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Mitglieder des Heimatvereins werden durch das Kraftwerk Farge geführt / Es ist laut und heiß Blick in die Flammen

Farge. Das Herz des Kraftwerks Farge schlägt in zwölf Metern Höhe. Manchmal dürfen Besucher zusehen, wie es arbeitet.
04.06.2016, 00:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Ulrike Schumacher

Das Herz des Kraftwerks Farge schlägt in zwölf Metern Höhe. Manchmal dürfen Besucher zusehen, wie es arbeitet. Dann führt Susanne Krüger, die sich im Unternehmen um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert, Gruppen durch die Produktionsstätte. Und kurz vor Ende des Rundgangs geht es mit dem Fahrstuhl aufwärts – zum Herzstück des Kraftwerks, zur Turbine.

19 Männer und Frauen vom Heimatverein Farge-Rekum sind an diesem Tag unter einem Gewirr von dicken und dünnen Rohren unterwegs. „Wir versuchen immer wieder, Betriebe vor Ort anzusehen“, sagt Vorsitzender Wolfgang Kobbe. Das sei nicht unbedingt leicht. „Wir würden gern mal hinter die Kulissen einer Bäckerei oder Fleischerei schauen, aber das geht oft aus hygienischen Gründen nicht.“ Für die Führung durchs Kraftwerk Farge gab es keine Hürde. Im Gegenteil – die Nachfrage war im Heimatverein so groß, dass es innerhalb kurzer Zeit schon die zweite Führung ist.

Die ersten Informationen gibt es im Besucherzentrum. Susanne Krüger sagt, dass das Unternehmen seit Januar unter neuem Namen läuft. Das alte Firmen-Logo GDF-Suez ist an manchen Stellen noch zu lesen, aber das Kraftwerk firmiert nun unter dem Begriff Engie. Der Mutterkonzern in Paris habe im April vergangenen Jahres entschieden, seinen Namen zu ändern.

Begonnen hatte der Kraftwerksbetrieb an der Weser vor fast hundert Jahren. 1924 wurde in Bremen-Nord der erste Strom erzeugt, nachdem zwei Jahre zuvor die Kraftwerk Unterweser-Aktiengesellschaft gegründet worden war. Später wurde das Werk erweitert. Das jetzige ist seit 1969 in Betrieb. Bis heute sei das Werk eine Stütze des lokalen Arbeitsmarktes, heißt es im Film, den die Besucher sehen, bevor sie zur Werksbesichtigung aufbrechen. Rund 110 Mitarbeiter sind derzeit in Farge beschäftigt, erzählt Susanne Krüger. Vor zwei Jahren hatten hier noch gut 150 Mitarbeiter einen Job – 100 Konzernangestellte und 50 Leiharbeiter. Im Film ist noch von vier Ausbildungsgängen die Rede. Aktuell können Absolventen mit mittlerem Schulabschluss zwei Berufe erlernen: Elektroniker für Betriebstechnik und Industriemechaniker für Betriebstechnik.

„Wie lange soll das Werk noch bestehen bleiben?“, möchte jemand aus der Gruppe wissen. Vor drei Jahren hatte die vorige Betreiberfirma angekündigt, dass das Farger Werk 2024 vom Netz geht. Vor zwei Jahren investierte der Konzern 20 Millionen Euro in die technische Aufrüstung des Kraftwerks. „Es gibt keinen Zeitpunkt“, antwortet Susanne Krüger. „Wir sind so aufgestellt, dass wir sagen: wir produzieren. Wir sind daran interessiert, die Anlage am Laufen zu halten.“ Das rechtfertige auch der Wirkungsgrad von 42,5 Prozent, was bedeute, dass 42,5 Prozent der verfeuerten Kohle in Strom umgewandelt wird. „Damit gehört das Kraftwerk Farge zu den Steinkohle-Kraftwerken mit dem höchsten Wirkungsgrad Deutschlands“, sagt sie.

