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Nikolaus Blome

Corona-Bekämpfung Impfpflicht! Was denn sonst?

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Ausgerechnet bei der Corona-Rettung will der Staat die Bürger nicht zu richtigem Verhalten anhalten. Aber der Markt wird es richten.
Impfspritze

Impfspritze

Foto: Meyer & Meyer / iStockphoto / Getty Images

Sozialingenieure aller Couleur sind gemeinhin schnell dabei, wenn die Hebel gesellschaftlicher Steuerung in Griffweite kommen. Groß ist der Erfindungsreichtum, mithilfe von Anreizen oder Verboten den Einzelnen zu einem guten oder wenigstens sozialverträglichen Menschen zurechtzukneten. Zuletzt ersonnen Wissenschaft und Obrigkeit das »nudging«, um Bürger zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, ohne dass diese recht merken, dass sie bewegt werden. Auch ich bin erst spät dahintergekommen, dass die Fliege im Airport-Pissoir im Dienst der Flughafen-Eigentümer steht.

Seit Frühjahr nun durchläuft die Gesellschaft eine wesentlich größere Verhaltens- und Bewährungsprobe als das spritzarme Wasserlassen vor Reiseantritt. Folgerichtig haben Bund und Länder nicht gespart mit Ge- und Verboten, mit dringenden »Empfehlungen« oder dem banngleichen Ächten von »inakzeptablem« Kontaktverhalten. Die Bürger haben in großer Mehrheit bis dato tapfer mitgemacht, und die Kaskade von Einschränkungen soll alsbald ja auch ein Ende finden – dank eines Corona-Impfstoffes und seiner flächendeckenden Verabreichung. Doch ausgerechnet an diesem Punkt ziert sich die Obrigkeit und will regulatorisch außen vor bleiben, wiewohl absolut unbestritten ist: Wenn alle geimpft sind, die es gesundheitlich vertragen, sind Lockdown und hohe Infektionszahlen Geschichte. Hier wären die lenzschen »Freuden der Pflicht« endlich einmal wirklich welche.

Aber nein, die Politik fürchtet die Impfpflicht. Der Bundesgesundheitsminister verspricht den Leuten in die Hand, dass es keine geben werde. Eine SPD-Ministerpräsidentin warnt vor »Sonderrechten« für Geimpfte, und die Bundesjustizministerin barmt gar ob der »gesellschaftlichen Nachteile«, die Ungeimpften drohen könnten. Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.

Am wenigsten verstehe ich die Einlassungen des bayerischen Ministerpräsidenten. »Es wird keine Impfpflicht geben«, sagte Markus Söder vergangenen Donnerstag. »Aber eigentlich ist es ein Gebot, sich impfen zu lassen.« Ich hätte nicht gedacht, dass er einen so zentralen Punkt wie das Corona-Impfen im semantischen Graufeld moral-philosophischer Nuancen liegen lässt. Ist das politische Feigheit? Der Staat hat schon umstrittenere Sachen durchgepaukt.

Vielleicht nehmen die Politiker ja Rücksicht auf die medizinischen Sorgen der Bürger. Aber das erscheint mir überflüssig, da sich dankenswerterweise ein knorriges Inselvolk im Nordatlantik als Probandenschar zur Verfügung stellt. Nach einem 24-stündigen Zulassungsverfahren wird in Großbritannien alsbald geimpft, lassen wir den Brexit-Briten also den Vortritt. Oder nehmen die Politiker aber Rücksicht auf den lautstarken Straßenprotest gegen die Corona-Einschränkungen, wer weiß? Allein: Wer dort immerzu Angst vor unterspritzten Chips und Bill Gates hat, der wird wegen eines staatlichen Verzichts auf die Impfpflicht gewiss nicht Danke sagen, sondern denken: Dann schicken sie eben die »Impfmücken« (googlen Sie das mal).

Ich fürchte, stattdessen spielen gewisse Berührungsängste im Umgang mit dem Begriff der »Pflicht« eine Rolle, weil es sich in der Tat um ein eher dunkel schwingendes Wort handelt, das da preußisch aus dem Kanon des Konservativen ragt. Man tut seine Pflicht… die Pflicht ruft... der Pflicht gehorcht man: Alles keine Sätze aus dem Bilderbuch der Gendersternchen, sondern sperrig unmodern, wiewohl sehr aktuell. Was anderes als ihre Pflicht tun zum Beispiel Ärzte und Pflegepersonal auf den Corona-Stationen?

Darum wäre es ehrlich – nicht nur für Konservative –, würde den Bürgern vermittelt, dass es tatsächlich vor allem Pflichten sind, welche die Corona-Zeiten prägen. So ist die Impfpflicht, die Pflicht sich impfen zu lassen, einerseits eine moralische mit Blick auf die Gesundheit der Mitmenschen, die Vereinsamung großer Gruppen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt. Es ist eine Pflicht wie jene, Mitmenschen in Bedrängnis zu helfen oder Zivilcourage zu zeigen, wenn es gegen Schwache oder Fremde geht. Außerdem ist das Impfen eine ökonomische Pflicht angesichts von Arbeitslosigkeit, Verschuldung und der Gefährdung zahlloser Existenzen infolge fortgesetzter Lockdowns. Es ist eine Pflicht wie jene, mit Ressourcen aller Art sparsam und effizient umzugehen, weil sie privat wie global meist endlich sind.

Umgekehrt, und hier nun kommt der Markt ins Spiel, gibt es das Recht, andere auf das Impfen zu verpflichten. Jedermann darf seine Wohnung allen versperren, die ungeimpft hereinkommen wollen. Kneipenbesitzer, Kinobetreiber oder Kreuzfahrtveranstalter werden ebenfalls als Hausherren Impf- oder Immunitätsnachweise an ihren Pforten verlangen dürfen. Wenn aber erst klar ist, dass nicht reist, nicht trinkt und nicht tanzt, wer nicht vorher impft – dann entsteht ein Markt der raren Lustbarkeiten. Das treibt den Preis fürs Nichtimpfen nach oben und wirkt mindestens doppelt so gut wie die Fliege im Pissoir.

Eine Revolution steht im Übrigen nicht zu erwarten: Seit Anfang 2020 gilt die (bußgeldbewehrte) Impfpflicht gegen Masern, andernfalls darf der Nachwuchs nicht in die Kita oder die Schule. Von Tumulten wurde nicht berichtet. Auch hat sich das Bundesverwaltungsgericht bereits vor sechs Jahrzehnten mit der Impfpflicht an sich befasst und urteilte, dass sie bei besonders ansteckenden Krankheiten zulässig sei, die Leben und Gesundheit anderer Menschen schwer gefährden. Corona ist so eine Krankheit. Und die Impfpflicht wie eine gesamtgesellschaftliche Fahrscheinkontrolle für Trittbrettfahrer.