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Neue Studie Wie China die EU unterwandert

Eine neue Studie belegt, dass China inzwischen systematisch Einfluss auf Brüsseler Entscheidungen nimmt. Die Spaltung Europas spielt ihnen in die Hände.
Chinesischer Premierminister Li Keqiang (Mitte) mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) und Europaratspräsident Donald Tusk

Chinesischer Premierminister Li Keqiang (Mitte) mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) und Europaratspräsident Donald Tusk

Foto: EMMANUEL DUNAND/ AFP

Es passiert eher selten, dass Angela Merkel beim Europäischen Rat nicht ihren Willen bekommt. Unlängst warnte die Kanzlerin davor, dass China vermehrt europäische Schlüsselindustrien aufkaufe, die chinesische Übernahme des Augsburger Roboterherstellers Kuka hatte bereits Schlagzeilen gemacht. Entsprechend beharrlich warb Merkel für eine europäische Regelung, um Investitionen aus China besser kontrollieren zu können. Die mahnenden Worte der Kanzlerin brachten jedoch nicht den erwünschten Erfolg, im Gegenteil: Der entsprechende Passus im Gipfeldokument wurde weiter verwässert.

Treibende Kräfte hinter der Aktion waren unter anderem Griechenland und Tschechien, beides EU-Mitglieder, die China besonders nahe stehen. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom vergangenen Juni sind nicht nur der seltene Ausweis einer deutschen Niederlage, sie könnten auch als historisches Dokument in die EU-Geschichte eingehen - als erster Beleg dafür, wie die chinesische Regierung eine Entscheidung im wichtigsten EU-Gremium in ihrem Sinne beeinflusste.

Nun war China noch nie besonders zimperlich, wenn es darum ging, seine Interessen durchzusetzen und einzelne Länder mit Geld gefügig zu machen. Inzwischen aber spielen die Machthaber in Peking mit höherem Einsatz. Mithilfe eilfertiger Regierungen will Peking am liebsten gleich mit am Tisch sitzen, wenn in Brüssel Entscheidungen getroffen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, in der das Mercator Institute for China Studies (Merics) und das Berliner Global Public Policy Institute (GPPi) erstmals die chinesische Europastrategie untersuchen. Der Befund des Papiers, das am Montag vorgestellt wird, ist eindeutig: "China klopft nicht nur an Europas Tür. Es befindet sich längst dahinter."

Anders als die Bemühungen Russlands, die europäische Öffentlichkeit mit falschen Nachrichten zu beeinflussen, findet Chinas langer Marsch in die Brüsseler Institutionen bislang allerdings kaum Beachtung. "Dabei sollte man China viel ernster nehmen als Russland", sagt Kristin Shi-Kupfer, Mitautorin der Studie, "denn das Land geht sehr viel geschickter vor." Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Verurteilung wegen der Verletzung von Menschenrechten zu vermeiden. So weigerte sich Ungarn im März 2017, einen gemeinsamen Brief zu unterzeichnen, in dem die EU die Folter inhaftierter chinesischer Anwälte anprangern wollte. Wenig später, im Juni vergangenen Jahres, blockierte Griechenland ein gemeinsames Statement der EU vor dem Uno-Menschenrechtsrat, ein Novum in der Geschichte der EU. Nun, so berichten EU-Diplomaten, drohe sich die Aktion zu wiederholen, im März stehen erneut Entscheidungen zu China an.

Erleichtert werden die Bemühungen der Chinesen durch die zunehmende Spaltung der EU. Länder wie Griechenland leiden unter den Folgen der Eurokrise, entsprechend empfänglich sind sie für chinesische Investitionen. So kaufte die staatliche chinesische Reederei Cosco 2016 nicht nur die Mehrheit am Hafen von Piräus. Die Infrastruktur, um chinesische Waren und Touristen in Europa zu transportieren, bauen die Chinesen gleich mit. "Neue Seidenstraße" heißt das 900-Milliarden-Dollar-Projekt, mit dem China Europa und Asien enger vernetzen will, etwa durch den Ausbau einer Bahnverbindung von Budapest nach Belgrad. "Peking füllt die Lücke, die die EU lässt", sagt der Chef der China-Delegation im Europaparlament Jo Leinen (SPD).

Dazu kommt, dass Hardliner wie Viktor Orbán in Ungarn oder Tschechiens Präsidenten Milos Zeman Chinas autoritärem Wirtschafts- und Politikmodell auch ideologisch durchaus nahestehen. "Ein beträchtlicher Teil der Welt will nicht von den westlichen Industrienationen über Menschenrechte und Marktwirtschaft belehrt werden", sagte Orban, als er im vergangenen Mai zu Besuch in Peking war. Die Ansage an Brüssel war klar: Seht her, es gibt eine Alternative zur EU.

Als Mittel, Europa zu spalten, dient den Chinesen die sogenannte 16-plus-1-Initiative: Ein Länderforum, das ganz auf Pekings Interessen zugeschnitten ist. Nicht nur die östlichen EU-Mitglieder wie Ungarn oder Tschechien gehören dazu, sondern auch Länder, die noch nicht Mitglied in dem Club sind, Serbien etwa. Entsprechend schwer tut sich die EU, Chinas Avancen zu kontern.

Große EU-Staaten sind an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Auch weil Länder wie Deutschland in der Vergangenheit eifersüchtig über ihre bevorzugten Zugänge nach China wachten, suchen sich die Osteuropäer nun eigene Wege. "Wir brauchen eine gemeinsame europäische Chinapolitik", fordert der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer daher. Für Merkels Idee einer Investitionskontrolle könnte dies zu spät kommen. Derzeit ist völlig offen, ob ein derartiges Gesetz tatsächlich, wie ursprünglich geplant, noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann. Hinter vorgehaltener Hand fürchten Kommissionsbeamte bereits, dass ein entsprechender Vorschlag im Rat womöglich nicht die nötige Mehrheit findet. Der Grund: Die Zahl der China-Freunde ist zu groß.