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20 Jahre „Pizza-Toni“: Ailton über Pizarro „Wir haben Party gemacht, aber professionell“

20 Jahre ist es her, dass „Pizza-Toni“ erstmals lieferte. Ailton erinnert sich im Interview an die Zeit mit Sturmpartner Claudio Pizarro, an große Momente auf dem Feld, lustige Erlebnisse und nächtliche Partys.
10.10.2019, 19:00 Uhr
Lesedauer: 9 Min
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„Wir haben Party gemacht, aber professionell“
Von Christoph Bähr

Ailton, erinnern Sie sich noch an den September 1999 und das erste Spiel, in dem Sie und Claudio Pizarro gemeinsam in der Startelf standen?

Ja klar, das war das Spiel in Wolfsburg. 7:2. Das war ein Hammerspiel, einfach nur geil. Die Kombination Claudio Pizarro und Ailton passte perfekt. Danach sind wir noch besser geworden. Zwei Jahre haben wir bei Werder super zusammengespielt. Auf dem Platz haben wir harmoniert, und wir sind auch gute Freunde geworden. Ailton ist richtig explodiert. Ich habe sehr gut gespielt, und Claudio war dabei eine große Hilfe für mich.

Claudio Pizarro hat in Wolfsburg drei Tore geschossen, zwei davon haben Sie vorbereitet. Sie haben einen Treffer erzielt. Es war die Geburt des Sturmduos „Pizza-Toni“. Haben Sie und Claudio sich eigentlich auf Anhieb so gut verstanden?

Ich bin 1998 zu Werder gekommen, Claudio kam 1999 nach dem Pokalsieg im Finale gegen die Bayern. In dieser Phase war es für mich sehr schwer. Als Felix Magath noch Trainer war, saß ich fast nur auf der Bank oder auf der Tribüne. Das war eine Katastrophe für mich. Dann ist Thomas Schaaf Trainer geworden, aber der Plan war, dass ich zurückgehe nach Brasilien oder nach Mexiko. Und plötzlich kam Claudio Pizarro. Ein Peruaner, ein Latino wie ich. Wir konnten uns sofort auf Spanisch verständigen und haben die gleiche Mentalität. Das war gut für Claudio und gut für mich. Also haben sich Thomas Schaaf und das Werder-Präsidium überlegt, dass Ailton noch ein bisschen Zeit mit Claudio Pizarro zusammen bekommt. Mein Potenzial war ja da, aber ich hatte keine richtige Motivation. Ich war alleine, bis Claudio kam. Wir haben ein bisschen geredet, ein paar Späße gemacht. Nach zwei Wochen Training haben wir schon sehr gut harmoniert.

Wie ist das zu erklären? Warum hat das so schnell funktioniert?

Das ist das Latinoblut, unsere gemeinsame Mentalität. Außerdem ist Claudio einfach ein super Junge, ein Sympath. Wir beide sind wie Brüder.

Hätten Sie Werder damals verlassen, wenn Claudio nicht gewesen wäre?

Nicht zu 100 Prozent, aber zu 99 Prozent. Wären Claudio und auch Julio Cesar (brasilianischer Abwehrspieler, den Werder 1999 verpflichtete, Anm. d. Red.) nicht nach Bremen gekommen, wäre ich zurück nach Brasilien oder nach Mexiko gegangen.

Sie haben mit Claudio Pizarro nicht nur auf dem Platz harmoniert, sondern sollen abends auch gerne mal gefeiert haben. Stimmt das?

Nein, nie. Claudio und ich waren nur zu Hause. Im Ernst: Ein Latino ist auch ein Partymensch. Ein Latino ohne Party, das geht nicht. Nur Fußball und nur Arbeit, das geht nicht. Manchmal haben Claudio und ich ein bisschen Party gemacht. Wir brauchten das ab und zu. Wir haben nichts kaputt gemacht wie manch anderer Spieler oder nur Alkohol getrunken. Wir haben Party gemacht, aber professionell.

Wo sind Sie gerne hingegangen?

