Der Kunstrasenplatz des SV Ebnet liegt nur wenige hundert Meter vom Stadion des SC Freiburg entfernt. Einmal in der Woche trainieren dort Mädchen und Jungen gemeinsam beim Stützpunkttraining des Südbadischen Fußballverbandes. Sie wollen es in die Bundesliga schaffen. Oder in die Nationalmannschaft.
„Jana ist eine echt Gute“, sagt Larissa Hummel, während sie das Sechs-gegen-Sechs vom Spielfeldrand aus beobachtet. Jana ist 13, trägt orangefarbene Kickschuhe und ein weißes Freiburg-Trikot. Vielleicht wird sie es in wenigen Jahren ganz nach oben schaffen, Larissa Hummel wäre nicht überrascht. Die 30-Jährige kommt aus Munderkingen bei Ulm, ist ehemalige Bundesliga-Spielerin und hat die Trainer-A-Lizenz. Sie betreut das Stützpunkttraining und hält Ausschau nach Talenten. In Freiburg scheint es davon besonders viele zu geben: Die Karriere von sechs  Spielerinnen, die im Kader für die WM in Frankreich stehen, begann in Freiburg. Bei den Erstliga-Fußballerinnen des Sportclubs.

Mit 16 Jahren in der Bundesliga

„Gelb hat“, ruft Hummel und passt den Ball zurück ins Feld. Sie erzählt, dass Jana seit zwei Jahren im Perspektivteam des Sportclubs mittrainiert. Das ist im Verein die erste Anlaufstelle für junge Talente. Im Sommer steht für die 13-Jährige der nächste Schritt bevor: Sie wechselt zu den U-15-Juniorinnen.
„Ein Freiburg-Gen gibt es nicht“, sagt einer, der es wissen muss. Edgar Beck verantwortet seit vielen Jahren den Mädchenfußball beim SC Freiburg. Er ist U-17-Trainer und Chefscout in einem, sichtet Spielerinnen im Alter von zehn oder elf Jahren und kümmert sich um ihre fußballerische Ausbildung. „Ich bin meistens der Schuldige, dass die Mädchen nach Freiburg kommen“, sagt der 57-Jährige und lacht. „Ohne arrogant zu wirken: Ich habe einen ganz guten Blick und kann Perspektiven abschätzen.“ Und arrogant wirkt der Sport- und Biolehrer einer Freiburger Gemeinschaftsschule wirklich nicht. Eher überzeugt und respektvoll. Vielleicht ein bisschen stolz, auch wenn er das so deutlich erst nicht formuliert.
„Viele der Toptalente kommen aus der Region, nicht aus der Stadt“, sagt Beck. Statt Nachwuchsleistungszentrum setzt der Sportclub  deshalb auf übergreifende Strukturen, auf die Zusammenarbeit zwischen Heimatclub, Verein und Verband. Die Spielerinnen kommen nicht frühzeitig nach Freiburg, wenn die Fahrstrecke zu weit ist und sie in einem umliegenden Verein ausreichend betreut werden können. Meistens sind es Jungenmannschaften bei denen die Mädchen weiterspielen. Der SC begleitet ihre Entwicklung aus der Ferne, in Abstimmung mit den Trainern vor Ort.  Beim Stützpunkttraining des Verbandes werden sie zusätzlich gefördert. Ein Mischmodell, das funktioniert.
Beispiel Giulia Gwinn, die im deutschen Frauenfußball aktuell zu den herausragenden Talenten zählt. „Wir kennen sie schon als Zehn-, Elfjährige“ sagt Beck. Gwinn kommt vom Bodensee, spielte in Ravensburg und bei den B-Junioren des SV Weingarten. Der SC stand mit ihr jahrelang in engem Kontakt. „Im U-17-Alter haben wir sie dann nach Freiburg geholt.“ Mit 16 feierte sie ihr Debüt in der Bundesliga, mit 18 in der Nationalmannschaft. Mit 19 Jahren wird die Defensivspielerin ihre erste Weltmeisterschaft spielen.
In Freiburg ist also der Aufstieg vom Jugendbereich zu den Aktiven nicht nur  möglich, die Verpflichtung des eigenen Nachwuchs ist gewollt. „Bei uns sind die Mädchen eine ganz andere Nummer“, sagt Beck. Die Spielerinnen sammeln früh Bundesliga-Erfahrung, was für ihre Entwicklung und Perspektive wichtig ist. Und noch etwas hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Beim Stützpunkttraining wird es deutlich: Bis vor zwei Jahren gab es für Mädchen ein eigenes Training. Das haben der Deutsche Fußballbund und seine Regionalverbände wieder gekippt – zu Gunsten eines gemeinsamen, gemischten.
„Die Mädchen sollten möglichst lange mit den Jungs zusammenspielen“, sagt Larissa Hummel, die in der Jugend jahrelang selbst in einem Jungsteam gespielt hat, bevor der Anruf und die Verpflichtung aus Freiburg kamen. Die schnelle Spielweise, die robusten Zweikämpfe – das fördere. Das sieht man auch bei Jana, die in ihrem Heimatclub Spielführerin einer Jungenmannschaft ist. Mit Einwilligung der Eltern dürfen Mädchen noch in der U-15 in gemischten Teams spielen, für die U-17 stellen die Verbände talentierten Spielerinnen eine Sondergenehmigung aus.
„Beim Stützpunkttraining kann Jana sich mit den besten Jungs ihrer Altersklasse messen“, sagt Hummel.  Auf dem Spielfeld fällt das Mädchen mit der Nummer 10 auf dem Rücken auf. Nicht nur, weil sie mit ihren 1,56 Metern eine der größten ist. Sondern vor allem weil sie technisch gekonnt spielt, ihren Körper im Zweikampf einsetzt, Bälle in die Räume verteilt. Und sich ärgert, wenn doch ein Pass misslingt. Weil die Leistungsdichte bei den Junioren größer ist, profitieren vor allem die Mädchen davon.
„Der Spitzenfußball der Frauen wird immer anspruchsvoller“, sagt Edgar Beck. Neben Spielweise und Technik, nimmt vor allem die Athletik zu.  „Wer vor zwanzig Jahren Frauen-Bundesliga geschaut hat, sah fast eine andere Sportart.“ Früher seien ein, zwei gute Spielerinnen im Team gewesen, die nicht einmal viel gelaufen seien – wie in den 70er Jahren bei den Männern, als Einzelspieler die Erfolge bestimmten. „Das hat sich aber komplett geändert.“

