler wahlberechtigt

Die Union hat die Gefahr, die ihr bei der einstigen Stammklientel droht, erst spät erkannt. Bundesweit sind rund 1,5 Millionen Spätaussiedler wahlberechtigt, in früheren Wahlkämpfen konnten sich CDU und CSU auf deren Stimmen verlassen. Doch dieser Automatismus ist passé.

Erst im beginnenden Wahlkampf gründete die Union in Baden-Württemberg das "Landesnetzwerk Spätaussiedler und Heimkehrer" innerhalb der Partei. Man wolle den Gesprächsfaden wiederaufnehmen, so der Landesvorsitzende Thomas Strobl, der sei ein Stück weit abgerissen. Vergangene Woche machte die CDU gezielt Wahlkampf im Stadtteil Haidach.

Angesichts des AfD-Drangs gerade bei jüngeren Russlanddeutschen ist es jedoch fraglich, ob die CDU den Bruch noch kurzfristig kitten kann. In Pforzheim ist die AfD bereits stark in der Gemeinde verankert. "Es sind wieder Drückerkolonnen unterwegs", spottete Bernd Gögel, der AfD-Landtagsabgeordnete aus dem Enzkreis, über die Konkurrenz. "Die Zeugen Angelas sind an der Tür."