Damals gab es in Bremen und Umgebung viele Optionen zum Partymachen. Wir waren zum Beispiel im Delight, im Capitol, in der Scala oder im Moments.

Gab es wegen der Partys mal Ärger mit dem Trainer?

Nein, überhaupt nicht. Thomas Schaaf hat uns gut verstanden. Wenn wir am nächsten Tag trainiert haben und ich ein bisschen müde war, hat er gefragt: „Hast du gut geschlafen?“ Ich habe geantwortet: „Nicht so gut.“ Das war kein Problem. Dann sind wir 20 Minuten gelaufen, durften uns ein bisschen regenerieren und ausschlafen. Am nächsten Tag ging es dann richtig weiter.

War Thomas Schaaf wirklich so verständnisvoll?

Thomas Schaaf war für einen Latino ein sehr guter Trainer. Er hat verstanden, dass ein Latino auch mal den Kopf freibekommen muss. Claudio und ich waren jung. Natürlich wollten wir auch mal in die Disco. Das ist doch normal. Thomas Schaaf konnte das nachvollziehen. Claudio, Thomas und ich haben uns sowieso immer gut verstanden. Thomas Schaaf hat uns nicht nur als Spieler gesehen, sondern auch als Menschen. Er hat uns die nötigen Freiräume gegeben.

Wenn ein Spieler zu spät aus dem Urlaub zurückkam, fand Thomas Schaaf das allerdings nicht so lustig, oder?

Claudio ist nur einmal zu spät zurückgekommen, glaube ich. Mir ist das bestimmt zehnmal passiert. Sechs Jahre habe ich bei Werder gespielt, und ich kam immer zu spät wieder. Du bist in Brasilien mit der Familie bei 35 Grad und sollst nach Deutschland fliegen, wo minus zehn Grad sind? Dann bleibst du eben noch ein paar Tage länger in Brasilien. Thomas Schaaf konnte das schon auch verstehen. Ich musste nur nach der Rückkehr auf dem Platz mit vollem Herzen dabei sein und Tore machen. Dann war alles gut.

Im Jahr 2000 wollten Sie und Claudio Pizarro etwas früher in den Urlaub fliegen. Das vorletzte Spiel vor Weihnachten gegen Cottbus stand an, und Sie hatten beide schon vier Gelbe Karten auf dem Konto. Nach der fünften Gelben Karte ist man bekanntlich gesperrt. Wie sah also der Plan aus?

In dem Spiel saß Claudio zunächst auf der Bank, und ich habe von Anfang an gespielt. Vorher habe ich zu ihm gesagt: „Claudio, es kann passieren, dass ich eine Gelbe Karte bekomme. Wenn ich spiele, habe ich ein bisschen mehr Temperament als du. Aber wenn du eingewechselt wirst, bleib‘ ruhig. Wir dürfen nicht beide eine Gelbe Karte bekommen.“ Er hat gesagt: „Alles okay, ich will keine Gelbe Karte.“ Und was passiert? Ich kriege in der ersten Halbzeit eine Gelbe Karte. In der zweiten Halbzeit kommt Claudio und sieht auch Gelb. Danach stand das Ganze natürlich groß in den Zeitungen. Thomas Schaaf und Klaus Allofs waren richtig sauer. Alle dachten, dass Claudio und ich uns abgesprochen hätten. Dass wir uns beide eine Gelbe Karte abgeholt hätten, um früher nach Hause fliegen zu können. Aber das stimmt nicht.

War wirklich keine Absicht dabei?

Überhaupt nicht. Es gab keinen Plan, wir hatten nichts abgesprochen. Als Claudio reinkam, habe ich zu ihm gesagt: „Du musst aufpassen. Ich habe schon eine Gelbe Karte. Wenn du auch noch eine bekommst, kriegen wir Probleme.“ Er hat gesagt: „Nein, nein. Alles okay. Ich spiele normal.“ Zehn Minuten später sieht Claudio dann Gelb. Danach war einiges los in der Kabine und in Bremen. Es hieß: Das war unprofessionell von Ailton und von Claudio.

