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Hohe Beratungsprovisionen Abzocke beim Bankberater

Deutschlands Bankkunden genießen eine Gratiskultur - nur wenn es um ihre Geldanlage geht, zahlen viele Verbraucher teils horrende Gebühren, häufig ohne ihr Wissen. Die Politik will damit Schluss machen. Doch für beherzte Reformen fehlt der Mut.
Lehman-Opfer: Deutsche Finanzinstitute hatten Zertifikate der US-Bank verkauft

Lehman-Opfer: Deutsche Finanzinstitute hatten Zertifikate der US-Bank verkauft

Foto: A3471 Boris Roessler/ dpa

Hamburg - Als die Rentnerin ihre Hamburger Bankfiliale betrat, wollte sie eigentlich nur eines: Ihr Geld gut und sicher anlegen. Als Anlageziele gab sie regelmäßige Einnahmen und langfristigen Wertzuwachs an. Der Bankberater hätte der 84-Jährigen zum Beispiel eine Bundesanleihe empfehlen können oder vielleicht einen Festgeldvertrag. Doch als die alte Dame die Filiale verließ, war sie Besitzerin von drei hochkomplizierten Investmentzertifikaten, die keine regelmäßigen Zinszahlungen boten - dafür aber hohe Provisionen für den Verkäufer.

Der Fall aus Hamburg ist besonders drastisch, doch er hätte sich überall in Deutschland abspielen können. Wo provisionsabhängige Bankberater auf arglose Kunden treffen, kommt es regelmäßig zu haarsträubend schlechten Ergebnissen. Statt mit der für sie passenden Geldanlage gehen die Kunden mit Produkten nach Hause, die ihnen oft gewaltige Kosten bescheren: Aktienfonds, fondsgebundene Renten- und Lebensversicherungen oder Zertifikate.

Dahinter steckt ein klassischer Interessenkonflikt. Die meisten Berater erhalten Prämien von den Fondsgesellschaften, wenn sie deren Produkte an die Kunden bringen. Das heißt: Je mehr sie verkaufen, desto mehr Geld verdienen sie. Und für einige Produkte gibt es nun mal besonders hohe Belohnungen. Auch deshalb verkauften viele deutsche Banken und Sparkassen ihren Kunden vor der Finanzkrise haufenweise Zertifikate der US-Bank Lehman Brothers, die 2008 pleiteging.

Bei Experten stehen die Provisionen seit Jahren in der Kritik. "Finanzberatung und Provisionen passen nicht zusammen", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Schon die Produktauswahl sei stark eingeschränkt, weil Berater darauf angewiesen seien, das zu verkaufen, was die höchsten Provisionen bringt.

Ein Beispiel verdeutlicht die Anreize: Will ein Kunde 20.000 Euro anlegen, streicht der Berater nach Berechnungen der Verbraucherzentrale im Schnitt 500 Euro ein, wenn er ihm eine Kapitallebensversicherung verkauft. Ein Aktienfonds oder ein Bausparvertrag bringen je 400 Euro. Deutlich weniger attraktiv sind für den Berater dagegen Festgeld (30 Euro), Bundesschatzbriefe (0 Euro) oder Aktienindexfonds, sogenannte ETFs (auch 0 Euro).

"Da liegt es doch auf der Hand, was der Berater empfiehlt", sagt Nauhauser. Zumal der Verkäufer bei den Provisionsgeschäften doppelt verdienen kann. Zusätzlich zu den genannten Abschlussgebühren streicht er meist auch noch Bestandsprovisionen ein, die so lange fließen, wie der Kunde das Produkt im Depot hat. Gerade diese Zahlungen werden laut Experten aber oft nur unzureichend ausgewiesen.

Das Beratungsprotokoll schützt vor allem die Banken

Auch der Bundesgerichtshof hat in den vergangenen Jahren gleich mehrmals die Praxis der Banken kritisiert, die Provisionen vor den Kunden zu verstecken. Passiert ist seither relativ wenig. Viele Institute verheimlichen die Provisionen noch immer oder verstecken sie im Kleingedruckten. Seit Anfang 2010 müssen die Berater zwar Protokolle schreiben und sie dem Kunden aushändigen. Doch die seitenlangen Ausführungen in Fachchinesisch bringen dem Kunden wenig.

