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Einwohner von Lopau mussten wegziehen Das Geisterdorf in der Heide

Lopau. In Lopau in der Lüneburger Heide lebt niemand mehr. Das Dorf musste neuen Bundeswehr-Schießbahn Munster-Nord weichen.
22.03.2014, 18:30 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Das Geisterdorf in der Heide
Von Kathrin Aldenhoff

In Lopau in der Lüneburger Heide lebt niemand mehr. Das Dorf, das nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 200 Einwohner hatte, musste der Schießbahn Sieben des Truppenübungsplatzes Munster-Nord weichen. Wanderer und Jugendgruppen dürfen das Dorf nur betreten, wenn nicht scharf geschossen wird. Spaziergang durch ein Geisterdorf.

Die Wölfe sind zurück. Und auch die Jäger fühlen sich wohl im Lopautal. An diesem nasskalten Tag haben sie die toten Rehe dort abgelegt, wo früher das Gutshaus des Industriellen Richard Töpfer stand. Ihre großen Wagen, die teils Düsseldorfer Kennzeichen tragen, versperren die Wege des Dorfes. Hunde kläffen, der Rauch eines Lagerfeuers weht in der Luft. Stören tut das keinen, denn in Lopau lebt niemand mehr. Es ist ein Geisterdorf, mitten in der Lüneburger Heide.

Weil die Bundeswehr mehr Platz für ihre Schießübungen brauchte, mussten die Dorfbewohner gehen: Ihr Ort befand sich im Sicherheitsbereich der geplanten Schießbahn Sieben. Im Jahr 1970 lebten nach Angaben der Bundeswehr 62 Menschen in Lopau, sie wurden in den folgenden Jahren umgesiedelt. Anfang der 1980er-Jahre wurde die Schießbahn gebaut. Schon vorher begann die Bundeswehr, alte Häuser und Höfe abzureißen: unter anderem das Gutshaus von Richard Töpfer sowie eine Jugendherberge und alte Stallungen.

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Das Aufseherhaus des Töpferschen Anwesens, das Haus Schilling, ist noch erhalten. Die Waldjugend Niedersachsen nutzt es seit den 1970er-Jahren für Jugendfreizeiten, genauso wie den Hof Fangbeutel am Ortseingang von Lopau. Eine Gruppe Jugendlicher ist mit ihrem Leiter Stephan Löb angereist.

Die Fensterläden des kleinen Backsteinbaus sind schwarz-weiß gestrichen, das Haus Schilling hat eine kleine Küche und einen Kamin. Auf dem Tisch breitet Stephan Löb eine Karte des Dorfes aus, darauf sind schwarze und gelbe Flächen eingezeichnet. Schwarz bedeutet, dass das Haus noch steht, gelb heißt, das Gebäude gibt es nicht mehr. Und die Karte hat viele gelbe Flecken; zwischen 1971 und 1980 wurden 14 Gebäude abgerissen. „Es hieß, sie waren baufällig, vielleicht war aber auch der drohende Denkmalschutz der Grund“, sagt der 46-Jährige. Um seinen Hals trägt Stephan Löb das grün-schwarze Tuch der Waldjugend.

Schräg gegenüber vom Haus Schilling steht die Revierförsterei. Dort lebte bis 1983 noch ein altes Ehepaar. Die beiden Rentner waren die letzten, die Lopau verließen. Heute nutzt die Bundeswehr das große Backsteingebäude für Seminare.

Stephan Löb läuft über einen Waldweg durchs Dorf, die Jäger sind jetzt weit weg, nur ab und zu hallen Schüsse herüber. Er erzählt die Geschichte von Opa Poksche: Der war ein Tagelöhner, eine Art Rübezahl – als er von hier abtransportiert wurde, ist er in einem Männerheim an Heimweh gestorben. „Man sagt von vielen Lopauern, dass sie nie wieder hergekommen sind. Sie hatten das Gefühl, sie würden es nicht ertragen, zu sehen, wie hier alles verfällt.“