Kurzpässe statt Kopfballduelle

Ansonsten hält Beck nichts von Vergleichen mit den Männern. „Der Fußball der Frauen ist eine eigenständige Sportart“, sagt der 57-Jährige, der vor seiner Zeit in Freiburg eine Profi-Mannschaft der Männer in Tunesien trainierte. Der Frauenfußball lebe vom Kurzpassspiel nicht von Kopfballduellen. Der U-17-Trainer schätzt das Engagement der jungen Spielerinnen und die Eigendynamik, die sich in den Teams entwickelt.
Das öffentliche Interesse nimmt zu. Auch wenn die Zuschauerzahlen in den Stadien stagnieren. Oft brauche es erst einen Anstoß, um sich die Spiele der Frauen anzusehen, sagt Beck. Die Weltmeisterschaft in Frankreich könnte einer sein. Mit einem DFB-Team, das immer besser versteht, auf sich aufmerksam zu machen. Vor allem spielerisch, aber auch abseits des Platzes – wie es der jüngst veröffentlichte Werbespot zur WM zeigt.
Über solche Nebeneffekte macht sich Talent Jana, die irgendwann in ihrem eigenen Trikot in der Bundesliga spielen will, noch keine Gedanken. Eher über den anstehenden Wechsel im Sommer: „Beim SC ist schon ziemliches Tempo drin“, sagt sie und spricht ohne Zögern weiter: „Aber man wird dadurch ja nur besser.“

Vom SC Freiburg in die Nationalmannschaft 

WM Am 7. Juni beginnt die Fußball-WM der Frauen in Frankreich. Das DFB-Team spielt zum Auftakt am 8. Juni (15 Uhr, ARD) gegen China. Im Kader stehen sechs Spielerinnen, deren Karriere beim SC Freiburg begann: Laura Benkarth (Tor, Alter: 26), Verena Schweers (30), Giulia Gwinn (beide Abwehr, 19), Melanie Leupolz (25), Sara Däbritz (beide Mittelfeld, 24), Klara Bühl (Sturm, 18). Merle Frohms (24) ist aktuell Freiburgs Stammtorhüterin. Auch Lina Magull (Mittelfeld, 25) und Carolin Simon (Abwehr, 27) spielten eine Zeit lang beim SC.
SC Freiburg Die Frauenfußballabteilung besteht seit 1975. In der Bundesliga spielt der SC seit 2001. Nach dem Abstieg in die 2. Bundesliga 2010, gelang 2011 der Wiederaufstieg. Anfang Mai stand Freiburg erstmals im DFB-Pokalfinale, das mit 0:1 gegen Wolfsburg verloren ging.