Früher nach Hause fliegen durften Sie beide dann auch nicht…

Das letzte Spiel vor der Winterpause war in Unterhaching. Thomas Schaaf hat zu Claudio und mir gesagt: „Ihr fliegt beide mit der Mannschaft mit und guckt das Spiel zusammen mit den Werder-Fans.“ Es waren minus 20 Grad, ungelogen. Wir standen auf der Tribüne mit den Fans und waren nur am Zittern. Da habe ich zu Claudio gesagt: „Du blöder Peruaner, warum hast du eine Gelbe Karte bekommen?“ Er hat mich angeschaut und gesagt: „Und du, Brasilianer? Du hast auch eine Gelbe Karte gekriegt.“ Zu allem Überfluss gab es dann noch ein Problem mit dem Rückflug, also mussten wir mit dem Bus nach Bremen fahren. Das hat zehn oder elf Stunden gedauert. Erst zwei Tage danach konnte ich endlich nach Brasilien fliegen.

2001 hat Claudio Sie dann alleine gelassen und ist zu den Bayern gewechselt. War das schwierig für Sie?

Für mich war das natürlich ein Schock, wie eine kalte Dusche. Ich wusste ja nicht, welcher Stürmer für Claudio kommen würde und ob dieser neue Mann zu Ailton passen würde. Ich habe viel darüber nachgedacht. Mit meinem Berater habe ich darüber gesprochen, ob ich nach Brasilien wechseln soll. Ich habe zu ihm gesagt: „Mein bester Freund und der beste Stürmer der Bundesliga ist weg. Es ist alles okay bei Werder Bremen, aber ich bin wieder alleine.“ Mein Berater hat meine Emotionen kontrolliert. Er hat gesagt: „Ailton, bleib‘ ruhig. Du bist schon integriert und verstehst Deutsch. Der Bundesliga-Fußball passt zu dir.“ Also habe ich meinen Vertrag bei Werder verlängert, und dann kam Ivan Klasnic. Er ist ein anderer Typ als Claudio Pizarro, aber auch mit ihm lief es super, super, super. Ivan hat Ailton auf dem Platz verstanden, genau wie Claudio. Er hat clever gespielt und wusste genau, wohin ich laufe. Claudio und Ivan sind die besten Stürmer, mit denen ich jemals zusammengespielt habe.

Mit dem Sturmduo Ailton/Klasnic hat Werder 2004 das Double gewonnen. Zusammen mit Pizarro haben Sie dagegen keinen Titel geholt. Ärgert Sie das?

Wir sitzen schon öfter zusammen und sprechen darüber, dass uns ein Titel wie die Meisterschaft oder der deutsche Pokal gefehlt hat. Wir standen ja 2000 im Pokalfinale gegen Bayern, leider haben wir verloren. Trotzdem war es eine super Zeit. Mit Claudio und mir hat Werder immer um einen Platz im Europapokal mitgespielt. Im Uefa-Cup haben wir Lyon und Parma rausgeworfen und sind erst im Viertelfinale an Arsenal gescheitert.

Besonders das Rückspiel gegen Lyon ist legendär. Nach einer 0:3-Hinspielniederlage hat Werder mit 4:0 gewonnen. Das war eines der „Wunder von der Weser“, und das entscheidende vierte Tor erzielte Pizarro. Was wissen Sie noch von diesem Spiel?

Das war ein extrem dramatisches, emotionales Spiel. Das letzte Tor von Claudio war ein Konter. Ich bin so schnell gerannt wie ein Ferrari. In der Mitte war Claudio mitgelaufen. Also passte ich den Ball zu ihm, und er machte das entscheidende Tor. Erst kürzlich war ich bei Claudio zu Hause und wir haben zusammen etwas gegessen. Auch da haben wir wieder über dieses Spiel gegen Lyon im Weserstadion geredet.

Wie haben Sie den Kontakt gehalten, als Claudio in München war?