Dann streifen sich die Besucher orange-farbene Warnwesten über, stülpen Schutzhelme auf ihre Köpfe und Hörhilfen über die Ohrmuschel. Im Werk wird es so laut sein, dass Susanne Krüger sowie ihre Kollegen Dierk Mielke und Mike Reitzig, die als Techniker und Meister den Rundgang begleiten, nur übers Mikrofon zu verstehen sind. Draußen vor dem Werk hört man schon das Brummen. Mike Reitzig deutet auf Kessel- und Maschinenhaus, schwenkt den Arm zur Filteranlage und dann in Richtung Schornstein, dem „gereinigte Rauchgase“ entweichen. Nach einem kurzen Weg steht die Gruppe vor Steinkohlebergen. Die werden per Schiff angeliefert und nicht mehr, wie vor ein paar Jahren, mit der Bahn. Dagegen hatte es Anwohnerproteste gegeben.

Zwischen 55 und 60 Tonnen fasse ein Zugwaggon, berichten die Männer. Um bei voller Last zu laufen, brauche das Kraftwerk 100 bis 110 Tonnen Kohle – pro Stunde. 3000 Tonnen werden täglich am Weserkai entladen, heißt es im Film. 80 000 Tonnen Reserve lagern auf dem Gelände. „Das reicht für 30 Tage Kraftwerksbetrieb.“ In Mühlen wird die Kohle zu Kohlestaub zermahlen und danach in den Kessel geblasen, wo der Staub verbrannt wird. Die Verbrennungsrückstände werden im Straßenbau verwertet. Die an einem Filter abgeschiedene Flugasche wird in der Zementindustrie verwertet. „Wieso kommt es vor, dass in der Nähe des Kraftwerks nachts graue Asche auf den Autos liegt?“, fragt ein Besucher, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er spricht außerdem von „Rostpartikeln auf verzinkten Zäunen“. Die Kraftwerksvertreter halten das jedoch nicht für möglich. Die Öffentlichkeitsreferentin vermutet hinter den nächtlichen Vorkommnissen eher „eine Verschwörungstheorie“.

Die Gruppe ist inzwischen vor dem Kessel angekommen. Ob sie einen Blick hineinwerfen möchten, fragt Susanne Krüger übers Mikrofon in die Runde. Die Besucher nicken. Sommerlich heiß ist es in Kesselnähe. Und gleich noch ein bisschen heißer. Mike Reitzig öffnet die Klappe zum Kessel einen kleinen Spalt breit, so dass ein heller Feuerschein zu sehen ist. Wie hoch die Temperatur im Kessel ist, möchte einer wissen. Er muss gegen das Dröhnen der Maschinen anbrüllen. „1300 Grad“, ruft Reitzig. Bis zur Turbine ist es jetzt nur noch ein kurzer Weg. „Hier geht der Wasserkreislauf los“, erklärt Dierk Mielke. Die Flammen im Kessel erhitzen mit hoher Temperatur und hohem Druck Wasser zu Dampf. In der Turbine werde der Dampf entspannt und treibe damit einen Generator an, der die mechanische in elektrische Energie verwandelt, die über einen Transformator ins Netz eingespeist wird. Im Kontrollraum, der Warte, haben sie alles im Blick. Hier sitzen Schichtleiter Frank Sorge und seine Kollegen an Pulten, die übersät sind mit Schaltknöpfen. An der Wand hängen in einer Reihe Monitore, die Ausschnitte aus verschiedenen Produktionsbereichen zeigen. Wenn es volle Leistung erbringt, könne das Kraftwerk Farge mehr als 2,8 Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren. „Das entspricht der Versorgung von rund 700 000 Vierpersonenhaushalten oder 2,8 Millionen Menschen“, rechnet Susanne Krüger vor, was „das Kraftwerk zu leisten imstande ist“. Tatsächlich werde es aber je nach Strombedarf flexibel eingesetzt, so dass „die Laufzeit pro Jahr auch geringer ausfallen kann“.

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