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Ailton lebt wieder in Bremen - ein Hausbesuch Zurück in der zweiten Heimat

Bremen hat einen berühmten Neubürger: Ailton ist mit seiner Familie zurück an die Weser gezogen. Warum er sich zu diesem Schritt entschieden hat, verrät der Ex-Werder-Torjäger bei einem Hausbesuch.
10.10.2020, 18:25 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Zurück in der zweiten Heimat
Von Christoph Bähr

Wer Ailton besuchen möchte, muss erst einmal Treppen steigen. Erster Stock, zweiter Stock, dann noch eine Wendeltreppe. Ganz oben steht der Hausherr und lacht: „Viele Treppen.“ Seit Mitte September ist Ailton wieder ein Bremer. Nein, er ist nicht noch einmal zu Werder gewechselt, aber er ist mitsamt seiner Familie in die Hansestadt gezogen. Vorher lag der Lebensmittelpunkt in Dallas, doch Ailton verdient seinen Lebensunterhalt vor allem in Deutschland. „Da ist es besser, hier auch zu wohnen. Ich wollte nicht mehr so viel pendeln. Und die Familie sollte mitkommen, damit wir mehr Zeit miteinander verbringen können“, erzählt die Werder-Legende.

Der 47-Jährige hat es sich auf der neuen Couch im Wohnzimmer bequem gemacht, trägt ein Sweatshirt, eine kurze Sporthose und Badeschlappen. In seiner hellen Dachgeschosswohnung mit Balkon im Stadtteil Horn sieht es noch recht spartanisch aus. Neben dem Fernseher steht ein großes, weißes Regal mit vielen Fächern, die fast alle leer sind. Nur ein Bild von Ailton und seiner Frau Rosalie sorgt für ein wenig Abwechslung. „Rosalie wird hier alles schön einrichten, wir sind ja gerade erst eingezogen“, sagt er. „Sie macht so etwas gerne. Ich bin nur zu Hause zum Schlafen und Essen.“ Ailton lacht. Wenn es nach ihm ginge, könnten die Wände kahl und die Regalfächer leer bleiben. „Ich bin bescheiden. Mir ist das nicht so wichtig.“ Andenken an seine Karriere wie Trikots und Pokale lagern in Brasilien und stehen nicht im Bremer Wohnzimmer. „Ich bin kein großer Sachensammler.“ Neulich habe er zufällig ein altes Bayern-Trikot von Lothar Matthäus entdeckt. 1999 tauschte er das Shirt mit dem Rekordnationalspieler. „Eine echte Legende, aber ich hatte das fast vergessen. Ich schaue mir die Sachen von früher nicht so häufig an“, sagt Ailton und tippt sich an den Kopf: „Wichtiger sind die Erinnerungen, die sind alle hier drin.“

TV-Shows und Werbekampagnen

Am allerwichtigsten sei für ihn aber, dass er jetzt den Großteil seiner Familie jeden Tag um sich habe, betont der Brasilianer. Seine Töchter Alexandra und Estella sowie sein Sohn Ailton Junior sind mit nach Bremen gezogen. Die älteste Tochter Maria und Briseida, Rosalies Tochter aus einer vorherigen Beziehung, sind in den USA geblieben. Ailton wollte schon länger umziehen. Als Werbefigur, als Teilnehmer an TV-Shows und als Stimmungskanone in Werders Traditionsmannschaft hat er regelmäßig in Deutschland zu tun. Dass Ailton als Fußball-Profi viel Geld verdient und wieder ausgegeben hat, ist lange bekannt. Heute lebt er von seinem Namen, deshalb buchen ihn Firmen für ihre Werbespots. Und nirgendwo ist der Name Ailton Goncalves da Silva so groß wie in Bremen. Hier kennt ihn jeder. Das Double. Die Torjägerkanone. Das Traumtor gegen die Bayern. Der bloße Anblick Ailtons reicht aus, um Werder-Fans gedanklich in eine bessere Zeit zu beamen.

Nun ist Ailton also zurück in der Stadt, die ihm 2004 zu Füßen lag. Er hätte auch die Möglichkeit gehabt, nach Berlin zu ziehen, aber er wollte nach Bremen. „Hier habe ich viele Freunde, kenne die Stadt.“ Und die Stadt kennt ihn, natürlich wird Ailton oft angesprochen. „Autogramme zu schreiben oder Fotos zu machen ist für mich ganz normal. Ich sehe das als Anerkennung für meine Leistung, die ich für Werder gebracht habe."

