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Wolfsburg-Coach Stephan Lerch »Fußballerinnen wollen mehr wissen«

Die Fußballerinnen aus Wolfsburg kämpfen gegen Chelsea um den Einzug ins Halbfinale der Champions League. Hier spricht Trainer Lerch über die Stärke der englischen Liga – und was den Fußball der Frauen besonders macht.
Ein Interview von Jan Göbel
Stephan Lerch: Ist seit 2017 Cheftrainer beim VfL Wolfsburg, im Sommer hört er auf

Stephan Lerch: Ist seit 2017 Cheftrainer beim VfL Wolfsburg, im Sommer hört er auf

Foto: Juanma / UEFA via Getty Images

SPIEGEL: Herr Lerch, Wolfsburgs Fußballerinnen spielen Chelsea an die Wand – und verlieren doch: So hieß es auf SPIEGEL.de vor einer Woche nach dem Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen die Engländerinnen. Passt die Überschrift?

Lerch: Die trifft es ganz gut.

SPIEGEL: Wie fühlt man sich nach einem so starken Spiel, das man doch verliert?

Lerch: Ich habe bis tief in die Nacht hinein gegrübelt. Aber es war die ganze Zeit so, dass ich einfach sehr angetan war von der Leistung. Man kann sagen: ›Hey, Kopf hoch, das war super, darauf bauen wir auf.‹ Am Ende ist es eine Niederlage gewesen, nach der wir noch alles selbst in der Hand haben. Gewinnen wir das Rückspiel 1:0 (Mittwoch, 14 Uhr; TV: Sport1), stehen wir im Halbfinale.

Zur Person Stephan Lerch
Foto: Jan Huebner / imago images

Stephan Lerch, 36 Jahre, kam 2013 zum zweiten Frauen-Team des VfL Wolfsburg, wo er zwei Spielzeiten lang Cheftrainer war, bis er im Sommer 2015 Assistenztrainer der A-Auswahl des Vereins wurde. Im April 2017 löste er Ralf Kellermann als neuen Cheftrainer des VfL Wolfsburg ab. Lerch war als aktiver Fußballer talentiert, schaffte es beim Profiklub Eintracht Frankfurt immerhin in die A-Jugend, aber nicht in den Profifußball. In Darmstadt war er einst Spieler unter Bruno Labbadia in der Regionalliga. Lerch gehört zum aktuellen Jahrgang des DFB-Trainerlehrgangs.

SPIEGEL: Bei der 1:2-Niederlage hat Pernille Harder das zwischenzeitliche 0:2 erzielt. Die dänische Starspielerin hat zuvor drei Jahre unter Ihnen in Wolfsburg gespielt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie getroffen hat?

Lerch: Beim Tor selbst gar nicht mehr viel, eher beim Entstehungsprozess. Als der Pass bei ihr im Strafraum landete, war mir eigentlich fast klar, dass Pernille treffen wird. Sie weiß sehr genau, wie sie sich positionieren und in welche Räume sie gehen muss, um dann für Gefahr zu sorgen. Sie ist eine herausragende Spielerin.

SPIEGEL: Es zieht viele Topspielerinnen nach England, die Strukturen sind dort besser, die Gehälter höher, es hat jüngst einen historischen Fernsehvertrag für die englische Liga gegeben. Und trotzdem hat das Hinspiel gezeigt: Der VfL kann mithalten. Wird Ihnen das zu selten betont?

Lerch: Ja, die deutsche Liga ist auch im internationalen Bereich konkurrenzfähig. Allerdings gibt es eine klare Entwicklung – und England ist dabei, uns abzuhängen. Nicht nur aus sportlicher Sicht.

SPIEGEL: Sondern?

Lerch: Mir liegt das Thema Vermarktung am Herzen, Sichtbarkeit. Für Spielerinnen ist es wichtig, dass ihre Leistungen gezeigt werden, das macht die englische Liga verdammt gut und viel besser – und deswegen so interessant. Denn dadurch setzt eine ganze Kette von Entwicklungen ein: Sponsoren kommen, es gibt mehr Geld, die Infrastruktur und die Nachwuchsarbeit werden besser. Beim Aufwärmprogramm des FC Chelsea haben sieben oder acht Leute aus dem Trainerstab auf dem Feld gestanden, ich weiß nicht, ob man das braucht, aber so etwas habe ich im Frauenfußball noch nie gesehen. England hat den Stein ins Rollen gebracht. Perspektivisch wird es aus deutscher Sicht schwieriger, dort mitzuhalten.