"Durch das Beratungsprotokoll ist es für die Banken leichter und für die Verbraucher schwerer geworden", sagt der Hamburger Rechtsanwalt Peter Hahn. Die Banken könnten sich immer auf das Protokoll berufen und es im Zweifelsfall gegen ihre Kunden verwenden. Besonders schwierig wird es, wenn die Kunden das Protokoll unterschreiben, wie es einige Berater verlangen. Dann haben Sie kaum mehr eine Chance, dagegen anzugehen.

In diesem Jahr soll alles anders werden - oder zumindest vieles. Im Herbst wollen die EU-Staaten die Reform der Finanzmarktrichtlinie Mifid verabschieden. Ein Kernpunkt im Entwurf der EU-Kommission ist die Aufspaltung des Beratermarktes: Nur wer auf verkaufsabhängige Provisionen verzichtet, soll sich künftig noch unabhängig nennen können. Der Rest muss sich wohl oder übel als abhängig bezeichnen.

Markus Ferber geht der Kommissionsvorschlag noch nicht weit genug: Der CSU-Politiker ist Berichterstatter des Europäischen Parlaments zur Mifid-Richtlinie. Er verlangt strengere Vorgaben für die Finanzindustrie. "Der unabhängige Berater hat zum Beispiel bisher keine Verpflichtung, die Provisionen wirklich an den Kunden weiterzureichen", kritisiert Ferber. Auch die Pflichten des abhängigen Bankberaters seien noch unzureichend geregelt.

In Deutschland hat Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) im vergangenen Jahr in einem Eckpunktepapier dargestellt, wie sie sich die Anforderungen an einen unabhängigen Anlageberater vorstellt: So soll dieser nur vom Kunden und nicht von der Finanzindustrie bezahlt werden. Anfallende Provisionen, etwa von Fondsanbietern, sollen voll an den Verbraucher weitergereicht werden.

Das klingt gut. Doch passiert ist seit Vorlage des Papiers im vergangenen Sommer nichts. Es sei zur Ressortabstimmung an das Bundesfinanzministerium weitergeleitet worden, heißt es. Dort hängt es nun fest.

"Wenn man es den Leuten erklärt, verstehen sie es auch"

Dabei warten die wenigen Honorarberater, die es schon gibt, sehnsüchtig auf die erhoffte Unterstützung durch die Politik. "Wir brauchen gesetzliche Regeln", sagt Karl Matthäus Schmidt, Chef der Berliner Quirin-Bank. "Die Mifid-Richtlinie geht genau in die richtige Richtung, wenn sie zwischen unabhängiger Beratung und Verkaufsgesprächen unterscheidet. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Kunde weiß, wer ihm da gegenübersitzt."

Schmidt ist Pionier. Einst mischte er mit dem Online-Broker Cortal Consors die Bankenszene auf. Mittlerweile versucht er seit gut fünf Jahren die Honorarberatung in Deutschland zu etablieren. Bei der Quirin-Bank zahlt der Kunde in der Regel eine Monatsgebühr von 75 Euro plus durchschnittlich ein Prozent des Depotvolumens. Das war es. Versteckte Zahlungen an den Berater muss der Anleger nicht fürchten. "Wir reichen alle Provisionen an die Kunden weiter", verspricht Schmidt.

Bisher ist seine Bank mit diesem Modell nur mäßig erfolgreich. 2010 schaffte die Quirin-Bank erstmals einen kleinen Gewinn. Die Zahl der Kunden ist mittlerweile auf 8000 angewachsen. Im Vergleich zum ursprünglichen Ziel von 10.000 Kunden, das der Banker eigentlich schon 2010 erreichen wollte, ist das jedoch relativ enttäuschend.

Schmidt setzt auf Aufklärung - und auf die Einsicht der Verbraucher. "Wenn die Kunden sähen, wie viel sie bisher zahlen, gäbe das einen Schub für die Honorarberatung", hofft er. Der Bedarf sei jedenfalls vorhanden. "Wenn man es den Leuten erklärt, verstehen sie es auch."

Die Mitschuld der geizigen Kunden

Diese Hoffnung teilen nicht alle Experten. Viele sind skeptisch, ob sich die Honorarberatung je durchsetzen kann. "Der Kunde in Deutschland ist nicht bereit, für eine Beratung Geld zu zahlen", sagt Harald Christ. "Das liegt auch daran, dass die Finanzberatung in der Wahrnehmung der meisten Leute nicht so wertvoll ist, wie etwa die Leistung eines Steuerberaters oder eines Anwalts."