Tochter trainiert bei Werder mit

Ein weiterer Grund für den Umzug: Seine Kinder seien schon oft in Bremen gewesen und könnten sich dadurch schneller eingewöhnen, sagt Ailton. Tochter Alexandra könnte sogar bald das Werder-Trikot tragen, genau wie ihr Vater. Die 18-Jährige hat in den USA für die „South Garland High School“ Fußball gespielt und trainiert momentan bei Werders zweiter Frauenmannschaft mit. Auf dem Platz hat sie wenig mit ihrem Vater gemein, denn Alexandra liebt das, was Ailton einst hasste: das Verteidigen. Jeder Trainer, der den Stürmer zur Defensivarbeit überreden wollte, verzweifelte. Aber Alexandra ist anders: „Sie kann in der Innenverteidigung oder auf der Sechser-Position spielen, ist enorm zweikampfstark“, sagt Ailton.

Und was ist mit Werder und Ailton? Der fünftbeste Torjäger der Vereinsgeschichte wohnt wieder in Bremen, da könnte er doch auch eine Funktion im Klub übernehmen. Ailton hält sich bei diesem Thema zurück: „Ich habe eine super Beziehung zu Werder. Wenn Werder Interesse hat und die Notwendigkeit sieht, würde ich gerne etwas machen. Momentan ist da aber nichts konkret.“ Eine Tätigkeit als Vermittler von Talenten aus Südamerika könne er sich vorstellen, sagt Ailton. Eine Botschafterrolle für den Verein ebenfalls.

Gerade erst war sein Kumpel Claudio Pizarro ein großes Gesprächsthema. Der ist jetzt Botschafter des FC Bayern, und nicht des SV Werder. Ailton nippt an seinem Kaffee und zuckt mit den Schultern. „Es würde bestimmt gut funktionieren, wenn Claudio und ich als Botschafter für den Verein arbeiten würden. Wir beide haben viel für Werder getan, aber der Verein hat uns auch enorm unterstützt, gerade in den ersten Jahren in Deutschland.“ Von 1999 bis 2001 sorgten Ailton und Pizarro als Sturmduo „Pizza-Toni“ für jede Menge Werder-Tore und gute Laune. Die beiden sind bis heute befreundet. Wenn Pizarro in Bremen ist, so wie kürzlich anlässlich des Geburtstags von Ex-Werder-Chef Jürgen Born, dann gehen sie essen. Sonst telefonieren sie regelmäßig und überlegen, was sie als Fußball-Rentner noch so anstellen könnten. „Mir schwebt ein Benefizspiel vor mit Claudio, Giovane Elber, Kevin Kuranyi und anderen“, sagt Ailton. „Vielleicht in Bremen oder in München.“

Absagen wegen Corona

Eine Idee, die sich wohl erst umsetzen lässt, wenn die Corona-Pandemie überstanden ist. In der aktuellen Lage spielt auch Werders Traditionsmannschaft nicht. „Das ist sehr schade“, sagt Ailton. „Das macht immer viel Spaß.“ Im Flur lehnt ein großes Bild an der Wand, das noch aufgehängt werden muss: Ailton im Werder-Trikot beim Oldenburger Hallenturnier. Jahr für Jahr feiert die ganze Halle den „Kugelblitz“, der nicht mehr so schnell ist wie früher, aber seinen Torriecher nicht verloren hat. „Ohne Ailton ist nichts los“, sagt er.

An derartige Großveranstaltungen ist derzeit allerdings nicht zu denken, also trainiert Ailton bei der Mannschaft eines Freundes mit. „So lange mein Körper mitmacht, spiele ich Fußball. Ich brauche das, muss aktiv sein.“ Er habe drei Angebote von Altherren-Mannschaften, erzählt Ailton. „Aber ich weiß nicht. Wenn ich zusage, muss ich auch immer dabei sein, selbst wenn es sonntags kalt ist und ich lieber zu Hause bleiben würde.“ Das Bremer Wetter – ein schwieriges Thema für Südamerikaner. Der Wind peitscht Regentropfen gegen das Wohnzimmerfenster. Eine haushohe Fichte biegt sich im Herbstwind. Ailton schaut nach draußen und ruft: „Wunderschön!“ Natürlich meint er das nicht ernst. Früher verpasste er oft den Trainingsstart, weil er sich nicht überwinden konnte, aus dem sonnigen Brasilien ins kalte Deutschland zu fliegen. Inzwischen sagt er: „Ich habe mich an das Wetter gewöhnt. Wenn man nach Deutschland zieht, weiß man das vorher.“

Sehnsucht nach Brasilien verspürt Ailton manchmal. Das liegt weniger am Wetter, sondern vielmehr an seinen Pferden, die auf einer Ranch in seinem Heimatland leben. „Ich vermisse meine Pferde“, sagt er ernst. Ailton hat den Ruf eines Spaßvogels, seine Sprüche und sein „Ailton-Deutsch“ sorgen für Lacher, doch wer länger mit ihm spricht, erlebt auch seine nachdenkliche Seite. Den Umzug nach Bremen habe er sich gründlich überlegt, sagt Ailton. Es sei der richtige Schritt. „Hier ist meine zweite Heimat. Zu 100 Prozent.“

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