Stephan Lerch muss in seiner letzten Wolfsburg-Saison auf die vielen Tore von Ex-Spielerin Pernille Harder verzichten

Stephan Lerch muss in seiner letzten Wolfsburg-Saison auf die vielen Tore von Ex-Spielerin Pernille Harder verzichten

Foto: Sebastian Priebe / regios24 / imago images

SPIEGEL: Wie kann Deutschland den Anschluss wiederherstellen – wer ist dort in der Verantwortung?

Lerch: Alle müssen etwas dafür tun. Es braucht vor allem attraktive TV-Verträge, die den Vereinen ermöglichen, ihre Spiele zu streamen. Der Frauenfußball muss nach außen getragen werden, nur so kann dafür ein Interesse entstehen, nur so sind wir als Liga auch für Spielerinnen attraktiv. Was uns zum Beispiel komplett fehlt, ist die Sichtbarkeit für ausländische Stars, Problem ist das Geoblocking. Unsere norwegischen oder polnischen Spielerinnen haben nicht viel davon, wenn Spiele nur in Deutschland übertragen werden, aber in ihrer Heimat finden sie nicht statt. Manchmal kann ich nicht verstehen, warum das bei uns alles so schleppend verläuft.

SPIEGEL: Wird der deutsche Fußball der Frauen sichtbarer, wenn Traditionsklubs wie Dortmund und Schalke mit nun eigenen Teams in der Kreisliga beginnen?

Lerch: Ich glaube schon, große Namen ziehen. Besser wäre es, wenn man die in der Bundesliga hätte. Aber es ist auch das gute Recht der Vereine, ganz unten zu beginnen, ich finde es erst mal gut, dass die das überhaupt machen. Was auf keinen Fall hilft, ist aber, wenn man den Frauenfußball nur so nebenbei macht. Man muss es aus Überzeugung angehen, das bedeutet wiederum nicht, dass man Millionenbeträge investieren muss. Im Frauenfußball reicht es oft, mit geringen Mitteln zu arbeiten und Kompetenzteams einzusetzen, die Erfahrung mitbringen.

SPIEGEL: Im Männerfußball machen viele Trainer bei anderen Trainern ein Praktikum: Einige waren bereits bei Pep Guardiola als Hospitant. Gibt es dieses Modell auch im Frauenfußball?

Lerch: Nee, das gibt es nicht.

SPIEGEL: Sie lachen ja.

Lerch: Ja, weil das eine ganz schöne Idee ist.

SPIEGEL: Hatte die denn noch niemand?

Lerch: Ich habe sie in der Praxis bisher noch nicht gehört. Ich selbst habe im Zuge des DFB-Trainerlehrgangs bei Oliver Glasner von der Männermannschaft des VfL Wolfsburg hospitiert. Ich fände es aber sehr schön, wenn sich mal einer aus dem Männerfußball das Training im Frauenfußball ansieht. Das wäre sehr spannend, auch ein tolles Zeichen der Wertschätzung und dann wären wir auch wieder beim Thema Sichtbarkeit, wenn so etwas eine größere Runde macht. Ein bekannter Trainername als Hospitant bei den Frauen – das wäre toll.

SPIEGEL: Sie sind beim DFB in einem Trainerlehrgang mit Miroslav Klose.

Lerch: Ich werde das auf jeden Fall beim nächsten Seminar mal ansprechen, dass wir natürlich – sofern es die Corona-Situation und der Terminkalender hergeben – für Trainerhospitanten bereitstehen.

SPIEGEL: Warum werden im Fußball der Frauen so selten Trainer entlassen, im Männerfußball aber ist es gang und gäbe?

Lerch: Geld ist ein Faktor. Hier überlegt man sich drei oder viermal, ob man wirklich eine Abfindung in Kauf nimmt – selbst wenn eine Entwicklung mal nicht so läuft. Wer weniger Geld hat, geht auch sorgsamer damit um. Ein anderer Faktor ist, dass man im Frauenfußball eine Saison wahrscheinlich etwas besser einschätzen kann. Es gibt die Teams, die oben mitmischen, aber auch klare Außenseiter. So hat man eine etwas einfachere Planung. Deswegen ist der Trainerposten auch kein Schleudersitz, wie er das bei den Männern oft ist.