Stephan Löb kennt Lopau seit seiner Kindheit: Mit elf Jahren zog er mit der Familie nach Munster, bald schloss er sich der Waldjugend an. In Lopau fand er seine Freiheit: „Hier durfte ich auf einmal alles. Mit der Kreissäge arbeiten, im Wald Holz hacken. Es war eine Parallelwelt, mit vielen Freiheiten und mit Leuten, die einem alles zutrauten.“ Er engagierte sich auch in der Aktionsgemeinschaft „Rettet das Lopautal“, die 1975 aus Protest gegen die neue Schießbahn gegründet wurde. Die wurde trotzdem gebaut, aber immerhin stehen noch einige Häuser des Dorfes. Und wenn kein Schießbetrieb ist, ist das Tal für alle zugänglich – ein kleiner Sieg.

Halt! Scharfschießen

Die Gegend um Munster hat Militärtradition: Schon zu Kaiserzeiten gab es dort einen Truppenübungsplatz. Heute gibt es auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord unter anderem Schießbahnen für Panzer sowie Handgranaten-Wurfplätze. Stephan Löb läuft an einem roten Schild vorbei, darauf steht „Gefahrenbereiche“. Die Bundeswehr informiert, wann scharf geschossen wird. Zu diesen Zeiten ist Lopau gesperrt: Die rot-weiße Schranke neben dem gelben Ortsschild ist dann geschlossen, und ein Schild warnt in roter Schrift auf weißem Grund: Halt! Scharfschießen.

Als das Dorf schon lange verlassen war, zog sich Stephan Löb für einige Wochen in das Haus Schilling zurück, um an seiner Diplomarbeit zu arbeiten. Für seine Doktorarbeit kam er wieder. „Da vergingen manchmal Tage, ohne dass sich auch nur ein Spaziergänger hierher verirrte.“ Er stapft durch die sumpfigen Wiesen, die zwischen den übrig gebliebenen Häusern liegen. Er kennt sie alle: die alte Schule, die schon 1963 geschlossen wurde, aber aussieht, als ob nur Ferien wären und die Schüler jeden Moment zurückkommen könnten. Den Hof Roth, den die Bundeswehr für Feiern nutzt. Die vier Häuser der ehemaligen Försterei Herzberge, die auf einem Hügel stehen.

Bei einem der Häuser steht die Tür offen: Hier war ein Feierraum für das Sanitätsbataillon aus Munster. Seit es das Bataillon nicht mehr gebe, werde das Haus nicht mehr genutzt, erzählt Löb. Einige Treppenstufen führen hinunter zur Eingangstür, im ersten Stock steht ein Stapel weißer Teller mit Goldrand auf einem Tisch, ein oranger Topfdeckel liegt auf der Durchreiche zwischen Küche und Wohnzimmer, daneben ein benutztes Geschirrhandtuch. Einige Fensterscheiben sind eingeworfen, auf dem Holzfußboden liegt Vogeldreck.

Stephan Löb zeigt auf das Militärgelände abseits der Gebäude und erzählt: Auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord seien im Juli 2012 nach 100 Jahren die ersten Wolfsjungen Niedersachsens zur Welt gekommen. Inzwischen lebt hier eine ganze Wolfsfamilie: Das Wolfsmonitoring Niedersachsen filmte im vergangenen Jahr sieben Welpen auf dem Gelände.

Als die Bundeswehr das Tal übernahm, habe die niedersächsische Landesregierung es ihr zur Auflage gemacht, das Ortsbild so lange wie möglich zu erhalten, sagt Stephan Löb. Häuserkampfübungen in dem verlassenen Dorf seien deshalb tabu, eingeschlagene Fensterscheiben würden in der Regel schnell ersetzt. Das erklärt, warum das Dorf nach 30 Jahren ohne Einwohner überhaupt noch steht.

Am Nachmittag ist die Jagd vorbei; ein Wagen nach dem anderen verlässt das Dorf. Auch die Jugendlichen packen ihre Sachen zusammen. Sie warten vor dem Hof Fangbeutel auf ihre Eltern, die sie abholen. Nun ist Lopau wieder sich selbst überlassen. Und den Wölfen.

In der letzten Folge unserer Serie „Verlassene Orte“ stellen wir Ihnen den Dubberspark vor – einst Jagdrevier eines dänischen Konsuls.

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