Beatmungsgeräte statt Autos Ingenieure halten Umbau der Produktion für unrealistisch
Der Plan klingt vielversprechend: VW und andere Autokonzerne kündigten an, in der Coronakrise statt Autos schon bald medizinisches Zubehör für Beatmungsgeräte oder andere Medizintechnik zu liefern. Doch Experten setzen in die Hilfe der Autokonzerne keine allzu großen Hoffnungen: Es sei unrealistisch, dass branchenfremde Unternehmen ihre Produktion auf komplexe Medizintechnik umstellen könnten.
"Auf einer Produktionslinie, die Autos herstellt, kann ich nicht einfach Beatmungsgeräte herstellen", sagt Jean Haeffs, Geschäftsführer der Fachgesellschaft Produktion und Logistik beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Auch Niklas Kuczaty, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik beim Maschinenbauverband VDMA, ergänzt: "Bei komplexeren Produkten wie einem Beatmungsgerät halte ich das für nicht realistisch - zumindest nicht in den nächsten Wochen und Monaten."
"Wenn das ausfällt, ist der Patient tot"
Zentrale Probleme sind dabei den Experten zufolge unter anderem die aufwendige Zertifizierung, die Versorgung mit Teilen sowie Wissen um die Produktionsabläufe - und die Frage der Sicherheit. Gerade bei einem Produkt wie einem Beatmungsgerät sei das wichtig, sagt Kuczaty. "Wenn das ausfällt, ist der Patient tot."
Die Folge sind unter anderem strenge und aufwendige Dokumentationspflichten. Ein Verbandsmitglied habe eine genaue Kopie eines bereits bestehenden Werkes errichtet, erzählt Kuczaty. "Er musste trotzdem alles neu zertifizieren." Die Vorgaben aufzuweichen, hält er aber nicht für sinnvoll: "Es hilft ja keinem, wenn wir Unmengen Beatmungsgeräte herstellen, und am Ende fehlt die Qualität und es kommen Patienten zu Schaden."
Dennoch sehen die Experten Möglichkeiten, wie branchenfremde Betriebe helfen können - nur eben in niedrigeren Risikoklassen. Ein Unternehmen wie der Textilhersteller Trigema, das jetzt auch einfache Mundschutze herstelle, sei ein Paradebeispiel. Auch der Würzburger Matratzenhersteller Schaumstoffe Wegerich produziert inzwischen Mundschutze - wenn auch ohne Zertifizierung.
Medizintechniker müssten Geheimnisse offen legen
Denkbar ist zudem, dass Konzerne ihre 3D-Drucker einsetzen, um fehlende Teile für Beatmungsgeräte zu erzeugen. "Wenn ich eine Konstruktionszeichnung habe, die ich einlesen kann, und die entsprechenden Kunststoffgranulate zur Verfügung stehen, dann ist das in einer Stunde umgerüstet", sagt Haeffs.
Blick in die Produktionshalle bei Dräger in Lübeck: Größte Auftrag der Unternehmensgeschichte
Foto: Carsten Rehder/ dpaDoch auch beim 3D-Druck von Teilen gibt es Hürden für den Einsatz: Zum einen sei das nur sinnvoll, wenn es Medizintechnikhersteller gebe, die Kapazität für die Produktion, aber Lücken in der Lieferkette hätten, die man mit gedruckten Teilen auffüllen könne, sagt Kuczaty. Zum anderen müssten die Medizintechnikunternehmen ihre Daten freigeben, wie Haeffs sagt. "Da sind die Hemmschwellen sehr hoch." Schließlich wollten die Unternehmen nicht potenzielle Konkurrenten mit Wissen versorgen.
Der Lübecker Beatmungsgerätehersteller Dräger erwägt offenbar dennoch eine Zusammenarbeit. Es habe erste Gespräche des Unternehmens mit Daimler gegeben, berichtete der Norddeutsche Rundfunk . Die Pläne der Bundesregierung, Tausende neue Beatmungsgeräte anzuschaffen, sei der "mit Abstand größte Auftrag der Unternehmensgeschichte", sagte der Vorstandsvorsitzende Stefan Dräger dem Sender, die Produktion werde hochgefahren, im Herbst hatte dem Unternehmen noch ein Stellenabbau gedroht.