SPIEGEL: Sie arbeiten inzwischen seit acht Jahren als Trainer im Fußball der Frauen, seit drei als Chefcoach des VfL Wolfsburg. Was sagen Sie dazu, dass der Männerfußball immer wieder mit dem Frauenfußball verglichen wird, im Tennis aber zum Beispiel niemand den Aufschlag von Angelique Kerber mit dem von Rafael Nadal vergleicht?

Lerch: Fußball ist für viele das Heiligste und über Jahre hinweg gab es einfach nur Männerfußball. Da lassen viele nichts daneben zu, und deswegen wird der Frauenfußball vielleicht von manchen Menschen so abgelehnt. Aus Trainersicht kann ich sagen, dass Eins-zu-Eins-Vergleiche nicht sinnvoll sind. Wir haben zwar den gemeinsamen Nenner Fußball, wir sprechen über dieselben Taktiken und haben die gleichen Begrifflichkeiten. Aber das Spiel ist ein anderes, man sollte eher unterscheiden: Der Männerfußball ist schneller und dynamischer.

SPIEGEL: Und der Fußball der Frauen?

Lerch: Er ist genauso taktisch und technisch. Und er hat Alleinstellungsmerkmale: Die Spielerinnen stehen schnell auf, wenn etwas passiert ist. Das mag daran liegen, dass es bei uns weniger Kameras und weniger Druck von außen gibt, wir werden in keine Rollen reingepresst. Männerfußball ist auch viel Entertainment und das meine ich keinesfalls negativ. Bei den Frauen zählt wirklich der reine Fußball, und ich lade jeden ein, sich davon ein Bild zu machen. Man muss sich nur darauf einlassen.

SPIEGEL: Der Trainer Heiko Vogel hatte wegen unsportlichen Verhaltens gegenüber zwei Schiedsrichterinnen vom Westdeutschen Fußballverband eine Auflage erhalten, wonach er sechs Trainingseinheiten eines Frauen- oder Mädchenteams zu halten habe. »Dieses Urteil diskriminiert alle Frauen im Sport und speziell im Fußball«, hieß es in einem offenen Brief von Fußballerinnen.

Lerch: Und ich habe volles Verständnis für die Reaktion. Ich hatte auch das Urteil gelesen und ich konnte es nicht fassen, dass das sozusagen als Strafe beschrieben worden ist. Mir fehlten die Worte, das geht nicht und das gehört sich nicht. Eine Frau zu trainieren ist keine Strafe. Ich habe mich auch mit Alex Popp dazu ausgetauscht.

Pokal, Meisterschaft oder Champions League: Stephan Lerch könnte sich in dieser Saison noch mit dem Triple aus Wolfsburg verabschieden

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Foto: Sebastian Priebe / regios24 / imago images

SPIEGEL: Sie haben mal gesagt, dass der größte Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball ist, dass Fußballerinnen viel mehr wissen wollen. Gilt der Satz noch immer?

Lerch: Ja, Fußballerinnen wollen mehr wissen. Ich habe diesen Satz vor allem auf meine eigene Erfahrung bezogen: Als ich hier anfangen habe, bin ich als recht unerfahrener Coach auf Spielerinnen wie Almuth Schult oder Alexandra Popp getroffen, die waren bereits Nationalspielerinnen und wollten überzeugt werden, warum diese oder jene Übung das Team weiterbringt. Das ist auch noch heute so – meine Spielerinnen stellen viel infrage und wollen gut vorbereitet werden. Bei jeder Übung. Meine Erfahrung hat gezeigt: Je besser meine Erklärungen sind, desto eher ist das Team bereit, sich voll reinzuhängen. Auf dieser Basis entsteht ein Vertrauensverhältnis, das für den Teamerfolg sehr wichtig ist.

SPIEGEL: Zu Saisonbeginn haben sie angekündigt, dass Sie zum Ende der Spielzeit als Trainer des VfL Wolfsburg aufhören werden. Was machen Sie ab dem 1. Juli, wenn der Vertrag ausgelaufen ist?

Lerch: Ich möchte dem Fußball definitiv erhalten bleiben und bin für alle Richtungen offen. Es sind Dinge im Ofen, aber sie sind noch nicht heiß genug, um sie herauszuholen.