Erst einmal habe ich zu ihm gesagt: „Wenn du zu den Bayern gehst, brauche ich 20 Prozent von der Transfersumme. Wenn du nicht mit Ailton zusammengespielt hättest, hättest du auch nicht zu den Bayern wechseln können.“ Nein, das ist Spaß. Ich habe ihm viel Glück bei den Bayern gewünscht. Er hat es dort auch gut gemacht und ist ein guter Freund geblieben. Immer wenn Zeit war, habe ich mich mit Claudio getroffen. Es war immer Kontakt da.

Hat Claudio eigentlich immer gute Laune?

Absolut. Ich habe Claudio noch nie negativ erlebt, er ist immer positiv. Mit ihm zusammen gibt es immer etwas zu lachen. Noch nie in meinem Leben hatte ich Streit mit Claudio. Ach, doch, einmal gab es eine kleine Diskussion.

Was war da los?

Das war ein Spiel gegen Kaiserslautern im Jahr 2001. Es gab einen Elfmeter für uns, und Claudio hat gesagt: „Ich schieße den Elfmeter.“ Da habe ich gesagt: „Nein, ich schieße. Ailton ist der Chef. Bitte lass‘ mich in Ruhe.“ Und dann habe ich den Elfmeter verschossen. Danach sagte ich zu Claudio: „Das war dein Fehler. Meine Konzentration war weg.“

Und was war 2004? Werder hat mit einem 3:1-Sieg in München gegen Pizarros Bayern die Meisterschaft perfekt gemacht. Haben Sie Ihren Kumpel danach nicht wenigstens ein bisschen geärgert?

Ein paar Tage vor dem Spiel habe ich eine SMS an Claudio geschickt und geschrieben: „Ich werde deutscher Meister und hole die Torjägerkanone bei dir zu Hause.“ Claudio hat geantwortet: „Toni, das Spiel ist noch nicht gespielt.“ Das lief aber alles mit Humor ab.

Jetzt haben wir 2019, und Claudio Pizarro spielt immer noch Fußball. Er sagt, dass es seine letzte Saison wird. Glauben Sie ihm das?

Man weiß es nie zu 100 Prozent, aber ich denke, dass es wirklich Claudios letzte Saison ist. Er ist fit und ein richtiger Profi. Er achtet genau darauf, was er isst und was er trinkt. Trotzdem wäre es sicher schwer, noch eine weitere Saison in der Bundesliga zu spielen.

Wie kann er Werder in der aktuellen Saison noch helfen?

Claudio kommt in den letzten 20 Minuten rein und kriegt seine Möglichkeiten. Und wenn ein Claudio Pizarro zwei, drei Chancen hat, macht er daraus mindestens ein Tor. Er wird hundertprozentig noch ein paar Tore für Werder schießen.

Wie viele Tore trauen sie ihm denn zu?

Vergangene Saison hat er in der Bundesliga fünf Tore gemacht. Ich denke, diese Saison wird es ein Tor mehr sein. Im Pokal hat er ja schon zweimal getroffen. Da weiß ich nicht, wie viele Tore noch dazukommen.

Wenn Pizarros große Karriere endet, soll es ein Abschiedsspiel im Weserstadion geben. Da müssen Sie auch dabei sein, oder?

Ich denke, dass ich dabei bin. Die gemeinsame Geschichte von Claudio und mir ist schließlich super. Ich hatte ein großartiges Abschiedsspiel im Weserstadion mit einer geilen Atmosphäre, dafür danke ich den Fans von Werder Bremen. Und natürlich hat Claudio so etwas auch verdient - mit seinen ganzen alten Kollegen von Werder, Bayern, Chelsea und aus Peru. Dann gibt es im Sturm noch einmal „Pizza-Toni“, und nach dem Spiel bringe ich eine große Pizza auf den Platz – ein letztes Mal Pizza.

Haben Sie schon gemeinsame Pläne für die Zeit nach Claudios Karriere?

Ich habe ja gerade eine Werbekampagne gemacht für SWB. Und ich habe Claudio schon gefragt, ob wir nach seiner Karriere nicht gemeinsam eine große Kampagne machen wollen. Ailton und Claudio Pizarro zusammen – das würde sicher super funktionieren.

Vielleicht für einen Pizzalieferanten?

Mal sehen. Es muss in jedem Fall eine seriöse Firma sein.

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