Ein Pferd wird blind, die junge Reiterin ist geschockt. Doch sie reitet weiter. Sogar im Leistungskader - mit dem erblindeten Tier. Erfolgreich. Es klingt nach einem Stoff für ein Märchen. Im westfälischen Schwelm ist es Realität geworden.

Thea Müller ist 17 Jahre jung und zählt zu den Besten im Rheinland. Dort steht sie im Dressur-Leistungskader. Sie startet nach Pfingsten beim Turnier „Preis der Besten” in Warendorf. Ein Turnier, das höhere Ansprüche als Deutsche Meisterschaften birgt. „Dort sind die Kriterien enger als bei Deutschen”, erzählt Mutter Bettina Müller über das Turnier, zu dem 18 Junioren zugelassen sind.

Erbkrankheit

Vor Jahren zählte Thea noch mit ihrem Pony zur Nachwuchs-Elite. Als ihr Körper einen Schuss in die Länge macht, wird das Pony zu klein. Sie sattelt um. Auf „Highway”, der liebevoll „Heini” gerufen wird. Das war im Februar 2005. Im Sommer des folgenden Jahres wird die irreparable, fortschreitende Rückbildung der Netzhaut, die progressive Retina atrophie, diagnostiziert.

Augenspezialist Professor Jozsef Toht von der Pferdeklinik in Gescher-Hochmoor erklärte den Müllers, dass sich dabei die Netzhaut wie ein Blatt vom Baum im Herbst verhalte. Es wird braun, es wird trocken, irgendwann zerfällt es. Da hilft keine Nährlösung. Diese ausgesprochen seltene Erbkrankheit endet ohne die Möglichkeit zur Therapie in der Erblindung. Selbst wenn die Krankheit in sehr frühem Stadium erkannt wird. Eigentlich das sichere Todesurteil für „Highway”. Eigentlich.

Keine Frage, dass dies zunächst ein trauriger Sommer für Thea Müller war. „Ich wollte nichts sehen, nichts hören, mit nichts zu tun haben. Ich war völlig fertig”, beschreibt die Schülerin des Märkischen Gymnasiums Schwelm. Doch irgendwann haben die damalige Trainerin Heidi Bemelmans, ehemalige Grand-Prix-Reiterin, und ihr Partner Björn Nolting, der Tierarzt ist der Mannschaftsarzt der deutschen Olympia-Mannschaft, Thea Müller ermuntert, sich mit „Heini” weiter zu beschäftigen. Sie haben ihr gut zugeredet. „Auf einem blinden Pferd reiten?”, wandte Thea zunächst ein. „Wieso nicht? Er hat doch nichts am Fuß!” Das überzeugte.

Und so wurde schnell klar: Es kommt nicht infrage, dass der wunderschöne Rappe in Folge der Krankheit getötet wird. „Er oder keiner. Entweder ich reite mit Heini oder ich höre ganz auf”, wird für die Gymnasiastin, die in Wuppertal-Langerfeld wohnt, schnell klar.

„Das Pferd ist so gut"

„Das Pferd ist so gut, so etwas bekomme ich nicht noch mal. Wir haben eine besondere Beziehung. Der Charakter ist einzigartig”, sagt Thea Müller: „Es ging mir ausschließlich um Heini. Niemandem wollte ich irgendetwas beweisen.”

Thea-Felicita Müller mit ihrem blinden Pferd Highway. Foto: Ralf Sichelschmidt
Thea-Felicita Müller mit ihrem blinden Pferd Highway. Foto: Ralf Sichelschmidt © WP

Daher war es längst nicht klar, ob es im Leistungssport weiter gehen würde. Mutter Bettina: „Wir haben uns kleine Ziele gesetzt, die wir nach und nach erreicht haben. Kurz nach der Krankheit wäre es ein Riesenerfolg gewesen, überhaupt an einem Turnier teilzunehmen. Daran war zunächst gar nicht zu denken.” So war das erste Ziel, Vertrauen aufzubauen, mit „Heini” spazieren zu gehen und irgendwann überhaupt wieder zu reiten.

Denn alleine auf der Wiese neben dem Felsenhof in Schwelm zu weiden, war nicht drin. Ein blindes Pferd mit anderen alleine draußen ist zu gefährlich, das Tier wird zu ängstlich. „Davon hat das Pferd nichts. Es muss immer betreut werden. Von uns ist also immer jemand dabei, der sich um Heini kümmert”, so Bettina Müller.

Es dauerte aber nicht lange, und das Duo Thea & Heini schaffte das zunächst Unmögliche. Das Reiten klappte gut. Wurde immer besser. Die ersten Figuren wurden in Angriff genommen. Erfolgreich. Und weil Thea Müller im Laufe des Jahres 2006 bereits genügend Punkte gesammelt hatte und zusätzlich eine Extraprüfung bestand, blieb sie im Leistungskader.

Normales Leben

Seitdem gibt es „normales” Pferdeleben für „Highway” und für Thea Müller. Täglich ist die Schülerin, die jetzt in die 12. Jahrgangsstufe kommt und als Leistungskurse Biologie und Englisch gewählt hat, auf dem Schwelmer Felsenhof. Reiten, Dressurübungen oder spazieren gehen stehen dann auf dem Programm. Neben Thea Müller darf nur noch Trainerin Walburga Thomas, mit der Thea und „Heini” dreimal pro Woche trainieren, den Rappen reiten. Mutter Müller darf „Highway” allenfalls putzen, satteln und von der Box zum Reitplatz begleiten. „Mehr lässt er nicht zu”, sagt die Mutter.

Vier Kinder

Nach dem „Preis der Besten” folgen für Thea Müller und „Highway”, sie starten für den RV Bayer Leverkusen, die „European Youngster Classics” in Bonn und die Rheinländischen Meisterschaften. Bis September oder Oktober dauert die Saison.

Dann wollen Thea und Bettina Müller schauen wie es weiter geht. „Es soll nicht zu stressig werden. Nicht für das Pferd, aber auch nicht für uns. Schließlich gibt es noch einen weiteren Teil der Familie”, so Bettina Müller, Mutter von vier Kindern. Thea, die ihren zweiten Vornamen Felicitas ungern hört, ist die jüngste. „Schritt für Schritt geht es weiter.”