Christ kennt das ganze Spektrum des Beratungsgeschäfts. Einst verkaufte er bei der BHW Bausparverträge, später wechselte er zur Deutschen Bank und noch später wurde er Chef der noblen Berliner Weberbank, die sich auf gutbetuchte Kunden spezialisiert hat.

Mittlerweile ist Christ nur noch Privatmann und verwaltet sein Millionenvermögen. Doch das Beratungsthema liegt ihm immer noch am Herzen. Er fordert einerseits "absolute Transparenz" bei den Gebühren. Andererseits weist er aber auch den Kunden eine Teilschuld an ihrer Misere zu.

Der Verbraucher hat auch eine Verantwortung", sagt Christ. "Wenn ein Kunde ein Auto kauft, informiert er sich vorher über die Motorleistung, den Spritverbrauch und Testergebnisse. Aber wenn es um die eigene Altersvorsorge geht, rennt er viel zu oft einfach zur Bank, lässt sich ein Produkt empfehlen und unterschreibt." Stattdessen sollte er auch hier Zeit investieren, um verschiedene Angebote zu vergleichen.

Auch andere Experten glauben nicht, dass sich das Beratungsproblem allein durch ein Honorarmodell lösen lässt. "Das eigentliche Problem ist das fehlende Vertrauen der Kunden", sagt Herbert Walter, Ex-Chef der Dresdner Bank. "Und das lässt sich nicht einfach über ein neues Vergütungsmodell zurückgewinnen."

Die Interessenkonflikte des Bankberaters würden durch die Honorarberatung nur teilweise aufgelöst, meint Walter. "Wenn zum Beispiel nach Depotvolumen bezahlt wird, gibt es für den Berater immer noch einen Anreiz, möglichst viele Wertpapiere zu sammeln - und wenn nach Stunde abgerechnet wird, lässt sich der Berater eben etwas mehr Zeit."

"Ein Honorar garantiert noch keine gute Beratung"

Auch Verbraucherschützer Nauhauser sieht in der Honorarberatung allein noch keine Patentlösung. "Ein Honorar ist eine Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zur Beratung kommen kann", sagt der Experte. "Es reicht aber noch nicht aus - und es garantiert noch längst keine gute Beratung." Umso wichtiger sei es deshalb, gesetzliche Standards für Berater zu etablieren, die etwa eine verpflichtende Ausbildung vorsehen. Gerade gegen solche Pläne wehre sich aber die mächtige Bankenlobby.

Offiziell halten sich die Vertreter der Finanzwirtschaft bedeckt. Sie verweisen auf eine Stellungnahme aus dem vergangenen Jahr. Darin teilen die deutschen Bankenverbände lediglich mit, man müsse sorgfältig prüfen, "ob eine gesetzliche Regelung der Honorarberatung notwendig sei". Es sei "nicht im Sinne der Kunden, damit im Ergebnis die Angebotsvielfalt zu beschränken".

Das Problem der Banken: Sie sind auf die Provisionen angewiesen. Im deutschen Privatkundengeschäft sind die Margen ansonsten arg begrenzt. Die Kunden haben sich hierzulande daran gewöhnt, umsonst mit Bankleistungen versorgt zu werden: Ein kostenloses Girokonto ist für viele genauso selbstverständlich wie das kostenlose Abheben am Geldautomaten um die Ecke. Verdienen lässt sich fast nur noch mit Transaktionen - und dem Verkauf von teuren Produkten.

"Die Produktindustrie hat in den vergangenen 15 Jahren die Rendite ins Privatkundengeschäft gebracht", sagt Ex-Dresdner-Bank-Chef Walter. Und das reizen die Banken nun bis zum Anschlag aus.

Quirin-Banker Schmidt schlägt der Konkurrenz vor, einen Teil ihrer Rendite künftig wieder woanders zu holen: "Vielleicht müssen die Banken irgendwann dahin kommen, ihre Kerndienstleistung nicht mehr zu verschenken", sagt er. "Warum sollte die Führung eines Girokontos weniger Wert sein als ein Fußballabo im Pay-TV."